Skifahren in den USA:Die Ruhe vor dem Wahnsinn

In den Teton-Bergen in Wyoming kann man Harrison Ford, Sandra Bullock und Jim Carrey treffen. Und Extremskifahrer, die sich matterhornähnliche Hänge hinabstürzen.

Thomas Becker

Die 77-Meter-Klippe? Nicht zu sehen. Es herrscht Nebel, dass man die Hand vor Augen nicht erkennt. Vielleicht ist das besser so. Unten im Ort ist sowieso niemand scharf darauf, ständig auf den Verrückten angesprochen zu werden.

Im Januar ist Jamie Pierre von einer Klippe gesprungen, auf Skiern. Der Weltrekord-Flug dauerte vier Sekunden, 77 Meter tief ging es hinab. Der Vater einer zwei Monate alten Tochter landete kopfüber, schlug ein zwei Meter tiefes Loch in den Schnee, aus dem er bis auf eine aufgeplatzte Lippe unverletzt herauskroch und somit einem verschlafenen Nest irgendwo in Wyoming in die Schlagzeilen verhalf: Grand Targhee. Nie gehört?

Genau das ist das Problem, ist Fluch und Segen des Örtchens am Fuße der Teton-Berge.

Grand Targhee besteht aus einer Handvoll Häuser, am Morgen heulen die Huskys, Menschen sind weit und breit nicht zu sehen. Von einer Hauswand schaut ein übergroßer Indianerschädel herüber. Das Mini-Eishockeyfeld liegt unter einer Schneeschicht begraben. Irgendwo brummt ein Skilift.

Die Tourismus-Chefin lädt zur "Tour durch den Ort". Nach fünf Minuten ist sie beendet. Willkommen in Grand Targhee, auf der ruhigen Seite der Tetons.

Dabei dachten wir, die ruhige Seite schon erlebt zu haben: Jackson Hole, das weltbekannte und doch so entspannte Skigebiet auf der anderen Seite des Teton-Passes. Doch in Grand Targhee ist es noch mal um einiges stiller als drüben beim großen Bruder. Nur eins haben sie hier im Überfluss: Schnee.

Für Jamie Pierres fragwürdige Meisterleistung waren diese Schneemassen wesentlich. Sieben Jahre habe er gewartet, bis die Bedingungen am Fred's Mountain für seinen Wahnsinnssprung perfekt waren: meterdicker und zugleich flauschig weicher Schnee.

Der Sprung war eine Verzweiflungstat - der 32-Jährige verdiente als Skiprofi nicht genug, arbeitete als Gelegenheitsschreiner beim Vater -, war aber auch Glaubensbekenntnis: Sein Gelingen zeuge von der Stärke des christlichen Glaubens, sagte Pierre. Die Tourismus-Chefin wirft die Stirn in Falten und verweist auf mehrere Todesfälle bei erheblich geringeren Sprunghöhen. Nachahmer können sie hier nicht gebrauchen.

Ihre Angst ist berechtigt.

Die Ruhe vor dem Wahnsinn

Auf der östlichen Seite der Tetons gibt es nicht nur einen skiverrückten "100er-Klub" - gezählt werden dabei die Skitage pro Jahr -, sondern auch eine Gruppe von Extremskifahrern mit Namen "Jackson Hole Air Force". Ihre Lieblingsdisziplin nennt sich Ski-Base-Jumping: Skifahren bis an den Rand einer Klippe, fliegen, Fallschirm ziehen.

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(Foto: SZ-Grafik: Schuler)

Die Bergwacht nennt die filmenden Freerider von Cody Peak nur noch "vidiots". Doug Coombs hieß ihr prominentestes Mitglied - der Ski-Stuntman starb unlängst bei einem Unfall in La Grave, Frankreich.

Doch auch schon in den Siebzigern kamen sie in Jackson auf reichlich verrückte Ideen: 1971 fuhr Barry Corbet den Grand Teton auf Skiern hinunter - das Matterhorn ist ähnlich zugänglich. Freunde des Extremen treffen sich heute in Corbet's Couloir, einem nahezu senkrechten Hang, in den die ganz Harten per Rückwärts-Salto einfahren. In den Rinnen "Once is enough" und "Apocalypse" geht es nur einen Tick gemütlicher zu.

Doch Jackson Hole kann auch anders. Harrison Ford besitzt hier ebenso ein Häuschen wie seine Schauspielkollegin Sandra Bullock oder Vize-Präsident Dick Cheney. Die Anwesen der vielen Ostküstler mit Zweitwohnsitz werden "dude-ranches" - Touristenfarmen - genannt.

Jim Carrey und Rob Reiner machen gern Urlaub in der luxuriösen Spring Creek Ranch: 250 Meter über dem Tal, direkt vor Augen die fabelhafte Bergkette der Tetons, die selbst Karl May nicht annähernd adäquat beschreiben konnte. Bis zum Yellowstone Nationalpark mit seinen 500 aktiven Geysiren, seinen Wölfen und Bison-Herden, die wenig Respekt vor Snowmobil-Ausflüglern zeigen, sind es nur 60 Meilen, zur mit 6600 Tieren angeblich weltgrößten Elchherde im Elk-Refuge an der Stadtgrenze nur fünf Minuten.

