Süddeutsche Zeitung

Tourismus auf den Seychellen:Nicht genug für alle da

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Lassen sich Umweltschutz und Luxusurlaub vereinbaren? Die Seychellen stehen für beides, aber es zeigt sich: Nachhaltigkeit geht nur so weit, wie der Gast es zulässt.

Von Win Schumacher

Wenn der Dschungel auf Praslin erwacht, sind die Paradiesvögel schon da. Mohnrote Madagaskarweber, Zebratäubchen und Hirtenstare finden sich bereits im Morgengrauen auf der Hotelterrasse ein. Angst vor dem Menschen kennen sie kaum. Der gerade Angereiste blickt über wogende Palmwedel auf den Indischen Ozean und wähnt sich in einem Garten Eden. Der Mensch, so scheint es, hat hier allein die Rolle des staunenden Betrachters in einer überbordenden tropischen Natur.

Die Seychellen gelten weithin als Rückzugsort für Luxustouristen mit grünem Gewissen. Die Inselnation hat als eines der ersten Länder der Welt den Naturschutz in ihrer Verfassung verankert, mehr als die Hälfte der Landesfläche ist geschützt. Bettenburgen wie am Mittelmeer und in der Karibik gibt es nicht. Der Archipel aus 115 Inseln mag in Sachen Umweltschutz Mauritius und den Malediven um Jahrzehnte voraus sein. Doch auch auf den Seychellen ist nicht alles so strahlend wie in den Hochglanzbroschüren. Schon die bunte Vogelschar auf der Hotelterrasse gehört eigentlich nicht ins Paradies. Die hübschen Webervögel und Zebratauben wurden vom Menschen eingeführt. Der Hirtenstar oder Maina hat als invasive Art gemeinsam mit eingeschleppten Ratten und Katzen einige endemische Vögel der Seychellen an den Rand der Ausrottung gedrängt.

Die ersten europäischen Seefahrer, die die Seychellen im 16. und 17. Jahrhundert besuchten, beschrieben eine von Abertausenden Vögeln beheimatete Inselwelt. Einige davon gibt es inzwischen nur noch auf streng überwachten Inselchen. "Ich bin nicht sicher, ob wir uns in eine gute Richtung entwickeln", sagt Akash Paunikar von der Marine Conservation Society der Seychellen (MCSS). Der 21 Jahre alte Umweltschützer betreut ein Projekt zur Korallenrestauration auf Praslin, der zweitgrößten Insel der inneren Seychellen. Seit den letzten 25 Jahren ist ein Großteil der Riffe zunehmend von Korallenbleiche betroffen. Indem sie Fragmente aus absterbenden Riffen entfernt und unter menschlicher Obhut aufzieht, versucht die MCSS in Zusammenarbeit mit einigen Hotelresorts wie dem luxuriösen Raffles, das Sterben des Ökosystems zu stoppen. Der Klimawandel, die Verschmutzung und Überfischung des Meeres machen es ihnen nicht leicht.

Paunikar setzt sich auch für die Meeresschildkröten der Seychellen ein. Auf den Hauptinseln Mahé und Praslin gebe es kaum noch unbebaute Buchten für ihre Eiablage. Die Hotelstrände kämen dafür nicht mehr infrage. "Auch hier macht sich immer mehr Beton breit", sagt er.

Jeder, der genügend Geld mitbrachte, so scheint es, konnte sich im vergangenen Jahrzehnt auf den Seychellen seinen Traum vom Insel-Hideaway erfüllen. Etliche Hotelketten und einige Milliardäre haben sich die schönsten Plätze ausgesucht. Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan, Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate und Premierminister Abu Dhabis, stellte sich gleich eine sechsstöckige Schlossanlage auf einen Bergrücken auf Mahé. Die Verschmutzung durch den Bau löste Proteste in der Bevölkerung aus. Sie blieben weitgehend folgenlos.

