Skifahren im Stubaital:Nochmal raus aus all dem Grün

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Oben hui, unten pfui: Wo ist noch Pulver zu finden? (Foto: Hans Gasser)

Der Winter war alpenweit so schneearm wie selten zuvor. Wer sich jetzt noch einmal ins Hochgebirge wagt, kann aber schöne Überraschungen erleben - etwa im Stubaital.

Von Hans Gasser

Oh je! 25 Grad Celsius zeigt das Thermometer auf der Fahrt durchs Inntal. Die Wiesen sprießen in giftigem Grün, die Sonne brennt den Kühen aufs Fell. Je weiter und höher man ins Stubaital hineinfährt, desto brauner wird das Gras. Doch weder sinken die Temperaturen wesentlich, noch ist viel von jenem Stoff zu sehen, weswegen man eigentlich hier ist: Schnee.

Hätte Horst Fankhauser, der schlaue Seniorwirt der Franz-Senn-Hütte, nicht am Vortag eine Reihe von sehr winterlich anmutenden Fotos auf die Hütten-Website gestellt mit dem Vermerk: "Gute Tourenbedingungen ab der Hütte", man wäre wohl eher zum Mountainbiken an den Gardasee gefahren. So aber wandert man zunächst von Oberriss hinauf zur Franz-Senn-Hütte, Ski und Schuhe werden mit der Materialseilbahn befördert. Die Bäche gurgeln, an den Felsen blühen Alpen-Primeln, Vögel zwitschern. Erst kurz vor der Hütte auf 2100 Meter muss man ein bisschen durch den Schnee stapfen.

Die Frage aller Fragen: Wo ist noch Pulver zu finden? Horst Fankhauser kennt die Antwort

"An so einen schneearmen Winter kann ich mich nicht erinnern", sagt Horst Fankhauser, ein Mann wie aus dem Bergführer-Bilderbuch: drahtig gebaut, braun gebrannt und eine Faltenstruktur im Gesicht, die jedes seiner 52 auf der Hütte hier verbrachten Jahre glaubwürdig unterstreicht. Klar habe es auch früher immer wieder schneearme Winter gegeben - "aber nicht in diesem Ausmaß". Fankhauser, 74, kennt wie kein anderer das Tourengebiet rund um die Hütte. Abends in der Stube, die eigentlich ein Speisesaal für 170 Gäste und ziemlich voll mit schneesuchenden Funktionsunterwäscheträgern ist, wird er ständig nach seiner Einschätzung gefragt: Halten die Schneebrücken über den Gletscherspalten? Gibt es Fixseile im Gipfelbereich der Inneren Sommerwand? Und natürlich die Frage aller Fragen: Wo ist noch Pulver zu finden?

Das ist ein besonderer und wichtiger Service für die Gäste, denn in dem Maß wie das Skitourengehen vom Alpinisten- zum Trendsport wurde, gibt es immer mehr Gäste, die sich nicht so gut mit Schneedeckenaufbau und Lawinensituation auskennen. "Ich brauche diese Rückmeldung aus dem Gelände unbedingt", sagt Fankhausers Sohn Thomas, der zusammen mit seiner Frau die große Hütte führt. Vor lauter Arbeit kommt er selbst kaum noch dazu, Touren zu machen. Seit drei Generationen wird die Hütte von seiner Familie geführt. Im Winter ist sie von Mitte Februar bis Anfang Mai geöffnet. "Oft sind im Mai noch die besten Bedingungen, aber da denken die meisten nur noch ans Radlfahren", sagt Thomas Fankhauser. Dennoch überlegt er, die Hütte mal probeweise bis Mitte Mai offen zu lassen. Heuer wäre das nicht so sinnvoll, auch wenn die Bedingungen noch relativ gut sind. "Seit Mitte Jänner sage ich: Der große Schnee kommt noch. Jetzt habe ich es aufgegeben."

