Sehenswürdigkeiten als Baustelle:Schauen Sie, hier gibt es nichts zu sehen

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Wenn Sehenswürdigkeiten zu Baustellen werden, muss man das den Touristen möglichst schonend beibringen. Typologie des Baustellen-Sightseeings.

Von Irene Helmes

Touristen sind als gnadenlos bekannt, wenn es um ihr hart erarbeitetes Urlaubsvergnügen geht. Das Wetter? Alles außer großartig ist eine Enttäuschung. Die Unterkunft? Jeder Makel gleicht einer persönlichen Beleidigung. Und die Sehenswürdigkeiten? Sollen natürlich vor der gezückten Kamera erstrahlen. Wie sie wiederum in diesem fotogenen Zustand erhalten werden, mit derlei Nebensächlichkeiten will kaum jemand belästigt werden.

Wehe dem also, der Urlauber in die Realität zurückbringt. Indem er in Arbeitsmontur am antiken Denkmal werkelt etwa. Oder gerade ein Gerüst an der schönen Kirche hochzieht. Diese würde ansonsten vielleicht bald zur Ruine - aber muss denn wirklich genau jetzt etwas dagegen getan werden? Erneuern, ohne Besucher zu frustrieren, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind, heißt also die Herausforderung für Touristenziele. Das gelingt mal mehr, mal weniger. Eine kleine Typologie der sehenswürdigen Baustellen.

Sehen Sie, staunen Sie! Restaurierung als Event

Dreimal Trevi-Brunnen in Rom - als Kulisse in "La Dolce Vita", in voller Pracht und als Baustelle. (Foto: Imago / iStock / dpa)

Es ist ein kurioser Anblick, der sich seit vergangenem Sommer in Rom bietet. Geduldig trotten tagein, tagaus Tausende Menschen über provisorische Treppen auf einen Haufen Baugerüste zu. Sie schauen, knipsen, und trotten wieder von dannen. Wieso? Weil den Verantwortlichen der Renovierung des legendären Trevi-Brunnens etwas Raffiniertes eingefallen ist. Anstatt den Touristenmagneten komplett zu verhüllen oder verschämt Stück für Stück zu restaurieren, haben sie aus der Not eine Tugend gemacht. Dank der Gerüstkonstruktion sei der Trevi-Brunnen in gewisser Weise nicht schlechter, sondern vielmehr noch besser als sonst zu sehen, heißt es. Denn die Bautreppe erlaubt es Touristen, ungewöhnlich nahe an die opulenten Skulpturen heranzukommen. Wer nicht glaubt, dass dieser Trick funktioniert, kann sich via Webcam (täglich zwischen 10 und 21 Uhr) vom Gegenteil überzeugen und dem bei gutem Wetter nicht enden wollenden Gänsemarsch zusehen. Ob die Besucher wirklich zufrieden davonspazieren, ist freilich aus dieser Perspektive nicht zu erkennen. Das Anita-Ekberg-Gefühl dürfte sich kaum einstellen. Aber auch sonst ist hier ja Baden verboten.

It ain't over till it's over - Bauen als Normalzustand

Manche Sehenswürdigkeiten sind legendär, bevor sie fertig sind. So ist es bei der Sagrada Familia in Barcelona. Begonnen wurde die Basilika 1882, und ihre Vervollständigung gleicht einer unendlichen Geschichte. Welches Mammut-Projekt dahinter steckt, wird erst im Zeitraffer klar - zu sehen hier im Video. Die Kirche ist zum Mittelpunkt eines Besucheransturms und einer Souvenirindustrie geworden, obwohl stets große Kräne unübersehbar die Szenerie überragen. Das Wahrzeichen Barcelonas nach den Plänen von Antoni Gaudí wächst und wächst, Touristen kommen zuverlässig in Scharen. So ist die ewige Baustelle in diesem Fall weniger ein Problem für die Gäste, sondern ein zunehmender "Albtraum der Anwohner", da der Kult um die Sagrada Familia das Leben im Viertel Eixample immer stärker erdrückt.

Auch am anderen Ende des Mittelmeers nimmt die Arbeit kein Ende. Zweieinhalbtausend Jahre ist die Akropolis alt, doch an einem Septembertag im Jahr 1687 richteten Kanonenkugeln einen Schaden an, der bis heute nicht behoben wurde. Das ist allerdings das erklärte Ziel von kolossalen Restaurierungen, die seit Jahrzehnten - auch durch die griechische Krise hinweg - fortgeführt werden. Immer wieder werden Komplikationen vermeldet. Wie im Herbst 2014, als Experten vor einem möglichen Zusammenbruch des Parthenon-Tempels warnten. Mindestens bis 2020 werden weiterhin Baugeräte, Kräne und Gerüste auf dem Felsen benötigt. So kommen sie eben mit aufs Selfie - man kennt die Akropolis ja gar nicht mehr anders.

Der Parthenon-Tempel - auch mit Kränen ein beliebtes Motiv. (Foto: REUTERS)

Die Kapitulation - auch ein Desaster verdient seine Tour

Wenn eine Baustelle zur Sehenswürdigkeit wird, kann das auch Zeichen eines spektakulären Scheiterns sein. Die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg bietet seit einiger Zeit für zehn Euro pro Person eine Tour mit dem vieldeutigen Namen "Erlebnis BER" an. Besichtigt wird, ganz recht, was seit drei Jahren ein funktionierender Airport sein sollte. Und stattdessen zur berüchtigtsten Dauerbaustelle Deutschlands geworden ist. Was also eigentlich Touristen helfen sollte, von A nach B zu kommen, wird zum Ort eines Katastrophentourismus der ganz besonderen Art.

