Womöglich hat die Tiroler Tourismusindustrie inzwischen sogar das Wetter auf ihrer Gehaltsliste - oder das Skigebiet Stubaier Gletscher einfach ein sagenhaftes Glück: Pünktlich zum Auftaktwochenende, dem ersten seit Einführung der Covid-Impfung, setzt sogar der Himmel auf flächendeckende Lockerungen. Unten im Tal hängen noch ein paar letzte Nebelfetzen, oberhalb von 2000 Metern tünchen 40 Zentimeter Neuschnee die Berge in ein Weiß, das mit dem ungetrübt blauen Herbsthimmel darüber harmoniert.
Es herrschen also beste Bedingungen, um die vom Pisteln beinahe entwöhnte, wichtigste Gästegruppe Österreichs (vulgo: die Deitschn) wieder in die fast ebenso lange von deutschen Skifahrern entwöhnten Täler zu locken. Schließlich ist es schon eine Ewigkeit von - mit kleineren Ausnahmen - eineinhalb Jahren her, dass Wintersportler hierzulande ihrem Hobby mit der gewohnten Grenzenlosigkeit nachgehen durften: im Frühjahr 2020 erst das Ischgl-Fiasko samt abruptem Ende der Skisaison, im Winter dann die Quasi-Tourismussperre in Österreich inklusive Reiseauflagen und der Stillstand der Lifte in vielen anderen Ländern, darunter auch in Deutschland. Wer auf die Piste ins Ausland - etwa in die Schweiz oder Österreich - wollte, musste entweder danach in Quarantäne oder gegen die Covid-Auflagen verstoßen. Und so wichtig war das Skifahren den meisten dann doch nicht.
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Etwas später als üblich öffnete am vergangenen Wochenende mit dem Stubaier Gletscher nun eines der wichtigsten Herbstskigebiete vor allem bayerischer Skiausflügler, außerdem das Skigebiet am Kitzsteinhorn; der Mölltaler Gletscher folgt am 14. Oktober. Andere Gletscherskigebiete wie etwa in Sölden oder im hinteren Pitztal sind schon seit Wochen in Betrieb, der ganzjährig betriebene Hintertuxer Gletscher kündigt für die nächsten Tage immerhin 40 präparierte Pistenkilometer an.
Auf der entscheidenden Piefke-Skala bleibt noch Luft nach oben
Und was machen die potenziellen Gäste? Die sind trotz des Entzugs offenbar noch nicht so recht in Skilauf-Laune oder haben sich schneller an ein Leben ohne Schnee gewöhnt, als es der Skiindustrie lieb sein kann. Vielleicht warten sie aber auch einfach, bis mehr als nur vier Anlagen und wenige Pistenkilometer zur Verfügung stehen. Schon bei der Fahrt durch das Stubaital wird jedenfalls schnell klar, dass an der Talstation Eisgratbahn jene Menschenansammlung, die vor genau einem Jahr angesichts steigender Inzidenzen einen (sozial-)medialen Aufruhr verursachte, eher nicht zu erwarten ist, zumindest noch nicht. Schon alleine deshalb, weil die Eisgratbahn noch gar nicht in Betrieb ist.
Um 9.15 Uhr sagt die nicht gerade überfordert wirkende Dame an der Kasse: "Hoffentlich werden es bald mehr", und meint die Gäste. Minuten später sitzt man dann ganz alleine in der Zubringer-Gondel hinauf zum Gletscher, die Sechser-Kabine davor ist ebenso leer wie die dahinter. Stefan Gietl, Betriebsleiter der Stubaier Gletscherbahnen, sagt dennoch: "Es war jetzt noch nicht der Mega-Ansturm. Aber es ist ein sehr positiver Start." Oben an den zwei Schleppliften bilden sich tatsächlich auch von Rennfahrergruppen und anderen Frühaufstehern durchsetzte Schlangen; einige unverwüstliche Skitourengeher haben die ersten Spuren in den Tiefschnee gezogen. Auch die Zillertaler Gletscherbahn am Hintertuxer Gletscher, einem weiteren Gletscherskigebiet im Bayerischen Tagesausflugsradius, berichtet Tage später von einer "zufriedenstellenden Besucherfrequenz", die sich aber noch nicht auf Vor-Covid-Niveau befände.
Das dürfte auch für den Stubaier Gästemix gelten. Eine völlig inoffizielle Schätzung mittels punktueller Nummernschildauszählung auf dem Parkplatz zur Mittagszeit ergibt 50 Prozent Österreicher, darunter vor allem Einheimische aus dem Großraum Innsbruck, und etwa 30 Prozent Deutsche, womit auf der entscheidenden Piefke-Skala noch Luft nach oben bleibt. Unter die restlichen 20 Prozent mischen sich Italiener, Slowaken, Schweizer, Polen und sogar ein britischer Mini Cooper mit Dachbox. Den kann man als Exoten abtun - oder als Hoffnungsträger.
Vorerst gilt nur in den Gastronomiebetrieben der Skigebiete die 3-G-Regel
Denn die internationalen Skigäste sind auch ein Gradmesser für die Rückkehr zur Normalität, eine Art softer Pandemie-Indikator - so wie die Diskussionsintensität beim Thema Skifahren in Österreich immer auch ein deutliches Signal zum Infektionsgeschehen war. Als im März vor 19 Monaten sogar im nimmermüden Ischgl der Skibetrieb in die Knie ging, bekam jeder eine Ahnung davon, wie ernst die Lage sein musste. Als Österreich im vergangenen Winter mit dem Trotz eines Pubertierenden sein ganz eigenes Ding machte und den Liftbetrieb wieder erlaubte, achtete die Öffentlichkeit mit Argusaugen auf mögliche Rudelbildungen. An den Seilbahnkassen gingen die Umsätze ohne die ausländischen Skifahrer teilweise um mehr als 80 Prozent zurück.
Und nun? Außer der FFF2-Maskenpflicht in geschlossenen Liften und Gondeln sowie in geschlossenen Wartebereichen gibt es kaum Einschränkungen, was ein fast beschämendes Gefühl der Freiheit vermittelt. "Wir warten da noch auf die Verordnung der Bundesregierung", sagt Stefan Gietl. Er rechnet Anfang November damit. Dann wird ziemlich sicher auch die 3-G-Regel in Kraft treten. Bislang gilt sie nur in den Gastronomiebetrieben der Skigebiete. Am Stubaier Gletscher hat die Angestellte am Restaurant-Eingang deshalb eindeutig mehr zu tun als die Kollegin an der Kasse. Schon am Wochenende werden jedoch weitere Pisten und Lifte geöffnet.
Auf der Rückfahrt kommen einem erstaunlich viele Autos entgegen, aus M und A und SOK. In Neustift werden E-Bikes verliehen, der Himmel hängt voller Gleitschirmflieger. Ist ja erst Mitte Oktober.