Süddeutsche Zeitung

Silvester in Reiseländern:Klöße und andere Gefahren

Warum Chinesen zur Jahreswende Mandarinen ins Meer werfen, Italiener gerne Rot sehen und Japaner sehr riskant feiern: Ein Blick auf Rituale und Bräuche rund um den Globus.

Spanien

Der Silvesterabend in Spanien beginnt ganz konventionell und vernünftig: Mit einem großen Familienessen, das eine gesunde Grundlage für die bevorstehenden Feierlichkeiten schafft. Es schließt meist so gehaltvolle Kost wie Shrimps, Lamm oder Truthahn ein.

Zum Läuten der Kirchenglocken um Mitternacht kommt dann die glückbringende Nachspeise auf den Tisch: Mit jedem Glockenschlag muss eine Weintraube verschluckt werden. Seit 1909 gibt es den Brauch, erfunden von Weinbauern in Alicante, die ihre überschüssige Jahresernte loswerden wollten. Heute folgt fast jeder Spanier dieser Tradition.

Bereits am 28.12, dem "Tag der Verrückten", treibt man in Alicante an der Costa Blanca dem alten Jahr mit Mehl, Eiern und Feuerwerkskörpern die Faxen aus. Das Spektakel findet dort bereits seit 200 Jahren statt. Weissgewandete und Mehlbestäubte bitten in den Geschäften der Stadt um Spenden, die dann an Wohltätigkeitsorganisation weitergeleitet werden.

Schweiz

Im schweizerischen Appenzell gehen an Silvester die "Chläusle" um. Am 31. Dezember in aller Frühe treffen sich die jungen Leute eines Ortes in Sechsergruppen und verkleiden sich, um dann im Morgengrauen loszuziehen.

Es gibt schöne, "schön-wüschte" und "wüschte Chläusle". Die schönen "Chläusle" tragen Samtanzüge, Masken mit ebenmäßigen Zügen und mehrere Kilo schwere Kopfbedeckungen mit aufwendigen Verzierungen: oft handgeschnitzte Szenen aus dem ländlichen Leben.

Die "schön-wüschten Chläusle" tragen Masken aus Naturmaterialien wie Flechten und Baumrinde, während die "wüschten Chläusle" ihre Gesichter hinter furchteinflößenden, dämonischen Tiermasken verbergen. Bis Mitternacht vertreiben die "Chläusle" durch Jodelgesänge, ritualisierte Drehungen und schepperndes Glockenläuten die bösen Geister des alten Jahres.

Italien

In Italien ist zunächst kein großer Unterschied zum deutschen Silvester auszumachen: Erst wird gegessen und getrunken, dann feiern die Italiener mit Feuerwerk auf den Straßen.

Doch das Silvestergeheimnis liegt unter der Oberfläche: Je nach Temperatur verbergen mehrere Schichten Kleidung den Glücksbringer für das kommende Jahr. Rote Unterwäsche ist am 31. Dezember Pflicht, vor allem für Frauen. Denn was so schön aussieht, kann einfach nichts Schlechtes verheißen.

Russland

In Russland ist an Silvester Weihnachten. Manchmal zumindest. Das liegt am Julianischen Kalender, nach dem sich auch die anderen Länder orthodoxen Glaubens richten. Demnach fällt Weihnachten auf den 7. Januar.

In vielen Familien wird Weihnachten und Silvester zusammen am 31. Dezember gefeiert. Mit der Revolution 1917 wurde nämlich das christliche Weihnachtsfest abgeschafft, einige Bräuche übernahmen die Russen einfach am Neujahrsfest. Seit 1991 ist Weihnachten wieder ein offizieller Feiertag, trotzdem ist das Neujahrsfest nach wie vor das größere Ereignis.

Am wichtigsten ist am 31. Dezember das Schmücken der Jolka - des russischen Weihnachtsbaumes. Traditionell wird er mit Lametta, Papierschlangen, bemalten Glaskugeln und Motiven von Väterchen Frost (der russische Weihnachtsmann) und Snjegurotschka (seine schöne Enkelin) dekoriert.