BER-Erlebnistour
:Ist das ein Flughafen oder kann das weg?

Eigentlich könnten die Berliner beim Bau ihres Flughafens jede Hilfe gebrauchen. Doch die meisten Menschen kommen nur zum Gucken - seit der mehrfachen Nicht-Eröffnung wollten schon mehr als eine Million Gäste die BER-Baustelle sehen. Ein Erlebnis zwischen Schein und Wirklichkeit.

Von Ruth Schneeberger

Eine Baustelle ist Kunst ist eine Baustelle

Besucher der europäischen Kulturhauptstadt Mons sollen dagegen ehrlich beeindruckt sein von jeder Baustelle, an der sie 2015 vorbeikommen. Das scheint die Aussage der Veranstalter, die alles Unfertige in ihrer Stadt als Teil einer großen "Metamorphose" präsentieren. Einige der ehrgeizigsten Projekte waren längst nicht abgeschlossen, als internationale Besucher und Journalisten im Winter zu den Eröffnungsfeiern nach Belgien kamen. Der neue Bahnhof, entworfen vom Stararchitekten Santiago Calavatra, etwa sprengt nicht nur - wie mittlerweile jedes Großprojekt, das etwas auf sich hält - das ursprüngliche Budget. Er wird auch frühestens zum Ende des Kulturjahres fertig. Bereits komplette Elemente schienen sich unter derlei Umständen in Mons fehl am Platz zu fühlen: Eine der geplanten Hauptattraktionen, die überdimensionale Holzskulptur "The Passenger", brach am 24. Dezember überraschend in sich zusammen. Hier schließlich geriet auch die Mons'sche Begeisterung für endloses Bauen und Verbessern an ihre Grenzen. Nach ersten Reparaturversuchen wurde das Werk komplett und endgültig abgebaut. Hier gibt es tatsächlich nichts mehr zu sehen.

Was einmal "The Passenger" war - am 25. Dezember 2014. (Foto: dpa)

Da müssen wir durch - die Variante "Masterplan"

Wer in Berlin den legendären Pergamonaltar besichtigen möchte, steht seit Herbst 2014 vor verschlossenen Türen. Für mindestens fünf Jahre ist der Saal mit der Hauptattraktion des Pergamonmuseums unzugänglich. Unter dem Titel "Masterplan Museumsinsel" informiert die Stiftung Preußische Kulturbesitz akkurat über die einzelnen Schritte. Denn das Pergamonmuseum ist nur ein Teil eines Großprojekts, das sich einer Salamitaktik folgend auf der Museumsinsel ein historisches Haus nach dem anderen vornimmt. Zwar beteuert die Website, man prüfe "derzeit alle Möglichkeiten, in der Bauphase ein attraktives Alternativangebot für Besucher zu schaffen". Insgesamt wird jedoch höflich, aber bestimmt vermittelt: Was hier passiert, mag anstrengend sein. Aber wir haben einen Plan. Einen Masterplan. Und da müssen wir jetzt alle durch.

Verpfuschte Bauwerke wie der BER
:Riesen des Ruins

Zu spät, zu teuer, zu groß: So etwas wie das Berliner Airport-Desaster gab es früher nicht? Von wegen. Schon seit der Antike haben große Bauprojekte eine Art eingebaute Automatik des Scheiterns. Neun Beispiele.

Ist doch auch ganz hübsch so - die Luxus-Verhüllung

Vorbei die Zeiten, als Künstler Christo noch Bürger aufscheuchen konnte, indem er Gebäude verhüllte. Extrem aufwändige Fassadenverhüllungen gehören längst zum Bild einer Großstadt - wenn es darum geht, den Blick auf Baustellen zu verdecken. An der Münchner Theatinerkirche etwa prangt derzeit eine 2750 Quadratmeter große Sonderanfertigung aus Netzvinyl, verziert mit "Elementen klassischer Freskenmalerei und fotorealistischen Abbildungen", wie der Hersteller beschreibt. Mit derlei luxuriösen Verhüllungen, das zeigen die Reaktionen von Reise-Bloggern, können Städte ihre Gäste durchaus besänftigen. Oder aber noch mehr auf die Palme bringen, wenn die Sehenswürdigkeiten mit XXL-Werbung zugepflastert werden.

Das Leben ist eine Baustelle

Bau des Eiffelturms, 1888. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Manchmal hilft ein Blick auf das große Ganze. Wie sehr man sie auch aufhübscht, schönredet und anpreist, Baustellen bleiben Baustellen. Ohne sie aber gäbe es außer der Natur kaum etwas zu bestaunen. Eine Bildersammlung von io9.com veranschaulicht, dass auch Eiffelturm und Freiheitsstatue zunächst einmal nur eines waren: geordnetes Chaos, Lärm und Staub. Und dass sie sehr viele Zeitgenossen bis zur Fertigstellung sehr viele Nerven gekostet haben.

Vielleicht gelingt es manchem Urlauber nach diesen Eindrücken, Bauarbeiten auf der nächsten Reise noch gelassener zu begegnen - und vor allem mit mehr Vorfreude auf das Ergebnis. Denn meist ist ein Ende absehbar. Flughäfen vielleicht ausgenommen.

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