Segeln:Chill doch mal

Segeln: Vom Land gesehen: Die Rhea vor Anker.

Vom Land gesehen: Die Rhea vor Anker.

(Foto: Martina Scherf)

Mit zwei 15-Jährigen ohne Wlan auf einer Yacht - kann das gutgehen? Ja, kann es. Die Mutter muss nur das tun, was die Jungs schon perfekt beherrschen.

Von Martina Scherf

Rhea singt. "Hört ihr's?" Der Bootsmann Leon Koopmanns steht am Bug und streckt seinen Kopf über die Reling. Einige Passagiere tun es ihm gleich. Und tatsächlich: Ein leiser hoher Ton schwingt im Luftstrom zwischen den beiden mächtigen Vorsegeln. Weil Seeleute ihre Schiffe für beseelte Wesen halten, darf man annehmen: Rhea freut sich. Der Holländer Leon Koopmanns jedenfalls steckt mit seinem Lachen alle an: Endlich richtiger Wind, nach fünf Tagen mit mehr oder weniger lauen Lüftchen. Und das in einem Revier, das für seinen gefürchteten Nordwind, den Meltemi, bekannt ist. Aber jetzt ist alles gut. In rauschender Fahrt geht es dahin, Richtung Götterinsel Delos.

"Wozu die Hektik?", fragt der coole Teenager, während an Deck schon alle warten

Eine Woche Kykladentörn auf diesem majestätischen, 54 Meter langen Zweimaster, für manche ist das die Erfüllung eines Traumes. Noch vor ein paar Jahren hat unser Sohn Alexis diesen Traum durchaus geteilt. Für einen Fünfjährigen ist so ein Schiff ein einziger großer Abenteuerspielplatz. Jetzt, mit 15, sieht die Sache anders aus: Die Abenteuer finden eher im Kopf statt. Und sie werden nicht mehr mit den Eltern geteilt. Stattdessen mit dem besten Freund. Vincent, der Bruder im Geiste seit der Kinderkrippe, ist dabei. Die beiden sind unzertrennlich - zu zweit sind sie sich aber auch genug. Wird das funktionieren, so ein Urlaub auf dem Schiff, in einer Gemeinschaft mit Fremden auf begrenztem Raum?

Gerade ist der Anker gefallen, Koopmanns und Eduardo Romeo Martin, der Matrose, lassen das Dinghi, das Beiboot, zu Wasser vor einer einsamen, türkisblauen Bucht. Sechs Kinder können es kaum erwarten, im motorisierten Schlauchboot an Land zu düsen. Mit Badetuch, Schnorchel, Flossen in der Hand stehen sie da. Wer fehlt, sind die zwei Teenager. "Wozu schon wieder diese Hektik? Chill doch mal", dringt es aus dem Schiffsbauch. Dann schwingen sich die beiden 15-Jährigen aber doch lässig den Niedergang hoch, in Badelatschen, jeder eine verspiegelte Sonnenbrille auf der Nase. Sie steigen ebenfalls ins Gummiboot.

Ganz unterschiedliche Menschen haben sich zu diesem Familientörn auf der Yacht zusammengefunden. Manche haben Segelerfahrung, andere waren passionierte Motorbootfahrer und finden nun plötzlich doch Gefallen an der Reise im Rhythmus der Natur: barfuß übers Teak-Deck laufen, auf dem Vorschiff liegen und die Inseln an sich vorbeiziehen lassen, der Sonne zusehen, wie sie glutrot im Meer versinkt. Die jüngsten sind sieben, die ältesten Anfang 60, dazwischen die zwei Teenager, nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen. Die kleine Gruppe wächst von Tag zu Tag mehr zusammen, das funktioniert eben nirgends so gut wie auf einem Schiff, wo man fern des Alltags, eins mit Wind und Welle, aufeinander angewiesen ist.

Vor ein paar Jahren, da war auch der eigene Sohn noch mit Feuereifer dabei, wenn es darum ging, Knoten zu üben, Segel zu setzen oder am Radar fremde Schiffe zu finden. Da hat er vor Freude gestrahlt, wenn der Kapitän ihn einmal ans Ruder ließ. Jetzt verzieht er keine Miene mehr. Bloß keine Emotion zeigen.

Schon am ersten Morgen wuseln die Kinder übers Deck, turnen rauf und runter, gucken zum Koch in die Kombüse, klettern aufs Dach des Salons, und der siebenjährige Michael verkündet bald stolz: "Eddie, ich weiß schon, wo du schläfst." Vincent und Alexis, die zwei coolen 15-Jährigen, haben vor allem eine Frage: Gibt's hier Wlan? Gibt es nicht. Kommentarlos ziehen sie von dannen.

