Skigebiete in den Alpen:Ein Tag im Schnee: Innsbruck

Zwischen Patscherkofel und Zaha Hadid: Innsbruck ist ein Wintersportort mit den Vorteilen einer Universitätsstadt.

Von Dominik Prantl

1. Innsbrucker Clownsnasen

8.45 Uhr Menschen in voller Wintersportmontur sind in Innsbruck so normal wie Clownsnasen zur Karnevalszeit am Kölner Dom. Deshalb schaut auch keiner schief, wenn man sich in Skistiefeln mit geschulterten Skiern durch die frühmorgendliche Hektik der Stadt wuchtet. Am Congress, wo die Hungerburgbahn von der Altstadt in Richtung der Karwendelberge namens Nordkette zuckelt, kommt auch schon der Fotograf, Berg- und Skiführer Klaus Kranebitter angerumpelt, mit einer gewissen Eleganz. In der Hungerburgbahn sitzt nur noch der Jakob - den Kranebitter natürlich kennt. Erste Erkenntnis: Im Herzen ist Innsbruck ein Dorf geblieben.

2. Probieren statt studieren

9.10 Uhr Innsbruck wirbt damit, dass man direkt vom Dorfzentrum in das Karwendel zum Skifahren gondeln kann. In Wirklichkeit muss man allerdings von der Hungerburgbahn in die Seegrubenbahn umsteigen und zwar an einer von der Kurvenarchitektin Zaha Hadid hingeschwungenen Station. In der Seegrubenbahn sitzen an diesem Wochentag nur eine Handvoll Studenten, die sich gerade über Bewegungswissenschaften austauschen und selber offenbar praktische Übungen dem theoretischen Krimskrams vorziehen. Nach einem weiteren Umsteigen in die Hafelekarbahn sagt Kranebitter: "An guten Tagen herrscht hier richtiges Gedränge." Heute drängt nichts, nur die paar Studenten fahren mit. Innsbruck ist ein Studentendorf.

3. Rinnen und Wolken

9.30 Uhr Endlich die erste Abfahrt! Sie führt von 2256 Metern durch die Karrinne, eine lawinengesicherte, aber unpräparierte Route, und sie führt durch dichte Wolken. Kranebitter, der mit seiner Initiative Snowhow vor allem Jugendliche für die Gefahren abseits der Pisten sensibilisieren möchte, sagt: "Wenn es zu gefährlich ist, dann geht man lieber eine Pistenskitour. Oder in die Kletterhalle." Oder in das Restaurant Seegrube.

4. Vertikaler Freizeitpark

10.10 Uhr Das Restaurant Seegrube ist rein stilistisch mehr Bauhaus als Hadid und seit 1928 quasi der Nucleus der Nordkette. Die Nordkette muss man sich wie einen vertikalen Freizeitpark oberhalb von Innsbruck vorstellen. Es gibt einen Downhill-Parcours für Mountainbiker (altdeutsch: Halsbrecher-Pfad für Radler), einen Klettergarten für Kletterer, einen Klettersteig für Hobbyalpinisten, eine Bar zum Chillen (altdeutsch: ausruhen). Je nach Saison verkehren hier unter anderem Gleitschirmflieger, Wanderer, Freunde des Alpenpanoramas und eben Skifahrer. Zwar gibt es genau zwei Gondelbahnen, zwei Sessellifte und zwei Pisten, aber die Skifahrer und Studenten wollen hier ohnehin durch die Rinnen freeriden (altdeutsch: im Tiefschnee Ski fahren). "Die Einheimischen waren hier schon freeriden, ohne dass es überhaupt freeriden hieß", sagt Kranebitter. Innsbruck ist ein Freeride-Studentendorf.

5. Raus oder runter?

11 Uhr Die Frage ist: Noch länger im Restaurant sitzen oder raus in den Graupelschauer? Wir entscheiden uns für zwei weitere Abfahrten im Graupelschauer. Richtige Entscheidung!

