Sehenswürdigkeit in Verona:2,50 Euro für Julias Balkon

Blick auf Romeo-und-Julia-Balkon bald gebührenpflichtig

Alles andere als ein Original-Shakespeare: der Balkon in Verona

(Foto: Museo di Castelvecchio/dpa)
  • Die Stadt Verona will künftig eine Eintrittsgebühr für das Betreten des Hofes erheben, von dem aus man den Balkon der Julia sehen kann.
  • Dabei handelt es sich bei dem Balkon um eine Kulisse. In Shakespeares Original-Skript von Romeo und Julia taucht Julia lediglich an einem Fenster auf - zur damaligen Zeit waren in Verona Balkone an Bauwerken auch noch gar nicht üblich.

Von Thomas Steinfeld

Zu den sonderbarsten Zielen des Tourismus in Italien zählt ein kleiner Innenhof in Verona, nicht weit von der Piazza delle Erbe. Er ist kaum größer als ein Wohnzimmer, wird stark von Taschendieben frequentiert, und der Torbogen im Eingang könnte auch in eine Unterwelt führen, der unzähligen Graffiti wegen, die nicht nur das Holz und die steinerne Einfassung des Tors zieren, sondern auch alle umliegenden Mauern.

Etwa zwei Millionen Besucher ziehen in jedem Jahr durch diesen Eingang, an einer Wand vorbei, an der Tausende kleine Zettel mit Liebesschwüren hängen - die Sitte bildet den Ausgang von "Letters to Juliet", einem amerikanischen Liebesfilm. Dann sehen sie links die stark abgegriffene Statue einer jungen Frau, dahinter einen Souvenirladen, vor der rückwärtigen Mauer ein großes Gitter, das von oben bis unten mit Vorhängeschlössern behängt ist - und über sich einen steinernen Balkon: Hier soll einst Julia gestanden haben, laut William Shakespeare (zweiter Aufzug, zweite Szene) ins Selbstgespräch vertieft und von Romeo belauscht: "Ich wollt', ich wär dein Vogel."

Das Betreten des Hauses kostet schon lange Eintritt

So viel Ungemach ist in jüngster Zeit aus diesem Ort des Gedenkens entstanden, dass die Stadt Verona nun beschloss, einen lang gehegten Plan umzusetzen: Weil alle Mahnungen, die Verfertigung von Graffiti zu unterlassen und durch Selfies zu ersetzen, nicht fruchteten, soll der Eingang zum Hof nun verlegt werden, auf die Rückseite der Anlage.

Außerdem soll eine Eintrittsgebühr in Höhe von 2,50 Euro erhoben werden - wofür man dann auf den Hof treten, die Statue, die riesige Pinnwand und das mit Schlössern behängte Gitter sehen und nach oben gucken kann, zum Balkon. Denn für das Haus selbst wird schon lange eine Eintrittsgebühr von sechs Euro verlangt, auch wenn es darin nicht viel zu sehen gibt. Aber immerhin kann man dann auf dem Balkon stehen, und, wem auch immer, ewige Liebe schwören.

Im Original steht Julia an einem Fenster, nicht auf dem Balkon

Man tut es allerdings in einer Kulisse. Denn einmal abgesehen davon, dass sich Shakespeare den Stoff für seine Tragödie aus der Dramentradition seiner Zeit entliehen hatte und dass also die Existenz einer historischen Julia alles andere als verbürgt ist - in seinem so berühmten Theaterstück kommt gar kein Balkon vor. Julia steht vielmehr an einem Fenster, was vermutlich schon daran liegt, dass der Balkon zu jener Zeit nördlich der Alpen eine so gut wie unbekannte Errungenschaft der Architektur war, die sich erst langsam von Venedig aus verbreitete und zunächst als etwas beinahe Obszönes galt, weil sich der Privatmensch darauf der allgemeinen Besichtigung präsentiert.

Einen Balkon erhielt Julia erst später, in volkstümlichen Adaptionen des Werks, worauf er dann im 18. Jahrhundert ins Original übertragen wurde. Aber was schadet die Erfindung? Dass jenes Haus in Verona das Heim der Julia sei, ist schließlich auch eine Fiktion, während der Balkon, der gotische Torbogen sowie die gesamte Ausstattung des Baus nur Konstruktionen des frühen 20. Jahrhunderts sind, denen im Jahr 1936 wiederum ein amerikanischer Film den Weg in die Authentizität wies. Aber vielleicht waltet hier ja eine Dialektik: Einen Ort zur Kultstätte der Liebe zu erklären, der eine Fiktion ist - das ist schon ironisch. Obwohl man dann doch daran zweifelt, dass es auf der Welt so viele Ironiker geben sollte, dass zwei Millionen von ihnen pro Jahr nach Verona fahren können.

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