In der Bucht von Victoria, nur wenige Hundert Meter vom Sainte-Anne-Marine-Nationalpark entfernt, wurde eine 56 Hektar große künstliche Insel aufgeschüttet. Auf Eden Island haben südafrikanische und österreichische Investoren mehr als 500 Residenzen bauen lassen. Mit dem Kauf einer der Luxusimmobilien erwerben reiche Ausländer gleich eine Aufenthaltsgenehmigung auf den Seychellen. Nach Angaben der Regierung sollte Eden Island Mahé vor noch dichterer Bebauung bewahren. "Nicht weniger als 43 Nationalitäten" hätten auf der künstlichen Insel Eigentum erworben, heißt es auf der Internetseite von Eden Island. Der durchschnittlich verdienende Seycheller wird wohl weiter an den von Erdrutschen gefährdeten Steilhängen der Insel nach Bauland suchen.

"Das Riff, auf dem Eden Island gebaut wurde, war eine wichtige Brutstätte für Graue Riffhaie", sagt Paunikar, "vor Mahé sieht man sie seither nur noch selten." Direkt im Sainte-Anne-Nationalpark öffnet im Oktober ein Club Med mit 294 Zimmern. Den Haien und Meeresschildkröten bleibt wohl nur der Rückzug in Richtung entlegener Inseln.

Auf Félicité, östlich von Praslin, kniet David Estellés im weißen Korallensand über der Spur einer Karettschildkröte. Um die Gelege zu überwachen, steckt der 25-jährige Meereswissenschaftler Holzstäbe in den Sand unter den Kokospalmen. Der Spanier ist für das Umweltprogramm des erst 2016 eröffneten Six Senses Zil Pasyon verantwortlich. Das Resort engagiert sich ebenfalls beim Schutz der Riffe. 1800 Korallenfragmente wurden vor der Küste verpflanzt. Estellés ist sich jedoch bewusst, dass das Projekt nur ein kleiner Beitrag zum Meeresschutz sein kann. "Wir können eine Menge Riffe restaurieren - wenn wir aber nicht alle unseren Lebensstil ändern, wird das nichts bringen."

Als eines der wenigen Resorts im Indischen Ozean leistet sich das Six Senses eine eigene Beauftragte für Nachhaltigkeit. Die Bioingenieurin Marta Cardoso überwacht die Umweltverträglichkeit des Hotelbetriebs. Stolz zeigt die 28 Jahre alte Portugiesin die Entsalzungsanlage, mit der aus dem Meer Trinkwasser gewonnen wird.

Besonders gerne führt sie Hotelgäste durch den Inselgarten. Kürzlich hat sich jedoch durch die starken Regenfälle eine Schlammlawine von dem nahen Steilhang über die Beete gewälzt. Weil Félicité mehr als 200 Jahre lang eine Kokosplantage war, wurde der fruchtbare Boden der Insel weitgehend ins Meer geschwemmt. "Es ist unheimlich schwer, die Beete mit organischem Dünger zu bewirtschaften", sagt Cardoso, "selbst wenn wir nur für Vegetarier oder Veganer kochen würden, wäre es kaum möglich, unseren Eigenbedarf zu decken."

Den Fisch für die Restaurants bekommt das Six Senses von einheimischen Fischern. Die Gäste eines Fünf-Sterne-Hotels erwarten jedoch mehr als Fisch- und Kokos-Currys. "Es ist ein ständiges Ringen um eine Balance zwischen den Ansprüchen der Touristen und einer verbesserten Nachhaltigkeit", sagt Cardoso. Nicht alle Touristen haben Verständnis für den Umweltschutz. Es gibt auch die, denen Komfort wichtiger ist als die Natur. Auf der Insel erzählt man sich Geschichten von solchen, die ihr Mineralwasser lieber aus Übersee einfliegen. Einer wollte das Personal gar beauftragen, die Korallen vom Strand wegzuräumen.