6. Per Bus zum Hausberg

12.11 Uhr Das Beste an Innsbruck sind nicht die Studenten oder der Tiefschnee, oder dass Leute wie der Kranebitter jeden Jakob kennen. Das Beste ist, dass man hier zum Skifahren kein Auto braucht und einem trotzdem die meisten Lifte und Pisten offenstehen. Von der Hungerburg kurvt einen die Buslinie J direkt auf die andere Seite zum Patscherkofel, der wie ein bewaldeter und eher sanfter Gegenpol zur schroffen, von Rinnen durchzogenen Nordkette den südlichen Wächter von Innsbruck markiert. Innsbruck mag ein Freeride-Studentendorf sein, doch der Patscherkofel ist der Familien-Olympia-Hausberg.

"Alkoholfreies? Des geht ja gar ned."

7. Zwischen Stadt und Schröcksnadel

13.30 Uhr Unten an der Patscherkofel-Talstation hängen alte Bilder mit alten Autos, die alle wie VW-Käfer aussehen. Schon 1929 ist die erste Luftseilbahn am Patscherkofel entstanden; der Berg hat zwei Olympische Spiele überlebt und den streitbaren Österreichischen Skiverbands-Präsidenten Peter Schröcksnadel als zwischenzeitlichen Betreiber. Seit zwei Wintern gehört das Gebiet der Stadt Innsbruck. Auch hier gibt es neben der Seilbahn nur zwei Sessellifte und eine Handvoll Schlepplifte. Was mittelfristig genau mit dem Skigebiet geschehen wird, weiß keiner so genau, aber für den Nachwuchs sind die Pisten in Stadtnähe immens wichtig, sagt Kranebitter. "Wir müssen die jungen Menschen wieder auf die Skier kriegen." Und wo ginge das besser als an diesem Berg, wo Franz Klammer, der Held der Nation, den Olympischen Abfahrtslauf 1976 gewann.

Skigebiete in den Alpen: In der Serie "Ein Tag im Schnee" testet die SZ Skigebiete.

In der Serie "Ein Tag im Schnee" testet die SZ Skigebiete.

8. Auf Klammers Spuren

14.45 Uhr Unter der sanften Patscherkofelkuppe führt die noch immer nicht zu unterschätzende Olympiaabfahrt durch den Wald. Franz Klammer hat bei seinem wilden Ritt vor 40 Jahren knapp 106 Sekunden gebraucht, was Österreich in einen kollektiven Taumel versetzte. Heute geht es selbst in Österreich nicht mehr nur darum, einfach einen Berg möglichst schnell auf Skiern hinunterzufahren. Immer mehr laufen den Berg auch möglichst schnell auf Skiern bergauf. Am Patscherkofel folgt eine Skitour dem groben Verlauf der Olympiaabfahrt. Kranebitter und andere Bergführer haben bei der Ausarbeitung der Skitouren-Routen geholfen. "Um die Konflikte zu entschärfen, die entstehen, wenn Tourengeher an Pisten bergauf gehen." Der Patscherkofel ist auch ein Skitouren-Berg.

9. Es gibt kein Bier auf Hawaii

15.12 Uhr Bei der nächsten Abfahrt steht die Patscher Alpe auf 1743 Meter im Weg. Die Alm präsentiert sich wie ein altes Klischee: Der Hund kläfft, die Wirtin trinkt ein Helles, der Wirt raucht. Zwischendurch schimpft der Wirt über die Fastenzeit; aus dem Radio dudelt: "Es gibt kein Bier auf Hawaii." Immerhin gibt es ein alkoholfreies Weißbier auf der Patscher Alpe, obwohl der Wirt sagt: "Alkoholfreies? Des geht ja gar ned." Draußen haben sich die Wolken wieder vor die Sonne geschoben.