Oben auf den Baum wird ein roter Stern gesteckt, der noch aus der Sowjetzeit stammt und den roten Stern auf dem Kreml symbolisiert. In den letzten Jahren wird er immer häufiger durch Glasfiguren ersetzt.

In vielen Ländern

wünscht man sich am 31.12. um Mitternach "Prosit Neujahr!" Was bedeutet das eigentlich? Prosit geht im Lateinischen zurück auf das Verb "prodesse" (= "nützen", "zuträglich sein") und ist die konjugierte Form (3. Person Singular Konjunktiv Präsens). Übersetzt bekommt es den Sinn einer Wunschformel: "Es möge nützen" beziehungsweise "Es möge zuträglich sein".

Schottland

Das schottische Silvester heißt Hogmanay. Es wird ausgiebig gefeiert, oft bis zum 2. Januar, und es gibt jede Menge Bräuche. Wohl am weitesten verbreitet ist das "first-footing", das unmittelbar nach Mitternacht beginnt. Man sollte dabei der Erste sein, der die Türschwelle eines Freundes oder Nachbarn überschreitet.

Mit leeren Taschen sollte man aber nicht dastehen. Traditionell hoch im Kurs stehen als Gaben Shortbread, Black Bun (ein Fruchtpudding) und natürlich Whisky. Dann wird gemeinsam bis in die Morgenstunden gefeiert.

Da das "first-footing" Glück fürs ganze Jahr bringen soll, ist es wesentlich, dass es sich beim Überbringer um eine passende Person handelt. Passend heißt auf schottisch: Nach Möglichkeit steht zu Hogmanay ein großer, gutaussehender, dunkelhaariger Mann vor der Tür.

Brasilien

In Brasilien legt man besonderen Wert auf kollektive Ästhetik: Zum Jahreswechsel ist weiße Kleidung von Kopf bis Fuß angesagt - auch wenn es sich dabei oft nur um Bikinioberteil und Hüfttuch handelt. Denn die Party findet, wenn das Meer in der Nähe ist, am Strand statt.

Dort werden als Opfergabe für die Meeresgöttin Yemanjá kleine Schiffchen, beladen mit Süßigkeiten, Zigaretten, Alkohol oder Kerzen ins Meer gesetzt. Dann hüpfen die Brasilianer selbst über sieben Wellen - damit sieben Wünsche in Erfüllung gehen.

Auch beim Essen ist man in Brasilien abergläubisch: Zu Silvester eine Feijoada (Bohneneintopf) zu verspeisen ist angeblich gut für die Finanzen. Günstig für die Liebe soll es sein, sieben Traubenkerne in Papier zu wickeln und aufzubewahren. Sogar die Wahl der Unterhose spielt eine Rolle: Gelb steht für Wohlstand, Weiß für den Frieden, Rosa für die Liebe und Rot für die Leidenschaft.

Peru

Alljährlich treffen sich in Lima hinter dem Präsidentenpalast auf dem San Cristobal Hügel peruanische Schamanen, um ihre Prophezeiungen fürs neue Jahr kundzutun. In ihren Vorhersagen bedenken sie nicht nur das eigene Land sondern auch internationale Politiker und Prominente von US-Präsident Barack Obama bis zum Fußballstar Cristiano Ronaldo.

Außerdem beten die Schamanen für ein besseres Verständnis der lateinamerikanischen Nationen untereinander und für Frieden und Entspannung in der Welt.

Argentinien

An Silvester schneit es in Argentinien. Immer. Für echten Schnee ist es allerdings, zumindest in Buenos Aires, viel zu warm. Deshalb wird er selbst gebastelt. Alte Akten und Unterlagen werden in kleine Fetzen gerissen und aus dem Fenster geworfen. Nach und nach bedecken sie die Straßen mit einem weißen Schnipselteppich.

Der Brauch soll - symbolisch und tatsächlich - von den Lasten des alten Jahres befreien. Nur die Müllabfuhr hat viel zu tun am nächsten Tag und fängt das neue Jahr mit einer Last an...