Im 8000-Einwohner-Städtchen dominiert rustikaler Western-Style: Geweihe, wohin man schaut. Die "Million Dollar Cowboy Bar" ist der Klassiker im Zentrum. Erdiger geht es im "Virginian" zu, wo die Rednecks ihren Whiskey aus Pappbechern trinken. Mit flapsigen Sprüchen über Cowboyhüte sollte man sich bei dieser Klientel ganz dringend zurückhalten.

Hoch über Teton Village im zuletzt eifrig ausgebauten Skigebiet lockt das Nobel-Restaurant "Couloir" nicht nur Skifahrer. Unten im "Four Seasons Hotel", wo eine Nacht in der Präsidenten-Suite 4200 Dollar kostet, werden selbst dem flüchtigen Lunch-Gast kuschelige Pantoffeln unter die Skisocken gejubelt.

Ein paar Kilometer weiter Richtung Jackson bittet eine Ski-Legende zum Après: der Lienzer Pepi Stiegler, Olympiasieger von 1964.

Die Ruhe vor dem Wahnsinn

Kurz nach seinem Erfolg eröffnete er in Jackson eine Skischule, geködert vom Resort-Gründer Paul McCollister, der unbedingt auch den Weltcup nach Wyoming holen wollte. Es gelang: Der erste Sieger hieß Jean-Claude Killy.

Heute hängt die Titelseite der Wild West Gazette vom März 1967 mit der Schlagzeile "Wanted: Killy alias Claude the killer" im "Stieglers" neben Autogramm-Karten von Bode Miller bis Hannes Trinkl. Der netteste Gruß stammt von Tochter Resi, die alle nur Racy nennen. Sie ist Rennfahrerin geworden, immerhin WM-Sechste vor zwei Jahren.

Die US-Amerikanerin, die mehrere Sprachen, aber kein Deutsch spricht, schrieb: "To my lovin uncle Pepi: Thanks for all the schnitzel!" Seit 1983 stehen hier in Wyoming weitgehend unbekannte Gerichte auf der Karte: Carpaccio Bolzano, Schlipfkrapfen, Mushroom Strudel, Tournedos Kaiser Franz II oder Lamm Bratl Loisl.

Hinter der Theke steht eine fesche Bedienung im Dirndl. Das Bier kommt aus München, der Jagatee aus der Mikrowelle.

All das hat Grand Targhee nicht. Schon auf dem knapp einstündigen Weg dorthin ändert sich bald die Szenerie. Bevor es den Teton-Pass hinauf geht, führt der Weg an der für ihre wilden Sonntagabende berüchtigten "Stagecoach Bar" von Wilson vorbei. Dort kommt es schon einmal vor, dass vor der Bar ein Pickup mit einem frisch abgetrennten Elchschädel auf der Ladefläche parkt. Ein paar Meilen geht es durch den Kartoffel-Staat Idaho, durch das 1500-Einwohner-Kaff Driggs und zwölf Meilen die Ski Hill Road hinauf nach Targhee.

Hier wohnt niemand. Es gibt 96 Gästebetten, zwei Cafés, ein Restaurant und eine Bar - letztere allerdings mit so abenteuerlichen Gerichten wie Chili Cheese Fries, einer monumentalen Kalorienbombe, vor der selbst die Speisekarte warnt: "It's not really health food."

Schon früher, bei den Shoshonen und Schwarzfuß-Indianern, war die Ruhe Programm. Von ihrem Häuptling Targhee ist überliefert, dass er zu denen gehörte, die nach Frieden mit den Weißen strebten. Er wurde allerdings erschlagen, der Frieden hielt nicht mehr lange. Bei der Eröffnung der Resorts 1969 erinnerte man sich des Erbes: Der erste Lift hieß Shoshone.

Seitdem sind nur drei weitere Lifte dazugekommen. Vor zehn Jahren kaufte schließlich George N. Gillett das Gebiet. Der Millionär aus Vail ist Sportliebhaber, besitzt mehrere Klubs, zum Beispiel das NHL-Eishockeyteam Montreal Canadiens sowie den FC Liverpool - und er hat vier Söhne. George III. kümmert sich um Targhee. Sein Ziel: Statt der 96 Betten soll es bald 870 geben.

Vorstellen kann und will man sich das nicht. Viel zu gemütlich geht es hier noch zu. Der Liftboy spielt Mundharmonika, im Open-Air-Jacuzzi bleibt der Cowboyhut auf dem Kopf und im Waldgebiet East Woods heißen die schwarzen Pisten The Good, The Bad und The Ugly. Doch der überzeugendste Werbespruch hängt im Büro der Tourismus-Chefin:

"Ski now, work later!"

Informationen

Anreise: United Airline fliegt von Deutschland nonstop nach Jackson und zurück ab 677 Euro

Reisearrangements: Faszination Ski bietet Flug, sechs Tage Skipass und sieben Übernachtungen im Best Western "The Lodge At Jackson" inklusive Frühstücksbuffet ab 1139 Euro. Oder im Wort Hotel inklusive Frühstück ab 1289 Euro, Adresse: Faszination Ski, Wintergasse 14, 69469 Weinheim, Tel.: 062 01/59 29 76, www.faszinationski.de

Weitere Auskünfte: Rocky Mountain International, c/o Wiechmann Tourism Service, info@wiechmann.de, Tel.: 069/25 53 82 30, www.rmi-realamerica.de

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