Reisefotograf Manuel Martini:Das Meer? Beinahe

Der Baikalsee ist so groß, dass er selbst einen Fotografen vom Bodensee überwältigt. Manuel Martini kommt aber auch nach Sibirien, um Wanderern den Weg zu bahnen.

Von Eva Dignös

13 Bilder

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini; Manuel Martini

1 / 13

Wasser. Unendlich viel Wasser. Ein See wie ein Meer. Kein See auf der Erde ist tiefer, bis zu 1600 Meter sind es bis zum Grund. Ein Fünftel des weltweit vorhandenen - und nicht gefrorenen - Süßwassers passt hinein. Der Baikal im weiten, einsamen, wilden Sibirien ist ein See der Rekorde und der Mythen: Ein paar Tropfen Wodka muss jeder Besucher dem See-Gott Burchan opfern, um ihn gnädig zu stimmen. 2012 kam Fotograf Manuel Martini zum ersten Mal an den Baikalsee. Fasziniert vom Zauber dieses Orts, kehrte er mittlerweile zweimal dorthin zurück. Weitere Reisen werden folgen, ist er sich sicher - auch wenn die Anfahrt etwas zeitraubend ist.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

2 / 13

Denn nicht der vergleichsweise gut erschlossene Süden mit der Stadt Irkutsk war sein Ziel, sondern das Nordostufer, eine Region ohne Straßen und Bahnlinien, mit dichten Wäldern, eingerahmt von den Höhenrücken der Südsibirischen Gebirge. Dort betreut der Verein "Baikalplan" aus Dresden ein Teilstück des geplanten "Great Baikal Trail". Freiwillige helfen, den Fernwanderweg gangbar zu halten und die Route zu kennzeichnen; der Fotograf aus Konstanz am Bodensee war bei seiner ersten Reise im Jahr 2012 einer von ihnen. Auch im Sommer 2019 sollen wieder Markierungen für den "Frolikha Adventure Coastline Track" gesetzt werden. Benannt ist er nach einem etwas oberhalb des Baikals gelegenen Bergsee. Rund 120 Kilometer ist der Wanderweg dann lang, gedacht auch als Chance, in noch weitgehend unberührter Natur eine nachhaltige Form des Tourismus zu etablieren.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

3 / 13

Je nach Verbindung dauert die Bahnfahrt von Irkutsk 30 bis 40 Stunden. Oder 92 Stunden, wenn man gleich in Moskau in die Transsibirische Eisenbahn steigt (lesen Sie hier eine SZ-Reportage über eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn im Winter). Scheinbar endlose Wälder und winzige Dörfer ziehen am Fenster vorbei: "Der Zug wird zu einer fahrenden Welt mit ihrer eigenen Geschwindigkeit", erzählt Martini, der vor allem als Architektur- und Landschaftsfotograf arbeitet. 20 Minuten können sich wie Stunden anfühlen - oder viele Stunden subjektiv auf einen viel kürzeren Zeitraum zusammenschnurren. Und immer wieder lohnt ein Blick aus dem Fenster.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

4 / 13

Denn in der Monotonie der Birkenwälder offenbaren sich überraschende Ausblicke, die auch kleine Einblicke gewähren in das Leben in Sibirien, das rund drei Viertel des russischen Staatsgebiets ausmacht. Da ist zum Beispiel das parkende Auto am Straßenrand, in dessen Schatten sich der Fahrer ausruht. Die Schotterpiste ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Wer den Norden des Baikalsees mit dem Auto zu erreichen versucht, muss 700 Kilometer auf unbefestigten Straßen zurücklegen. Vom Ort Severbaikalsk am Nordwestufer des Sees geht es dann mit dem Schiff zum Ausgangspunkt des Wanderwegs.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

5 / 13

Hütten gibt es nur vereinzelt entlang des Trekkingtrails - aber viele Sandbuchten, in denen die Wanderer ihr Lager aufschlagen können. Auch die Camps der freiwilligen Helfer sind schlicht. Ein paar Zelte, ein Lagerfeuer. Der Proviant muss mitgebracht werden, der Wald liefert denen, die sich auskennen, je nach Jahreszeit Pilze und Beeren. Und beim Angeln kann man Glück haben - "oder auch nicht". Die digitale Welt allerdings rückt Jahr für Jahr näher: "Bei meinem ersten Aufenthalt am Baikalsee musste man für Mobilfunkempfang zwei Stunden bis zur nächsten Antenne laufen und hoffen, dass das Dieselaggregat gerade in Betrieb war. Beim letzten Mal hatten wir im Camp fast durchgehend Empfang", erzählt Manuel Martini.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

6 / 13

Doch auch mit Handyempfang haben die einsamen Buchten für den Fotografen ihren Zauber behalten. "Diese Wildnis, das kannte ich aus Mitteleuropa vorher nicht." Weit weg von der gewohnten Zivilisation, ohne die üblichen Ablenkungen: "Ich habe mich dort lebendig gefühlt", erzählt er. Und selbst für jemanden, der an Deutschlands größtem See lebt, sind die Ausmaße des Baikalsees beeindruckend. Fast 700 Kilometer ist er lang, das ist mehr als die Luftlinie zwischen München und Hamburg. Manchmal peitscht ein Sturm das Wasser zu Wellen, die sich auch auf hoher See blicken lassen könnten, manchmal erstreckt sich eine spiegelglatte Wasserfläche bis zum Horizont, "der Bodensee wirkt regelrecht klein dagegen", sagt Martini.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

7 / 13

Dichte Fichten- und Birkenwälder wachsen entlang des Sees. Sie werden nicht bewirtschaftet, das Dickicht ist weitgehend weglos. "Man steht in einem so saftigen Grün, das ist unvergleichbar."

