Ski:Die Magie der Kordillere

Ski-Profis wie Hilde Gerg trainieren im Sommer in Chile - auf den Pisten von Valle Nevado in 3000 Metern Höhe.

Von Karin Bühler

Jetzt, da in Chile langsam der Winter beginnt, verlässt Freddy Marquez seinen Platz an der Supermarkt-Kasse in Santiago. Er zieht hinauf in die Anden - nach Valle Nevado, auf 3025 Meter über dem Meer. Wenn der Juni kommt, steckt er sich ein Schild an seinen Fleecepullover. ¸¸Freddy Skiman", steht darauf. Freddy ist der Mann, der den Gästen des Hotels ¸¸Valle Nevado" die Skistiefel wärmt, der ihnen beim Anziehen hilft, der ihre Snowboards, Ski und Stöcke bewacht. Und von Juni an ist sein gemütliches Skiman-Zimmer in jedem Jahr beheizt. Jeder Hotelgast, der hinaus will auf die Piste, muss an Freddy vorbei - Schuhe wechseln, Ski anschnallen.

Aus dem Fünf-Sterne Hotel geht es direkt in den Schnee. Freddy steht an der Tür seiner Kammer und schaut hinaus auf das letzte Stücken Abfahrt, das weiter oben Retorno Alto heißt und hier unten Retorno Bajo. Der Anden-Express, ein Vierer-Sessellift, schaufelt die Wintersportler von Valle Nevado auf knapp 3500 Meter Höhe. Sonne strahlt auf Freddys verspiegelte Brillengläser, er deutet zur Spitze des 5430 Meter hohen Berges ¸¸El Plomo", und sagt: ¸¸Die Kordillere da draußen hat etwas Magisches."

Skifahren in Chile hat auch etwas Magisches. Vielleicht ist es auch nur verrückt, aus dem Sommer Europas in den südamerikanischen Winter zu fliegen, wo es Einheimische gibt, die selbst noch nie im Schnee gestanden sind. Joaquín Lavin, Bürgermeister von Santiago, hat vorigen Winter Lastwagenladungen voller Schnee im ¸¸Parque de los heroes" ausschütten lassen, damit all diejenigen Hauptstädter in den Schnee fassen können, die sich eine Busfahrt in die schneebedeckten Berge niemals leisten können.

Die Reichen der Stadt fliegen dagegen mit dem Helikopter nach Valle Nevado - zum Heli-Skiing. Etwa 600 Doller kostet der Trip. Heli-Skiing ist auch bei den Touristen gefragt. 1994 war der Helikopter im Winter 15 Stunden unterwegs. Heute fliegen mehrere Hubschrauber in 120 Stunden etwa 1200 Abfahrer auf unberührte Tiefschneepisten an die Hänge des ¸¸El Plomo" oder des 4700 Meter hohen Berges ¸¸Bismark". Die meisten Gäste sind Brasilianer, Argentinier oder Mexikaner. Auch Amerikaner und Europäer haben Chile inzwischen als Wintersportziel entdeckt.

Von Santiago fliegt man im Heli eine Viertelstunde bis Valle Nevado. Mit dem Auto braucht man eineinhalb Stunden. Es sind nur knapp 60 Kilometer ins Skigebiet, aber der Teerweg, der zu den Liften führt, hat 43 spitze Kehren und die Straße ist eng. Bis in den dritten Gang kommt man beim Schalten nicht. Wenn es heftig schneit, kapituliert auch der Schneepflug vor dem Zickzack-Kurs. Auf einem Straßenschild kurz vor dem Hochplateau steht: ¸¸Wenn Chile wächst, wachsen wir auch." Vor allem soll hier jetzt der Wintertourismus wachsen.

