Skischulen :Krokodil auf der Piste

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Kinder lernen immer früher Skifahren - mit neuen Methoden, die vieles leichter machen.

Von Ann-Kathrin Eckardt

Das Kind will Ski fahren. "Mama, UNBEDINGT!" Seit es zwei Jahre alt ist, stellt es sich auf alles, was lang und flach ist, Bretter, Styroporverpackungen, platt gedrückte Küchenrollen. "Will Ski fahren!" Die älteren Cousins haben offenbar Eindruck hinterlassen.

Beste Voraussetzungen, denkt man, und stellt den Zweijährigen beim ersten Schnee auf die geerbten Mini-Skier der Cousins. Er rutscht begeistert den Hang hinunter, immer geradeaus, ohne zu bremsen. Nur dummerweise ist dem Kind nicht entgangen, dass die anderen mit Stöcken fahren. "Wo sind meine Stöcke?", ist bald der Satz, der Wutanfälle beschert und Nerven raubt. Jegliche Erklärungsversuche, dass man erst mal ohne Stöcke das Skifahren lernen muss, scheitern. Ebenso gut könnte man auf einen Schneemann einreden. Schnell steht fest: Nächsten Winter - Skikurs.

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Wie viele Kinder jeden Winter in Deutschland das Skifahren erlernen, dazu gibt es keine Zahlen. Doch hört man sich unter Skischulen in Deutschland und Österreich um, klagt keiner über fehlenden Nachwuchs. Eher fehlen die Skilehrer. Die meisten vermelden gleichbleibende, an manchen Orten sogar leicht steigende Schülerzahlen, und das, obwohl vor allem in den tiefer liegenden Gebieten die Zahl der Schneetage und Skifahrer seit Jahren rückläufig ist.

Woran das liegt? Zum Beispiel daran, dass Skischulen heute sogar schon Schnupperkurse für Zweijährige anbieten. Galt früher das Grundschulalter als ideales Skieinstiegsalter (von einem früheren Beginn rieten viele Orthopäden ab), hat heute ein Großteil der Kindergärten in bergnahen Regionen Skikurse im Programm. Die Skischule Ecki Kober in Lenggries-Wegscheid etwa kooperiert mit etwa 80 Kindergärten und einem Dutzend Schulen aus München und Umgebung. An Hochtagen lernen bis zu 500 Kinder auf der Sonnenseite des Braunecks das Skifahren. Die Größeren in Mehrtageskursen - die ganz Kleinen nur stundenweise. "Das Schwierige ist im Vergleich zu früher, dass sich die Kurse in schneearmen Wintern an wenigen Tagen ballen", sagt Eckhard Kober, seit 40 Jahren Skilehrer, seit 30 Jahren Inhaber einer Skischule. Schneit es, muss er seine Schule manchmal über Nacht von null auf hundert hochfahren. Bis zu 60 Skilehrer sind dann gleichzeitig im Einsatz. Denn das Versprechen der Skischule lautet: nie mehr als neun Kinder in einem Kurs.

"Mama, will nicht Ski fahren, nur zuschauen!" - für 43 Euro ein teurer Spaß

Hundert Kilometer weiter in Kössen in Tirol sind Wiesen und Wälder vor Silvester noch grün. Nur ein weißes Kunstschneeband windet sich den 1300 Meter hohen Unterberg hinunter und ergießt sich wie ein Lavastrom ins leicht abschüssige Bambini-Land. "Mama, will nicht Ski fahren. Nur zuschauen." So beginnt der erste Tag des Skikurses. Unser Sohn ist gerade drei geworden. Zwei Stunden Bambini-Skikurs haben wir am Vortag für ihn gebucht. Da hatte er noch verkündet: "Will Ski fahren, unbedingt!" Jetzt also nicht mehr, okay, dann eben nur zuschauen - ein ziemlich teurer Spaß für 43 Euro, doch mit Zwang, das habe ich im vorherigen Winter von Gerhard Told, Skischulleiter in Scheffau gelernt, geht vor allem beim Skifahren gar nichts. Die Lust müsse sorgsam gehegt und gepflegt werden. Ein "verdorbenes" Kind kriege man so schnell nicht wieder auf die Skier - zumindest nicht im selben Winter.

Wir schauen also zu, beobachten, wie die anderen vier Stöpsel sich aufwärmen. "Wer sind wir?", fragt Franzi, 28, Skilehrerin aus Köln. "Die Schneemäuse!", rufen die Kinder. "Hip hip hurra!" Alle Arme fliegen hoch. "Woher kommt der Schnee?" "Aus der Schneekanone! Hip hip hurra!" Dann, nach fünf Minuten geschieht ein kleines Wunder: Das Kind lässt sich mir nichts, dir nichts von Franzi auf die Skier stellen. Schnapp macht das Krokodil, also die Bindung, zwei Mal. Dann sind die Skier angeschnallt und die Eltern vergessen.

