Süddeutsche Zeitung

Shangri-La Hotel in London:Als würde man schweben

Das neue Shangri-La Hotel im Shard, dem derzeit höchsten Gebäude Westeuropas, besticht vor allem durch die Aussicht auf London. Von dort oben können die Gäste getrost über das Einheitsdesign und unverhoffte Einblicke in Nachbarzimmer hinwegsehen.

Von Alexander Menden

Eine Anfrage bekommen die Rezeptionistinnen des Londoner Shangri-La Hotels besonders häufig zu hören: "Könnten wir am Soundsovielten mit unserer Hochzeitsgesellschaft vorbeikommen?" Und fast ebenso häufig müssen die Damen an der Rezeption freundlich, aber bestimmt ablehnen. Nicht, dass das erst im Mai eröffnete Hotel schon völlig überbucht wäre mit Hochzeiten. Aber viele der Frischgetrauten wollen gar nicht mit ihren Gästen im Shangri-La feiern. Sie möchten nur ein paar Fotos in der "Level 34 Lobby" machen und dann weiterziehen, vermutlich in ein etwas preisgünstigeres Etablissement.

Was zunächst womöglich ein bisschen dreist wirkt, wird verständlicher, wenn man selbst aus dem Lift tritt, der die 35 Stockwerke von der Straße zur Eingangshalle des Shangri-La so rasch überwindet, dass einem die Ohren knacken. Nicht an der Marmorauskleidung oder den luxuriösen Orchideenarrangements bleibt der Blick des Besuchers hängen. Er wird vielmehr von dem angezogen, was sich draußen, unterhalb der Glasfassade des Shard, erstreckt.

Die nach oben zackig auslaufende "Glasscherbe", entworfen vom italienischen Architekt Renzo Piano und von den Investoren aus Katar von Beginn an als Touristenattraktion geplant, ist mit 310 Metern Höhe nicht nur das derzeit größte Hochhaus Westeuropas. Sie hat sich binnen Kurzem auch zu einer der begehrtesten Aussichtspunkte Londons entwickelt. Wie beliebt The Shard zumindest in dieser Hinsicht ist, beweisen die langen Schlangen, die sich am Fuß des Wolkenkratzers bilden. Von dort rasen die Besucher mit einem noch schnelleren Lift zur Aussichtsplattform auf 225 Meter hinauf. Der weite Blick, der sich von dort oben bietet, hat jedoch zwei entscheidende Nachteile: Erstens muss man pro Person umgerechnet rund 30 Euro für ihn bezahlen. Und zweitens ist die Plattform im 72. Stockwerk schlicht ein Stück zu hoch; man ist zu weit entfernt vom Gewimmel auf Londons Straßen. Das ist natürlich spektakulär, aber der Blick ist dem beim Anflug auf den nahen City Airport nicht unähnlich. Ein bisschen unpersönlich eben.

Das Shangri-La hingegen liegt auf einer Höhe, von der aus man noch immer einen phantastischen Überblick hat, gleichzeitig aber noch alle Einzelheiten erkennen kann: Östlich liegen die Tower Bridge und, am anderen Ufer, der Tower sowie die gläserne City Hall; im Südwesten Tate Modern, Millennium Bridge und St Paul's Cathedral. Die Stadt ist hier ein Paradies dramatischer Blickachsen, besonders für Wolkenkratzer-Fans. Auf der gegenüberliegenden Themseseite, in der City, ragen die Gebäude wie ein Strauß aus Glas und Stahl empor. In der diesigen Ferne grüßen die phallischen Kommerz-Wahrzeichen der Docklands. Der Besucher bekommt in einem Aufwasch - und viel detaillierter als von der Aussichtsplattform - , das gesamte Stadtpanorama geboten. Keine Frage, dieser Blick ist das, was man ebenso unschön wie treffend das Alleinstellungsmerkmal des Hotels nennen darf.

Am Abend bieten die verglasten Räume interessante Einblicke ins Nachbarzimmer

Ansonsten bietet diese jüngste Dependance einer von Singapur und Hongkong aus agierenden Hotelkette nicht mehr, als man von einem Haus dieser Preislage erwarten darf: Das Einheitsdesign hat fernöstliche Anklänge, ohne dabei besonders originell oder einprägsam zu wirken. Das Menu des "Ting"-Restaurants bietet sowohl "Modern British" als auch Asiatisches. Der asiatische Afternoon Tea hebt sich mit Chinesischer Eierpuddingtorte und Garnelen-Teigtaschen von den sonst in den Luxushäusern der Stadt üblichen Gurkensandwiches angenehm ab. Die Zimmer - bisher sind 59 geöffnet, im Juli sollen alle 202 zur Verfügung stehen - gingen schon vor der Eröffnung durch die englische Presse: Durch das Design des Shard ergeben sich in manchen Räumen abends per Spiegelung in den verglasten Eckverstrebungen interessante Einblicke in die Nachbarzimmer. Nichts, was man mit einem heruntergezogenen Rollo nicht beheben könnte. Die direkt am Fenster des Badezimmers platzierten Wannen machen allerdings eine Vorwarnung der Gäste nötig, wenn ein Besuch des Fensterputzers ansteht.

All das tritt in den Hintergrund, sobald man sich dem Blick widmet. Und dieser ist es ohne Zweifel auch, der gerade am Sonntag, wenn die Gegend um die London Bridge herum mehr oder weniger den Betrieb einstellt, noch reichlich Laufkundschaft ins Hotel lockt. Die Gong Bar im 52. Stock hat soeben das Vertigo 42 in der City als höchstgelegene Bar Londons abgelöst. Wenn man hier abends einen Fensterplatz ergattert und an seinem "Big Smoke"- oder "Lost Horizon"-Cocktail nippt, dann fühlt es sich beim Anblick der blinkenden Metropole zu Füßen des Shard ein bisschen so an, als würde man schweben.

Anreise: Mit verschiedenen Fluglinien nach London, hin und zurück ab etwa 150 Euro. Unterkunft: Shangri-La Hotel in The Shard, das Superior-Doppelzimmer kostet rund 600 Euro pro Nacht, www.shangri-la.com Aussichtsplattform: www.the-shard.com

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1993133
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.06.2014/cag
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.