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

8 / 13

Der Wanderweg folgt alten Pfaden. Jäger haben sie angelegt, Tiere haben sie auf ihren Streifzügen durch die Wildnis getrampelt. Elche gibt es, auch Bären - "aber gesehen habe ich nie einen", erzählt Martini. "Das sind riesige Territorien, der Bär sucht das Weite und nicht den Kontakt zu den Menschen." Die Gefahren seien eher selbst gemacht: An eine Wanderung mit schlechtem Zeitplan, die ohne Stirnlampe schließlich im Dunkeln fortgesetzt werden musste, erinnert er sich nicht gern zurück.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

9 / 13

Orangefarbene Pfeile markieren den Frolikha Adventure Coastline Trail, die freiwilligen Helfer malen sie an Felsen und nageln sie an Bäume. Verändert wird an der Natur so wenig wie möglich, allenfalls Wurzeln herausgeschnitten, wenn sie für die Wanderer mit schwerem Rucksack auf dem Rücken zu mühsam zu passieren wären. Den Trail einigermaßen erkennbar zu halten, ist Arbeit genug. Einige Hundert Wanderer gehen den Weg pro Jahr, die Natur erobert ihn sich deshalb schnell zurück. Die Wanderung ist kein Spaziergang: Es geht durch Wälder und Moorgebiete, über Felsbrocken und manchmal auch durch einen Fluss hindurch - zahllose Wasserläufe nähren den Baikalsee.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

10 / 13

Das Wasser des Sees ist besonders sauber und klar. Verantwortlich dafür ist nicht nur die Tatsache, dass die Uferbereiche vor allem im Norden industriell kaum erschlossen sind. Winzige Flohkrebse sind die biologische Kläranlage des Baikals, das Wasser hat fast überall Trinkwasserqualität. Seine Vielfalt an Pflanzen und Tieren, die nur im Baikal heimisch sind, brachte dem See 1996 einen Welterbe-Titel der Unesco ein. Weite Bereiche sind als Nationalpark geschützt, Umweltschützer sind trotzdem in Sorge angesichts geplanter Bauprojekte vor allem chinesischer Investoren: Eine Petition gegen den Bau einer Trinkwasser-Abfüllanlage wurde von 900 000 Menschen unterzeichnet und das Projekt von einem Gericht vorerst gestoppt.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

11 / 13

Aber soll man eine an vielen Stellen noch weitgehend unberührte Landschaft touristisch erschließen? "Natürlich stellt sich diese Frage, solche Projekte sind ein Balanceakt", sagt Manuel Martini. Aber möglicherweise helfe der Trail sogar, umweltgefährdende Projekte, beispielsweise große Hotelanlagen samt Infrastruktur, zu verhindern. "Wenn sich die Region schon vorher als Abenteuerdestination etabliert und die Menschen vor Ort merken, dass sie auch von dieser Art von Tourismus profitieren, dann sind sie vielleicht bereit, ihre Lebensgrundlage zu schützen. Oder zumindest die Großprojekte abzuwenden, die ihre Lebensqualität wieder gefährden", sagt Martini. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass ein Projekt wie der Weitwanderweg - als Selbstversorger-Trekkingtour ohnehin kein massentouristisches Angebot - durchaus positive Impulse setze: Am Ausgangsort eröffneten kleine Hostels, Einheimische bieten einen Gepäcktransport auf dem Wasserweg an.

Baikalsee Sibirien

Quelle: Manuel Martini

12 / 13

Und ein bisschen Zivilisation in Form von Bett und warmer Dusche nach mehreren Tagen in der Wildnis ist auch für den Wanderer ganz angenehm - selbst wenn, so erinnert sich Manuel Martini, "ein Gang über einen Markt dann zu einer echten Herausforderung für die Sinne wird".

-

Quelle: Illustration Jessy Asmus

13 / 13

Manuel Martini lebt in Konstanz und arbeitet vor allem als Architektur- und Landschaftsfotograf. Fragile Ökosystem wie der Baikalsee faszinieren ihn besonders. Das hat ganz konkrete Auswirkungen auf seine Arbeitsweise: Wenn möglich, fährt er mit dem Fahrrad zum Shooting. Seine Bilder zeigt er auch in Ausstellungen und hier auf seiner Website.

In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien, nach Mexiko und Sudan sowie an die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will. Und Filmliebhaber finden hier berühmte Szenen passgenau in die Originalschauplätze eingefügt.

© SZ.de/kaeb
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: