Kleine Skigebiete: Grächen im Wallis:Märchengondel und Mittagsschlaf

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Im Bergrestaurant Hannighuesli auf der Hannigalp können die skifahrenden Familien Pause machen. (Foto: Christian Perret/swiss-image.ch)

Sollen doch die anderen mit Pistenkilometern protzen: Der Skiort Grächen in der Schweiz setzt stattdessen voll auf Kinder.

Von Florian Sanktjohanser

Die Tür der Gondel hat sich gerade geschlossen, da legt die Erzählerin über den Lautsprecher schon los. So schwungvoll trägt sie die Grimm'sche Geschichte vom gestiefelten Kater vor, dass man auch als Erwachsener gern zuhört. Als sich nach acht Minuten die Türen an der Bergstation öffnen, hat der arme Müllersohn die schöne Prinzessin und das Königreich erobert. Und außen auf der Gondel lächelt der Kater verschmitzt.

Die Märchengondeln sind Teil eines großen Plans. Denn das recht überschaubare Skigebiet Grächen muss sich in Zeiten aberwitziger Pistenkilometer-Rekorde zwischen einigen Riesen der Westalpen behaupten, und das auch noch in der Schweiz, wo der starke Franken so manchen europäischen Gast fernhält. "Grächen hat sich bereits Anfang der 80er-Jahre für das Familienthema entschieden", sagt Berno Stoffel, 49, Chef der Touristischen Unternehmung Grächen AG, in der sich verschiedene Anbieter zusammengeschlossen haben.

Das kleine Dorf im Mattertal, Wallis, lebte gut damit. Nur wollte es in den Neunzigerjahren plötzlich trendy sein für die Snowboarder, denen damals noch die Zukunft gehörte. "Wir haben unser Profil verloren, uns verzettelt", sagt Stoffel heute. Als das Geschäft immer schlechter lief, entschied der Gemeinderat, zur alten Idee zurückzukehren. "Auch wegen unserer Größe", meint Stoffel. Grächen hat nur 42 Kilometer Piste, nichts im Vergleich zu den mächtigen Nachbarn. Das nur etwa 20 Kilometer taleinwärts gelegene Zermatt mit seinem internationalen Renommée kommt auf 360 Pistenkilometer, das im Paralleltal gelegene Saas-Fee auf immerhin noch 100. "Wenn wir den Kopf über Wasser halten wollen, müssen wir uns konsequent positionieren", sagt Stoffel.

Was er mit konsequent meint, wird gleich nach dem Aussteigen aus der Märchengondel, auf der Hannigalp in 2114 Meter Höhe, deutlich. Das sanft abfallende Schneeplateau ist das Herz des Skigebiets. Und eine einzige Spielwiese. Kinder rodeln zwischen Zauberteppich und gepolsterten Slalom-Dreiecken herab, im Familienpark drehen sich die Kleinen auf einem Karussell aus aufgeblasenen Reifen und krabbeln ins Kino-Iglu. In der Family Funslope jagen Teenager durch Steilkurven und springen über Schanzen. Und auf der Skimovie-Strecke kurven sie in Schusshocke den Riesenslalom hinab - mit Startpiepsen wie bei den Profis und finalem Jubel inklusive Kuhglockenläuten vom Band.

Wie mehr oder weniger schnell und elegant sie gefahren sind, sehen sie gleich nebenan, auf dem Fernseher im neuen Familienrestaurant. Vor der vergangenen Wintersaison wurde es renoviert, "Tische, Stühle, bis zur letzten Gabel ist alles neu", sagt Janneke Scheffer. Und natürlich alles familiengerecht. Die Restaurantchefin, 36, zeigt die Eistonne mit bunten Sirupgläsern, das große Regal mit Süßigkeiten, die Milchflaschenwärmer und die Stapel von Babystühlen. An den Theken bestellen sich Kinder Pizza und Nudeln in kleinen Portionen, die meisten wählen Chicken Nuggets mit Pommes für 12,50 Franken. Ein günstiger Preis für Schweizer Verhältnisse.