SZ-Karte (Foto: a)

Am nächsten Morgen um sechs steht Senior Fankhauser in grasgrünen Skischuhen und roter Jacke bereit, sehr wach und gut gelaunt. "Jetzt machen wir uns auf die Suche nach dem Pulver", sagt er, schnallt sich die Ski mit den Fellen unter die Füße und geht voran. Rechts der Hütte, an den Südosthängen, sind bis weit hinauf nur noch Gras und Felsen zu sehen. Links aber, dort wo Fankhauser jetzt in nicht seniorengerechten Tempo seine Aufstiegsspur anlegt, ist eine geschlossene Schneedecke. Die Berge werden langsam, an den Gipfeln beginnend, in Sonnenlicht getaucht. Ein Schneehuhn fliegt auf, Fuchsspuren sind auf dem Schnee zu sehen, über allem liegt eine große Ruhe. Von den vielen Tourengehern auf der Hütte ist noch kaum etwas auszumachen.

"Wir machen uns schon auch Gedanken wegen des Klimawandels", sagt Fankhauser. "Wenn du, so wie ich, mitkriegst, wie stark die Gletscher hier in den letzten 50 Jahren zurückgegangen sind, da weißt du: Es geht was verloren." Den Alpeiner Ferner etwa, der größte Gletscher hier, den habe man früher von der Hütte aus sehen können, er hat sich knapp einen Kilometer zurückgezogen - und das innerhalb eines Hüttenwirtlebens. Wegen des ausbleibenden Schnees verfalle er aber noch nicht in Panik. "Einer ist keiner", sagt er zu diesem Winter, bisher habe man auf dieser Höhe immer noch gut Skitouren gehen können.

Horst Fankhauser, ein Mann wie aus dem Bergführer-Bilderbuch: drahtig, braun gebrannt und eine Faltenstruktur im Gesicht, die jedes seiner 52 auf der Hütte verbrachten Jahre glaubwürdig unterstreicht. (Foto: Hans Gasser)

Fankhausers Ziel ist heute die Innere Sommerwand, er legt die Spur in weit ausholendem Zickzack an. "Ich geh' immer gern hin und her, schauen, wo der beste Schnee ist." Und, man traut seinen Augen kaum, ab etwa 2700 Meter geht es nordseitig tatsächlich durch Pulverschnee, fast ohne Spuren drin. Das ist ihm wichtig: dass er dort fährt, wo andere Skifahrer noch nicht den Hang zerpflügt haben.

Am Skidepot, von wo aus man in leichter Kletterei zum Gipfel steigt, macht die Innere Sommerwand ihrem Namen alle Ehre. Es ist hier um halb elf vormittags so heiß, dass man sich Badehosen wünscht und nicht schwarze Funktionskleidung. Die Sicht vom 3122 Meter hohen Gipfel reicht über den hellblauen Gletscherbruch des Alpeiner Ferners bis zur Ötztaler Wildspitze. Links unten sieht man eine Vierergruppe Skitourengeher über den Gletscher unter der Östlichen Seespitze ziehen. "Jetzt sind sie gerade über einer riesigen Gletscherspalte", sagt Fankhauser, "ohne Entlastungsabstand, mal schauen, ob einer einbricht." Tut zum Glück keiner. Aber Fankhauser wundert sich schon manchmal über die Leute.

Die Abfahrt gestaltet sich dann so, wie man es nicht erwartet hätte: Oben noch tadelloser Pulverschnee, weiter unten bester Firn. Fankhauser, der schon in vielen Teilen der Welt zum Bergsteigen war, auch im Himalaja, kennt hier natürlich jene Hänge, an denen der Schnee am besten ist. Kurz oberhalb der Hütte wählt er einen ideal steilen Firnhang aus, der die Ankunft auf der Hüttenterrasse wie eine Bestrafung erscheinen lässt. Und das, obwohl es dort hervorragende Spinatknödel und jede Menge euphorisch gestimmter Menschen gibt, die mit solchen Abfahrten nicht gerechnet haben. "Einen Meter Neuschnee wünsche ich mir jetzt nicht mehr", sagt Fankhauser. "Ich denke eher an eine Klettertour am Gardasee und danach einen Aperol Spritz."

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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