Skifahren in Südtirol:Piste oder Kunst? Beides!

Skifahren und Kultur schließen sich im Grödnertal nicht aus. Vor der Dolomiten-Kulisse lohnen direkt an der Piste Museums- und Film-Stopps - sie erinnern auch an den umstrittenen Regisseur Luis Trenker. Eine Probefahrt.

Von Johanna Pfund, Gröden

Das Grödnertal ist märchenhaft. Unter anderem weil es zu den schönsten Skigebieten Europas, wenn nicht gar der Welt zählt. Ein dicht geknüpftes Pistennetz windet sich um imposante Dolomitengipfel wie Sella und Langkofel, die Unesco-Weltnaturerbe sind. Moderne Bahnen und sogar eine U-Bahn unterhalb von St. Christina transportieren Skifahrer von einer Talseite auf die andere, hinauf auf die Seceda, hinüber zum Grödner Joch oder Sellajoch. Doch es wäre schade, das Tal auf Pisten und Gondeln zu beschränken. Denn Skifahren lässt sich in Gröden perfekt mit einer kleinen Bildungsreise verknüpfen - kulinarische Höhepunkte inklusive.

An einem so schönen wie kalten Wintersonntag bringt die erste Fahrt von St. Christina einen hinauf zur Station Ciampinoi. Ziel ist das Sellajoch, den Weg dorthin verschönert der Anblick des majestätischen Langkofel zur Rechten. Die lange Querung führt durch die "Steinerne Stadt": Felsbrocken, die der Langkofel im Lauf der Jahrtausende abgeworfen hat, bilden ein bizarres Labyrinth zu beiden Seiten des flachen Ziehwegs. Es ist, als würde man auf Skiern durch einen versteinerten Märchenwald gleiten.

Verzaubert soll auch der Rosengarten sein, das Bergmassiv südwestlich des Langkofels, das in Morgen- und Abenddämmerung in allen Rottönen leuchtet: Der Sage nach unterlag Zwergenkönig Laurin im Kampf dem Helden Dietrich von Bern und wurde gefangen genommen. Also belegte er seine geliebten Rosen, die er zurücklassen musste, mit einem Fluch: Der wunderschöne Garten sollte weder tags noch nachts zu sehen sein - doch die Dämmerung vergaß der wütende Zwerg. Wie schön. Man kann sich gut vorstellen, dass König Laurin auch in der Steinernen Stadt unterwegs war und hier einige Blumen pflanzte.

Damit ist man schon in Stimmung für die Filmgeschichten, die die Grödner seit Kurzem mit schlichten Holzstelen an Originalschauplätzen in Szene setzen, die auch per Ski erreichbar sind. Es geht um Luis Trenker, der Anfang des 20. Jahrhunderts berühmt wurde: Der Autor, Regisseur, Schauspieler, Bergsteiger, Selbstvermarkter und Opportunist ist in St. Ulrich aufgewachsen. Mit seinen dramatischen Bergfilmen und erfindungsreichen, oft wilden Geschichten, die er später im Bayerischen Rundfunk erzählte, hat er das Bild Südtirols geprägt. Auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod ist Trenker im Tal nicht unumstritten.

Luis Trenker in "Der Berg ruft", 1938

Luis Trenker in "Der Berg ruft", 1938

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Grödner versuchen, ihm gerecht zu werden, und den Besuchern ein Gefühl für seine Arbeit zu vermitteln - umfassender als der Fernsehfilm "Der schmale Grat der Wahrheit" mit Tobias Moretti aus dem Jahr 2015. Dieser konzentriert sich auf Trenkers Beziehung zu den Nationalsozialisten, von denen er sich zunächst gerne hofieren ließ. 1940 trat er sogar in die Partei ein, um einem Berufsverbot zu entgehen - doch zu spät, er war bereits in Ungnade gefallen, weil er als Südtiroler für Italien und nicht für Nazi-Deutschland votierte. Nach dem Krieg soll Luis Trenker versucht haben, die erfundenen "Tagebüchern der Eva Braun" zu Geld zu machen und so einen Film zu finanzieren. "Er wird unterschiedlich gesehen im Tal, mit manchen Geschichten tun sich die Grödner aber schwer", erzählt Paulina Moroder, Mitarbeiterin im Museum Gherdëina unten in St. Ulrich. Unbestritten ist aber, dass es Trenkers große Leistung war, die Dreharbeiten vom Studio hinaus in die Berge zu verlagern.