Japan

Silvester kann gefährlich sein, und zwar nicht nur durch fehlgeleitetes Feuerwerk: In Japan ersticken jedes Jahr Menschen an den klebrigen Reisklößen Mochi. Sie werden aus Klebreis gestampft und traditionell am Neujahrsmorgen verzehrt.

Wegen der Erstickungsgefahr - 1998 beispielsweise starben 21 Leute, weil ihnen Mochi im Hals stecken geblieben waren - gibt die Feuerwehr jedes Jahr eine Warnung für den Notfall heraus: Mochi als Suppe oder kleingeschnitten essen, ältere Menschen beim Verzehr beaufsichtigen, bei akuter Erstickungsgefahr die Ambulanz alarmieren und versuchen, den Mochi mit einem Finger aus dem Rachen zu entfernen. Wenn das nicht klappt: Opfer mit nach vorne gestrecktem Gesicht auf den Bauch legen und mit der Hand zwischen die Schulterblätter schlagen.

Das Neujahrsfest dauert in Japan bis zum 7. Januar.

China

Nach einer Legende gab es im alten China ein räuberisches, menschenfressendes Untier, Nyan, das sich unbemerkt in die Häuser schleichen konnte. Nyan war aber recht empfindlich, was Lärm und die Farbe Rot betraf: Deshalb konnte man ihn mit Krach, Feuerwerk und rotem Beiwerk in die Flucht schlagen. In dieser rituellen Vertreibung wurzeln zumindest einige der unzähligen chinesischen Silvesterbräuche.

Das "Reunion-Dinner" versammelt am letzten Tag des alten Jahres alle Familienmitglieder. Kinder und Unverheiratete bekommen Geldbeträge in kleinen roten Tüten mit Glückssymbolen. In einigen Regionen ist es Tradition, dass Unverheiratete Mandarinen ins Meer werfen, um Ehepartner zu finden. Früher schrieben junge Frauen ihre Namen auf die Mandarinen in der Hoffnung, ein unverheirateter Fischer würde sie entdecken und sich auf die Suche nach ihnen machen.

Um 23 Uhr werden die Fenster geöffnet, damit das neue Jahr in die Häuser eintreten kann.

Der Termin für das chinesische Neujahrs- oder Frühlingsfest errechnet sich nach dem chinesischen Kalender: Es findet in der Regel am Tag des zweiten Neumonds nach der Wintersonnenwende statt.

Israel

Rosch ha-Schanah - zu deutsch Jahresbeginn - ist das jüdische Neujahrfest. Es soll zur Besinnung und Umkehr anregen. Während des Gottesdienstes wird deshalb auf einem Widderhorn geblasen - sein Schmettern soll die Menschen veranlassen, ihre Taten zu überdenken, sündhafte Gedanken zu verbannen.

Das jüdische Neujahrsfest leitet zehn Tage des Gedenkens an die Erschaffung der Welt im Jahre 3761 v. Chr. ein. Die Zeitrechnung des jüdischen Kalenders, der in Mondmonate und Sonnenjahre aufgeteilt ist, wird darauf zurückgeführt. Nach dem gregorianischen Kalender findet das jüdische Neujahrsfest entweder Ende September oder Anfang Oktober statt. Am Ende der zehn Tage steht der höchste Feiertag des jüdischen Jahres: Yom Kippur.

Damit das neue Jahr glücklich wird, serviert man in jüdischen Familien am Neujahrsabend verschieden Süßspeisen. Der deutsche Silvesterwunsch "Guten Rutsch!" ist übrigens wahrscheinlich aus dem jiddischen Gruß "Gut Rosch" (Rosch bedeutet Kopf, Anfang) entstanden und hat mit Rutschen gar nichts zu tun.

Wien

Bei Walzer-Schnellkursen auf dem Rathausplatz können sich Tanzmuffel am Nachmittag des 31.12. noch schnell den letzten Schliff holen, bevor um Mitternacht die Pummerin, die große Glocke im Stephansdom, das neue Jahr einläutet. Und dann heißt es in weiten Teilen der Innenstadt "Walzer marsch!"

Und auch in Italien und in Russland gibt es noch besondere Bräuche an Silvester:

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