Den Mut, die japanische Wagyu-Rinderbrust, die australischen Lammkoteletts oder den Räucherlachs von der Restaurantkarte zu nehmen, hatte das Hotelmanagement bisher nicht. Entscheidender sei es auch, in Zukunft noch mehr auf Solarenergie zu setzen. Bisher wird der Großteil des Stroms durch einen Generator gewonnen. Man arbeite daran, in dieser Hinsicht noch besser zu werden, sagt der Resortmanager, der Neuseeländer Bryce Seator.

Noch eine Bootsstunde weiter draußen auf dem Ozean liegt die entlegenste Granitinsel der inneren Seychellen, Frégate. Als einzige inmitten des Indischen Ozeans gehört das Eiland zu den National Geographic Unique Lodges of the World. Der exklusive Hotelverbund hat ausschließlich Lodges im Portfolio, die sich besonders für Nachhaltigkeit und Naturschutz einsetzen.

Die Meeresbiologin Anna Zora ist am Nachmittag mit Gästen aufgebrochen, um sie durch das einzigartige Ökosystem Frégates zu führen. Auf den Wanderpfaden versperren ihnen bisweilen gewaltige Landschildkröten den Weg. "Keine andere Seychellen-Insel außer Aldabra hat mehr als Frégate", sagt die 37 Jahre alte Italienerin. Die Zahl der Riesenschildkröten wird auf 3500 geschätzt. Um die behäbigen Giganten hüpfen zahme Vögel. Sie erinnern an Amseln, jedoch mit einem strahlend weißen Pinselstrich auf den Flügeln. "Der Seychellendajal ist unser ganzer Stolz", sagt Zora. Weniger als 20 von ihnen soll es um 1990 noch auf Frégate gegeben haben. Es waren die letzten Überlebenden ihrer Art. Die Umwandlung des Eilands von einer Plantage in ein Ökoresort hat den Vogel wohl vor dem Aussterben gerettet. Inzwischen gibt es wieder mehr als 160 auf Frégate und weitere Populationen auf anderen Inselchen.

Seit mehr als 40 Jahren versucht Frégate, seine ursprüngliche biologische Vielfalt wiederherzustellen. Mehr als 100 000 Büsche und Bäume wurden gepflanzt. Tausende Seevögel nisten heute wieder hier. Coralive, eine Schweizer NGO zum Schutz der Riffe, betreut hier eines ihrer Restaurationsprojekte. Frégate steht mittlerweile Modell für die Renaturierung von Inseln weltweit. Finanziert wird der Naturschutz durch eine Klientel aus Wirtschaftsbossen, Politikern und Hollywoodstars, die sich für ihren Urlaub Weltabgeschiedenheit und eine kompromisslose Privatsphäre wünschen. Dafür zahlen sie auf Frégate mindestens 4000 Euro pro Nacht.

"Den meisten ist die Umwelt wichtig", sagt Zora, "aber es gibt natürlich auch Ausnahmen." Sie weiß, wie schwierig es ist, die hohen Ansprüche mit den Umweltstandards der Insel unter einen Hut zu bringen. Auch Frégate muss sämtliches Fleisch einführen. Da die Seychellen keine eigenen Recyclinganlagen haben, müssen geschredderte Getränkedosen und anderer Müll nach Indien ausgeschifft werden. "Nachhaltigkeit ist ein langwieriger Prozess", sagt Zora. Plastikflaschen hat Frégate längst verbannt. Im Moment überlegt sie, wie man die Nespresso-Maschinen der Gästevillen ersetzen könnte. Solarenergie soll irgendwann den Diesel-Generator überflüssig machen. Immerhin deckt der Biogarten je nach Saison 40 bis 80 Prozent des Inselbedarfs.

Einen Greta-Effekt gebe es auf den Seychellen nicht, sagt Zora. Aber hin und wieder fragen Gäste, ob sie einen Baum zur Kompensation ihrer Flugemissionen pflanzen könnten.

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SZ vom 27.02.2020
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