Am Sellajoch oben, nicht weit von der "Steinernen Stadt", steht so eine hölzerne Erinnerung an einen Drehort. Hierher ließ Trenker einst die komplette Kameraausrüstung schleppen, um "Flucht in die Dolomiten" mit Marianne Hold zu drehen. Durch den Holzrahmen blickt man auf den Teil des Berges, der Trenker als Kulisse diente

Die Filmprominenz von heute trifft sich übrigens auch im Schatten des Langkofel, auf der Comici-Hütte. Die gigantischen Schaumweinflaschen auf der Terrasse liefern einen überdeutlichen Hinweis darauf, dass hier in großem Stil gefeiert wird. An diesem Januarsonntag ist es auch proppenvoll. Draußen. Drinnen ist es zwar noch leer, doch der Zutritt ist nur mit Reservierung möglich. Es hat sich herumgesprochen, dass hier Albert von Monaco, Fernando Alonso und viele andere aus der Welt der Reichen, Schönen und des Sports feiern und den Fisch aus der eigenen Zucht der Eigentümerfamilie - in Grado an der Adria - genießen.

Riesentorlauf Gardenissima und Bilder vom Berg

Das wichtigste Verdienst des verstorbenen Seniorchefs Gianni Marzola war aber nicht die Idee mit dem Fisch, sondern sein Einsatz für den gebietsübergreifenden Dolomiti-Super-Ski-Pass, mit dem man heute insgesamt 1200 Kilometer Pisten in den Dolomiten nutzen kann. Eine smarte Idee, die das größte Skigebiet der Welt geschaffen hat.

So ein Skizirkus erlaubt es praktischerweise auch, bei Überfüllung der Comici-Hütte problemlos eine andere der zahlreichen Hütten im Grödner Tal anzusteuern. Also geht es von der Comici-Hütte erst einmal runter zur berühmtesten Piste des Tals, der Saslong, alljährlich im Dezember Austragungsort eines Weltcup-Rennens.

Die Piste hat es in sich mit Steilpassagen, den Kamelbuckeln, die zu waghalsigen Sprüngen verleiten, und gut 800 Metern Höhenunterschied. Da wächst der Hunger. Eine weitere Auffahrt von St. Christina zur Station Ciampinoi ist nötig, um über die rote Alternativpiste zur Saslong das Rifugio L'Muliné anzusteuern.

Gröden Südtirol St. Ulrich St. Christina Pistenplan Winter Skigebiet Sella Ronda

Ausschnitt des Pistenplans rund um St. Christina und St. Ulrich: oben rechts finden Sie auf der Fahrt von Ciampinoi zum Sellajoch die Steinerne Stadt; die Abfahrt "La Longia" führt links von der Seceda und unterhalb von Raschötz bis nach St. Ulrich. Eine große Karte finden Sie hier.

(Foto: valgardena.it)

Ein junger Mann spielt an diesem Sonntag in der Hütte Gitarre; so gut, dass fast jedes Mahl schmecken würde. Hier gibt es aber keinen Einheitsbrei, sondern Genuss, beispielsweise dreierlei Polenta oder zur Nachspeise Topfenknödel. "Die sind ganz was Feines", beteuert Wirtin Heidi Delazer, und sie übertreibt nicht. Ihre Köche Domenico Pedula und Reinhard Lageder verstehen ihr Geschäft: Sie kombinieren Südtiroler Küche vom Feinsten mit zurückhaltendem Hüttenambiente.

Darüber könnte man das Skifahren vergessen, sollte es aber nicht. Auf der gegenüberliegenden Südseite des Tals warten lange Abfahrten und dazu ein Höhepunkt für Freunde der Bergliteratur und naturalistischen Malerei. Am Col Raiser hat Hansi Schenk, Eigentümer der Col Raiser Bahn, im Souterrain der Bergstation seine Privatsammlung ausgestellt. Zu sehen ist der klassische röhrende Hirsch vor einer Bergkulisse, sind wuchtige, romantische oder feine Bergbilder, viele aus dem späten 19. Jahrhundert. Darunter befinden sich Werke von Eduard Harrison Compton, der 1881 in Feldafing am Starnberger See geboren wurde und sein Leben dem Malen alpiner Szenen widmete.