Beobachtet man die Kleinen - im Bambini-Kurs sind Kinder zwischen drei und fünf Jahren- eine Weile lang aus der Ferne, erkennt man schnell: Der Skiunterricht von heute hat mit dem Skiunterricht von gestern höchstens noch den Pflug gemein. Aber auch der heißt inzwischen nicht mehr Pflug sondern Pizza. Pflugfahren lernen die Kinder heute im Pizza-Automaten. Unter dem gewölbten Dach könnte man den Start eines Skirennens vermuten, doch dafür ist die Piste dahinter deutlich zu flach. Mit ihren Skiern fahren die Kinder erst ins Häuschen, dann in zwei Schienen, die der Lehrer per Hebel in eine V-Position drücken kann. So lernen die Kinder, wie der Pflug sich anfühlen muss.

Ein weiterer wesentlicher Vorteil zu früher ist: Die Kinder müssen nicht mehr selbst den Hügel hochsteigen, sondern werden per Zauberteppich nach oben befördert. Das spart Kräfte und Skilehrerkapazitäten, denn die Kinder können vom ersten Tag an alleine darauf stehen. Doch auch so hat Franzi mit fünf Kindern alle Hände voll zu tun. Der eine fliegt hin, dem anderen läuft die Nase, der dritte träumt beim Anstehen, die vierte muss aufs Klo, der fünfte vermisst dann doch seine Eltern und der Zauberteppich klemmt auch noch. Zum Glück steht Franzi, die geduldig einem nach dem andern hilft, noch Fin, ein junger englischer Skilehrer-Azubi zur Seite. Dem bringt sie bei: Tränen haben immer Vorrang. Heißt: Wenn ein Kind weint, sofort drum kümmern. Heißt: Mund auf, Gummibärchen rein. Meistens hilft's.

Auch Sprache und Pädagogik in den Skikursen haben sich gewandelt. "Früher haben die Skilehrer etwas vorgemacht und die Kinder mussten hinterherfahren", sagt Thomas Braun, der beim Deutschen Skiverband (DSV) für die Ausbildung von Skilehrern verantwortlich ist. Heute arbeite man viel mit Wirksprache. "Wir versuchen, das Skifahren über Bilder und Emotionen zu vermitteln." Krokodil und Pizza sind da nur zwei Gehilfen. Die Kinder lernen auch, Pommes fahren (Ski parallel halten) oder eine Zitrone zwischen Schienbein und Schuh auszudrücken (nach vorne lehnen) oder ein Elefant zu sein, der mit seinem Rüssel den Boden berührt, und den dicken Hintern in die Luft streckt.

Dank all dieser Fortschritte und der verbesserten Ausrüstung lernen Kinder das Skifahren heute in etwa doppelt so schnell wie noch ihre Eltern. Fünf- und Sechsjährige können oft schon nach zwei Kurstagen leichte Abfahrten und Schlepplift alleine fahren. Bei den Jüngeren dauert es etwas länger. In Kössen kann der Dreijährige nach drei Tagen auf ganz flachen Pisten Pflug fahren.

Doch bei allem Lernen darf der Spaß auf keinen Fall zu kurz kommen. Die Skischulen übertreffen sich gegenseitig mit Schneekarussells, Ski-Geisterbahnen, Mini-Zügen oder fahrenden Drachen. Denn der Spaß entscheidet darüber, ob die Kinder am nächsten Tag, im nächsten Monat, im nächsten Jahr wiederkommen wollen. Ob sie also zu begeisterten Skifahrern werden. Oder nicht.

Kinder sind die Skifahrer von morgen - und sie bringen ihre Eltern zurück auf die Piste

Nicht nur für die Skischulen, sondern auch für die Skigebiete ist diese Frage essenziell. Denn die Kinder sind nicht nur die Skifahrer von morgen. Sie bringen auch ihre Eltern, die Skipasskäufer, Ausleiher, Restaurantbesucher und Hotelbucher von heute nach der Babypause wieder zurück auf die Piste. Familien sind deshalb eine der wichtigsten Zielgruppen der Skigebiete, die mit speziellen Angeboten gelockt werden (siehe Kasten). Auch der Deutsche Skilehrerverband, der DSV und der Verband der Snowboardlehrer wollen mit ihrer Initiative "Dein Winter. Dein Sport" noch mehr Kinder für den Wintersport begeistern. Auf der Webseite deinwinterdeinsport.de finden sich besondere Angebote für Kinder und Jugendliche, zum Beispiel Freifahrtage, gratis Unterricht von Profis, Ausleihpauscheln für die ganze Saison oder Schneetage für sozial benachteiligte Kinder.

Am Ende des dritten Skikurstages - es ist ein außergewöhnlich kalter Tag - ist der Dreijährige nur noch mäßig begeistert bei der Sache (obwohl er nach jedem Tag auf die Frage "Morgen noch mal?" "Jaaa" geschrien hat). Aufhören will er trotzdem nicht, denn um Franzis Hals baumeln fünf goldene Medaillen. Davon will er eine haben. Unbedingt!

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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