10. Tiere mit Vornamen

Ab 17 Uhr "Innsbruck ist jetzt nicht so das klassische Après-Ski-Erlebnis", hat der patente Klaus Kranebitter noch auf dem Weg im Bus J zurück nach Innsbruck gesagt. Klar, gibt ja schließlich genauso viele Studenten wie Skifahrer hier. Deshalb führt der Weg nach dem Umziehen zur Wilderin, einem Restaurant, wo die Wirtin noch Vornamen und Lebenslauf der Tiere auf der Tageskarte kennt, das Risotto aus Einkorn besteht und der Fisch eine weniger weite Anreise hatte als viele Gäste, zumindest jene Englisch parlierenden am Nebentisch. Denn merke: Innsbruck mag im Herzen ein Dorf sein. Aber die Welt ist hier dennoch zu Hause.

Sportstadt am Rande

Früher, als die Olympischen Winterspiele noch nicht am russischen Meer und in chinesischen Hauptstädten aus dem Boden gestampft wurden, sondern in richtigen Wintersportorten stattfanden, war auch Innsbruck olympischer Austragungsort. Zweimal, 1964 und wegen des Rückzugs von Denver 1976 gleich noch einmal, wurden hier die Spiele veranstaltet, und auch wenn sich derzeit Kitzbühel als "Sportstadt der Alpen" präsentiert, natürlich mit dem Zusatz "legendär", so hätte diesen Titel eigentlich Innsbruck verdient. Es gibt wohl wenig Orte auf der Welt, wo die Sportstätten für das größte Wintersportspektakel des Universums so in das tägliche Leben integriert sind wie in der Landeshauptstadt Tirols.

Das beginnt bei der von der Vierschanzentournee bekannten Bergiselschanze südlich der Stadt, setzt sich fort an der nahe gelegenen Bobbahn, wo erst im Februar Weltmeisterschaften ausgetragen wurden, erstreckt sich auf die beiden olympischen Skihänge von Patscherkofel und Axamer Lizum und das Langlaufplateau von Seefeld und Leutasch im Norden. Noch prägender als diese Monumente des Wettkampfs ist jedoch eine historisch gewachsene und damit ganzheitliche auf den Wintersport ausgerichtete Infrastruktur. Kleine Skigebiete von eher regionaler Bedeutung reihen sich vor allem an den Hängen im Süden der Stadt aneinander: Glungezer, Patscherkofel, Muttereralm, Axamer Lizum, Rangger Köpfl. Vom Stadtzentrum geht es mit dem Skibus auch direkt ins Kühtai, der Zug fährt nach Seefeld, die Straßenbahn ins Stubaital. Die kostenlose, mittlerweile in der 7. Auflage erschienene Broschüre des Innsbrucker Alpenvereins "Skitouren mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Großraum Innsbruck" enthält 170 Skitouren.

Dass der Wintersport vor den Toren der Stadt alleine durch die Einwohnerzahl von rund 130 000 viel stärker von Einheimischen (sofern man Studenten als Einheimische wertet) getragen wird als beispielsweise in den nicht weit entfernten Talorten Ischgl oder Sölden, ist touristisch nicht immer ein Vorteil. Während das immer beliebtere Skitourengehen ohnehin wenig Geld in die Kassen spült, sind die Innsbrucker Skigebiete zwar zu groß, um sie leichtfertig aufzugeben, aber letztlich doch zu klein, um im Wettbewerb der Großen mitzuhalten. Der wird momentan weniger von der Vernunft als vom reinen Zahlenwucher bestimmt. So mag der Großraum Innsbruck in der Summe nicht weniger Pistenfläche bieten als so manche Skischaukel in den benachbarten Tälern, aber als Lockmittel für Touristen zählen andere Werte: Zahl der ohne Bus erreichbaren Pistenkilometer, Gondel vor der Haustüre, Bergdorfidylle. Momentan ist es jedenfalls so: In der Sportstadt der Alpen gibt es genau einen größeren Skiverleih. Dominik Prantl

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