Wie sich die Darstellung der Berge änderte und auch den Zeitgeschmack reflektiert, zeigt die beeindruckende Sammlung von Ausgaben der Sonntagszeitung La Domenica del Corriere. Die Zeitung präsentierte alle Dramen der Berge in gemalter Form, bis hin zur Tragödie am Monte Bianco, bei der 1961 ein Flugzeug in eine Seilbahn flog.

Informationen Grödner Tal

Pistennetz im Grödner Tal: 175 Kilometer, davon 52 Kilometer (30 Prozent) leicht, 105 Kilometer mittel (60 Prozent), 18 Kilometer schwer (10 Prozent).

Mit der Sella Ronda hat man Zugang zu den Tälern Alta Badia, Arabba/Marmolada und Val di Fassa mit insgesamt 500 Kilometern Pisten und 200 Liften. Der Dolomiti Superski Pass umfasst in der gesamten Region 1200 Kilometer Pisten.

Museum Gherdëina in St. Ulrich, www.museumgherdeina.it

Hütten: Raschötz, www.resciesa.com; Costamula, www.costamula.com; L'Muliné, www.l-muline.com; Col Raiser, www.colraiser.com

Weitere Informationen zum Grödner Tal unter www.valgardena.it.

Draußen vor der Bergstation sind die Gedanken an solche Dramen schnell verflogen. Denn vom Gipfel der Seceda aus bieten sich zwei lange Abfahrten an. Die eine heißt passenderweise "La Longia" und führt zehn Kilometer weit hinunter nach St. Ulrich, direkt am geschmackvoll restaurierten Hof Costamula vorbei, der einen weiteren Stopp wert ist.

Die Seceda ist zudem Startpunkt der Gardenissima: Dieser längste Riesentorlauf der Welt findet jährlich im Spätwinter statt, es nehmen Rennläufer sowie ambitionierte Skifahrer teil. Die Strecke ist auch für gewöhnliche Skifahrer wunderschön: Vom Gipfel der Seceda auf 2518 Meter über Normalnull geht es sechs Kilometer lang hinunter zur Plan de Tieja auf 1485 Metern Höhe. Weite Hänge wechseln mit schmalen Passagen, in denen man sich fast wie in einem Eiskanal fühlt. In den Felsen darüber verbergen sich Fossilien. Die geologischen Besonderheiten der Region zogen schon vor 200 Jahren Forscher an, unter anderem den französischen Naturwissenschaftler Déodat Gratet de Dolomieu. Er gab den Dolomiten ihren Namen.

Wie geologisch vielfältig das Grödnertal ist, zeigt das Museum in St. Ulrich. In den Vitrinen liegen steinerne und versteinerte Schätze ausgebreitet. Im oberen Stockwerk des Museums erlauben eine neu konzipierte Luis-Trenker-Ausstellung samt Original-Wohnzimmer sowie ein Blick auf die Grödner Holzschnitzkunst weitere Einblicke in Leben, Wirtschaft und Kultur des Tals. Das Kunsthandwerk, die Puppen und die Schnitzerei sicherten bis zum Ersten Weltkrieg der Hälfte der Bevölkerung das Auskommen, erzählt Paulina Moroder. Zum Museum Gherdëina, wie es in der ladinischen Sprache des Tales heißt, kann man übrigens auch per Ski gelangen - sofern man nichts gegen eine kleine Tragestrecke durch den Ort hat.

Von St. Ulrich aus führt eine erst wenige Jahre alte Standseilbahn hinauf zum äußersten Punkt des Skigebiets, auf die Raschötz. Wer sich ein Bild davon machen will, welche touristischen Unternehmungen Luis Trenker in seiner Heimat anstieß, sollte diesen Winkel weitab der größeren Skipisten auch noch erkunden. Den Vorläufer der Bahn bauten 1954 Trenker und der Großvater des jetzigen Eigentümers Peter Comploj. Heute schnurrt die moderne Standseilbahn leise in acht Minuten hinauf auf die Raschötz. Dort kann man ein weiteres Mal gut essen und auch übernachten, hoch über dem Tal beinahe im Sternenhimmel. Ein Ort, an dem Geschichten über zaubernde Zwergenkönige und Filmmärchen noch glaubwürdiger sind.

Die Reise wurde unterstützt von Val Gardena Gröden-Marketing.

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