Das gilt vor allem während mehrerer Wochen in der Nebensaison, wenn der Euro vielerorts in Grächen 1,30 Franken wert ist statt der derzeit handelsüblichen nur 1,10 bis 1,15 Franken. An der Initiative "Grächen Euro 1.30" beteiligen sich mehr als die Hälfte der Unterkunftsbetriebe, außerdem etliche Restaurants, Sportgeschäfte und Skischulen, auch der Skipass wird damit günstiger. Bezahlt wird in bar. Einfach Geld wechseln und weiter nach Zermatt fahren, ist also nicht drin.

Der einzigartige Wechselkurs ist womöglich auch ein Grund, weshalb an diesem Samstag trotz Jännerloch, jener unbeliebten Buchungsdelle nach Weihnachten, alle Tische voll sind. Die Eltern drängen sich vor den Fernsehern und jubeln, wenn beim Skirennen wieder ein Schweizer auf die Stockerlplätze gefahren ist. Die Kinder schleppen Berge von Pommes zu den Tischen. Und verschwinden dann in den Keller, wo das wahre Erfolgsgeheimnis von Grächen liegt.

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"Die Skischuhe bitte ausziehen", sagt Scheffer, bevor sie die Treppe hinabführt. "Oder wollen Sie lieber die Rutsche nehmen?" Nein danke, wobei das Bällebad am unteren Ende durchaus einladend aussieht. Ringsum reiht sich Spielzimmer an Spielzimmer, auf die bunten Wände ist Sisu gemalt, der Schneevogel mit gelbem Schnabel, das Maskottchen Grächens. "Hier unten dürfen die Kinder allein toben", sagt Scheffer, weicher Bodenbelag federt die unvermeidlichen Stürze ab. Es gibt eine Glaskugel mit Miniblitzen, eine Kletterwand und Holzplattformen an Seilen zum Kraxeln sowie Sitzwürfel.

Das Allerheiligste für gestresste Eltern aber beginnt hinter einer Tür, die innen keine Klinke hat. Plüschtiere liegen zwischen Kinderladen und Miniküche, im Regal sind Leihsocken und Hausschuhe, und in einem Nebenzimmer stehen ringsum Betten und Sofas für ein Mittagsschläfchen. Hier im Kinderhort betreuen Pädagogen die Kleinen, zwei Stunden täglich sind gratis. "Das ist für viele ein Buchungsgrund", sagt Berno Stoffel. "Wenn man Eltern heute etwas abnimmt, hat man schon gewonnen." Die Umfrage zum "Best Ski Resort" gibt ihm recht. 2018 schaffte es Grächen in die Top Ten, als einziges kleines Skigebiet unter lauter Riesen. In puncto Freundlichkeit und Familienangebote wurde man gar Erster. Die Umfrage zeigte, dass ein Drittel der Gäste schon mehr als zehn Mal anreiste. "Wir haben ein viel treueres Publikum als die Großen", so Stoffel.

Das liegt freilich nicht nur an Bällebad und Breiwärmer. Auf den zweiten Blick erweist sich Grächen als erstaunlich sportliches Skigebiet. Schon bei der Abfahrt von der Hannigalp zum Bärgji-Lift wundert man sich, wie knackig es hier abwärts geht. Zur schönsten Piste muss man aber den langen Sessellift nehmen, der über einen Grat voll verkanteter Felsbrocken hinauf zum 2868 Meter hohen Seetal surrt. Die Kulisse ist hochalpin: Rechts leuchten die faltigen Schneegrate des Weißhorns über dem Mattertal in der tief stehenden Sonne, im Talschluss lugt das Matterhorn hervor. Und nach einigen Kurven auf der herrlichen Plattja-Piste steht man vor dem steil herabstürzenden Eisfluss des Riedgletschers. Märchenhaft.

© SZ vom 24.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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