Ski- und Schneeschuh-Touren liegen im Trend, die Ausrüstung wird massiv beworben und verkauft sich gut. Was bedeutet das für die Tiere, deren Lebensraum die verschneiten Wälder sind? Ein Gespräch mit Ulf Dworschak, Biologe und im Nationalpark Berchtesgaden verantwortlich für Naturschutz und Planung, über die Nachteile schneereicher Winter und wie Tourengeher möglichst wenig stören.
SZ: In den Bergen des Berchtesgadener Landes liegen mehrere Meter Schnee. Optimale Bedingungen für Skitouren?
Ulf Dworschak: Ja, es sind viele Tourengeher unterwegs. Hier im Gebiet sind jetzt, nachdem ein paar Tage das Lawinenrisiko wieder niedriger war, alle fahrbaren Hänge mehr oder weniger durchgefahren und zwar auf voller Breite. Für die Tierwelt ist das ein großes Problem.
Warum?
Durch die evolutionäre Anpassung sind die Tiere für den Winter eigentlich ganz gut gerüstet. Sie horten Vorräte, legen sich eine Fettschicht oder ein dickeres Fell zu, manche halten Winterschlaf. Klar ist auch: Der Winter war immer schon ein Nadelöhr, durch das nur die fitten und gesunden Tiere geschlüpft sind. Das ist ganz normal, das ist der Kreislauf der Natur. Entscheidend fürs Überleben ist, dass sie Energie sparen. Werden sie vom Menschen gestört, müssen sie gar flüchten, dann kostet das aber sehr viel Energie - oft mehr als sie an Nahrung finden.
Wenn wir uns beim Abfahren immer neue, noch nicht befahrene Hänge erschließen, wird es kritisch: Wir tauchen sehr schnell und für die Tiere überraschend in Gebieten auf, in die sonst niemand kommt. Es gibt eine sehr unschöne Korrelation: Viel Schnee macht die Lage doppelt schwierig. Die Tiere finden kaum zu fressen und es sind so viele Skifahrer unterwegs, dass in vielen Regionen keine Rückzugsräume mehr bleiben.
Betrifft das alle Tierarten gleichermaßen?
Die Birk- und Schneehühner haben ganz besonders zu kämpfen. Sie graben sich im Winter im Schnee ein, knapp unter der Oberfläche, oft in Nordhängen - und werden schlicht überfahren.
Zu solchen fatalen Zusammenstößen kommt es wohl noch öfter, da es immer mehr Menschen auf Tourenski oder Schneeschuhen in die Berge zieht. Woher kommt der Boom?
Vor rund 20 Jahren begann der Outdoor-Trend im Sommer, Wandern wurde zum Lifestyle, man trug Outdoor-Kleidung auch in der Stadt. Es ist wahrscheinlich der Trend zum Individualismus, verbunden mit einem massiven Bewerben des Natursports. Das setzt sich jetzt im Winter fort. Es ist eine logische Konsequenz, dass durch die starke Werbung das Tourengehen, früher eine Nischensportart, fast schon zu einem Breitensport wird und wir die Leute in Gebieten haben, wo es früher deutlich ruhiger war.
Jetzt könnte man darin ja eine begrüßenswerte Entwicklung sehen, hin zu einem naturnäheren Wintersport.
Na ja, die Frage ist immer, wo der Schwerpunkt liegt. Ursprünglich war das Skibergsteigen extrem unkomfortabel. Es ging darum, weg von den Pisten zu kommen, dorthin, wo sonst niemand ist. Heute rückt das Naturerleben immer mehr in den Hintergrund, die Natur wird konsumiert, sie dient als Sportraum, nach dem Motto "Mir ist die Muckibude zu blöd, deshalb gehe ich nach der Arbeit noch schnell die Piste rauf". Nicht die Natur ist das Thema, sondern die Zeit, in der man den Aufstieg geschafft hat.
Wintersport:Mit gutem Gewissen Ski fahren - geht das?
Bei Umwelt und Wintertourismus denken die meisten an Schneekanonen und Pistenschneisen im Bergwald - aber nicht an das, was sie selbst leicht ändern könnten.
Und wie verhält sich ein Skibergsteiger, der alles richtig macht?
Ich will niemandem das Skitourengehen vermiesen - ich gehe selbst viel zu gern. Es geht darum, sich bewusst zu machen, dass die Berge nicht nur Sportraum sind, sondern auch Lebensraum, in dem Individuen im Winter ums Überleben kämpfen. Muss es wirklich der unberührte Hang sein oder kann die Abfahrt nicht auch in der Nähe der Aufstiegsspur stattfinden? Warte ich 20 Minuten, bis sich das Gamsrudel verzogen hat, oder gehe ich rücksichtslos weiter? Muss ich unbedingt noch abends mit der Stirnlampe auf Tour gehen, wenn die Tiere herauskommen, um ungestört ihre Energiespeicher aufzufüllen?
Bei der Tourenplanung darf es nicht nur darum gehen, ob die Ski gewachst sind, ob Lawinen- und Schneelage passen, sondern auch, ob die Route die Wildschutzgebiete beachtet. In den Karten des Deutschen Alpenvereins sind die Regionen ausgewiesen, die zu meiden sind. Es gibt viele Tourengeher, denen das bewusst ist. Aber je mehr unterwegs sind, desto mehr steigt auch die Anzahl derjenigen, die sich nicht daran halten. Und dadurch wird die Belastung immer größer.
In manchen Skigebieten laufen die Tourengeher entlang der Piste nach oben - nicht immer zur Freude der Pisten-Skifahrer. Ist das die bessere Alternative zur Tour durchs Gelände?
Darauf können sich die Tiere interessanterweise tatsächlich besser einstellen. Es gibt Gebiete, da sitzen die Schneehühner ungerührt wenige Meter neben der Piste. An eine kontinuierliche, aber räumlich stark begrenzte Störung kann sich ein Tier gewöhnen. Aber jetzt fahren die Leute der Gams plötzlich durchs Wohnzimmer - wie soll sie sich darauf einstellen?