Bisher ist Valle Nevado ein Komplex von fünf Hotels und Apartmenthäusern mitten in den Anden. Neue Ferienwohnungen werden gerade gebaut. Erweiterungspläne gibt es auch für das Skigebiet, schon jetzt hat man jedoch auf den 37 Pistenkilometern genügend Platz. Der Schnee ist trocken, kompakt und gut präpariert. Vorigen September eröffneten die Snowboarder ihre Weltcup-Saison in der Halfpipe von Valle Nevado. Seit 1992 kommt Wolfgang Maier, Trainer der deutschen Abfahrerinnen, im August mit dem Nationalteam zum Training hier her. ¸¸In der Sommerzeit gibt es kein besseres Skigebiet", sagt er. Es sind 34 Pisten in Valle Nevado, außerdem hat man Anschluss an die benachbarten Skigebiete Colorado und La Parva.

Von sieben Uhr an trainiert der Kader um Slalom-Olympiasiegerin Hilde Gerg am Hang La Diablada. Auch die Nationalteams aus Italien, Frankreich und Canada fahren hier. Für Maier hat Valle Nevado viel gemeinsam mit den Pisten in Nordamerika: ¸¸Hohe Lage, trockene Luft. Man kann extrem gut Tiefschnee- und Heli-Skifahren, für Touristen ist es angenehm", sagt er - auch wenn man sich an die dünne Luft gewöhnen müsse.

Christian Rebron hat sich daran gewöhnt, das halbe Jahr in mehr als 3000 Metern Höhe zu verbringen. Dort, wo keine Bäume wachsen. Der Franzose ist Skilehrer in Valle Nevado, einer von 50. Die Pisten, meint er, seien ähnlich wie die in Frankreich. Rebron kommt seit 18 Jahren nach Chile weil er die Anden ¸¸gigantisch" findet. Für den 49-Jährigen hat Valle Nevado ¸¸europäischen Standard", er nennte es ¸¸das südamerikanische Courchevel". Der Skilehrer sagt: ¸¸Die Südamerikaner sind sympathische Kunden, viel entspannter als Europäer. Sie wollen lieber Erholung als anstrengenden Skiunterricht."

Rebron wohnt 300 Meter entfernt von den Hotels, weiter unten am Hang, in einem der Häuser, die der Abhang vor den Blicken der Touristen verdeckt. Er nennt die Hütten ¸¸Bronx" oder ¸¸Favela". Dort wohnen alle Bediensteten von Valle Nevado. Sie teilen zu Viert ein Zimmer, zu Acht ein Bad. Skiman Freddy wohnt auch dort. Seine Abende verbringt er meist mit anderen Angestellten beim Billard in der lädierten Turnhalle nebenan. In die noblen Bars der Hotels dürfen die Bediensteten nicht. Die fünf Restaurants sind für sie ohnehin zu teuer.

Freddy strahlt trotzdem. Denn mit dem Skiman-Zimmer hat er jetzt ein eigenes, kleines Reich. Er hat die chilenische Nationalflagge an die Holzwand über der Garderobe gepinnt. Nach zwei Jahren als Kofferträger im Hotel hat er herausgefunden, dass er im Skiraum mehr Trinkgeld bekommt. 10 000 Pesos sind es im Schnitt. Ein Argentinier hat ihm mal 100 Doller gegeben - einfach so. Auf einen Schlag. Als Freddy sich an den Tag erinnert, strahlen seine Augen.

Es war ein schöner Morgen, an dem der Mann ihm den Geldschein in die Hand drückte. In der Mittagspause fuhr Freddy dann hinauf zum höchsten Punkt des Skigebiets auf 3670 Meter. Der Tellerlift Tres Puntas schleppte ihn den Hang hinauf, vorbei an schwarzen Vulkanquadern, das Wetter war fabelhaft, die Aussicht berauschend und Freddy war froh. Er nahm seine Lieblingsabfahrt, eine blaue Piste mit Namen ¸¸Walzer" und wedelte beschwingt zurück in sein warmes Reich. Dort half er seinem nächsten Gast zufrieden in die vorgewärmten Skistiefel.

Information: Die Skisaison in Chile dauert von Juni bis Oktober. Reisen in die Skigebiete von Valle Nevado und Chillan organisiert: Aha Travel, Postfach 05, 63854 Bessenbach, Tel. 06095/992365, Fax -992381, E-mail: aha-travel@t-online.de, www.ahatravel.de. Der Flug und sieben Übernachtungen mit Vollpension und Skipass kosten ab 1498 Euro.

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