Am einsamen Strand von Delos, abseits der Touristenboote, tut jeder, was er will. Die Kleinen gehen auf Schatzsuche, die Großen erkunden die Anhöhe, von der man auf die Tempelreste des Heiligtums blickt. Ein sanfter Wind weht über die Hügel, die Macchia blüht und kratzt an den Waden. Bald kehren die kleinen Entdecker zurück und breiten ihre Schätze aus: Muscheln, Steine, Treibholz. Aber wo sind die beiden Großen? Da regt sich was, ganz am Ende der Bucht. Vincent und Alexis klettern und springen ins Wasser, sie tragen ihre rituellen Zweikämpfe aus, weit weg von den anderen. Haben sie die Zeit vergessen? Nein, pünktlich zur Rückfahrt kommen sie über den Strand angeschlendert. Wortlos.

Bloß nichts reden

Zurück an Bord duftet es nach Lasagne. Der Koch Christian Funk hat in der Zwischenzeit in der Kombüse geschuftet, der Tisch ist schon gedeckt. Beim Essen der vorsichtige Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen. Habt ihr den Tempel gesehen? Nö. Könnt ihr euch vorstellen, woher die Kykladen ihren Namen haben? Nö. Kyklos, der Kreis, Delos in der Mitte . . . "Ist doch gar kein Kreis", erwidert Alexis trocken mit einem Seitenblick auf die Seekarte. "Na, die Griechen hatten ja noch kein GPS zur Vermessung", versucht man noch einen Konter. Aber da ist das Duo schon wieder abgetaucht in die Welt seiner eigenen Götter, die sie im Handy mit sich führen und die seltsame Gesänge verbreiten und Namen tragen wie Notorious BIG oder Tupac.

Weil der Wind anhält, lässt Kapitän Arian Poortman an diesem Nachmittag noch mal alle Segel setzen. Wer will, packt mit an. Und plötzlich sind sogar die Teenager mit dabei. Die Winschen zum Bedienen der Schoten funktionieren elektrisch, aber der Bootsmann macht sich einen Spaß daraus, Kinder und Erwachsene in einer Reihe aufzustellen und mit einem "Hei-hoh" kräftig ziehen zu lassen. Sollen sie ruhig die Kraft spüren, die es kostet, insgesamt 1000 Quadratmeter Tuch hochzuziehen. Winschen, Schoten, Klüver, Fock, Besan, das hat Leon Koopmanns alles am Morgen auf der Schiefertafel am Deckshaus erklärt.

Die Reise auf der Rhea ist eine Mischung aus Abenteuer und Luxus, aus Gemeinschaft und Individualismus, und irgendwie findet jeder seinen Platz auf dem Schiff. Der Lieblingsplatz der Teenager, das haben sie schnell herausgefunden, ist das Netz unterm Klüverbaum, wo man während der Fahrt über den Wellen liegend chillen kann, die Kapuze des Hoodys über den Kopf gezogen, außer Rufweite. Sobald sich die Mutter nähert, heißt es: Was willst du denn schon wieder?

Info

Anreise: z. B. mit Eurowings von München nach Mykonos, hin und zurück ab ca. 300 Euro.

Reisearrangement: Die drei Schiffe von Sailing Classics fahren im Sommer im Mittelmeer, im Winter in der Karibik. Sie bieten Platz für maximal 28 Personen. Preise ab 2000 Euro pro Person in der komfortablen Doppelkabine mit eigenem Bad und Vollpension. Kinder 350 Euro in der Kabine der Eltern. Überführungstörns sind günstiger. Eine bis zu zehnköpfige Crew kümmert sich um Schiff und Gäste. Es gibt Themenreisen, z. B. zu Walen und Delfinen. Törnpläne unter www.sailing-classics.de

Weitere Auskünfte: www.discovergreece.com

Bloß nichts reden, dann kommt man am besten mit ihnen klar. Aber dennoch passieren erstaunliche Dinge. Beim Schwimmen vor dem Frühstück springt neben einem plötzlich der eigene Sohn von der Reling ins Wasser. Um acht Uhr morgens! Zu Hause unvorstellbar, ihn um diese Uhrzeit zu irgendeiner Aktivität zu bewegen. Aber jetzt bloß nichts fragen, sondern still den Augenblick genießen. Später baden alle. Und plötzlich schaffen es die Kleinen, sich an die Jungs heranzupirschen. Vincent und Alexis auf den Stand Up Paddle Boards voran, wie zwei große Brüder, im Schlepptau eine Kinderschar. Was für ein schöner Anblick.

Im Vulkankrater von Santorin ist Baden verboten. Dafür ist der Anblick der steilen Kraterwand mit den weißen Häuserkämmen ganz oben überwältigend. "Und 140 Meter unter uns liegt ein versunkenes Kreuzfahrtschiff", sagt der Käpt'n und grinst, weil die anderen bei der Vorstellung erschrecken. Dann geht es mit der Seilbahn hinauf ins Städtchen Thira. Oben gibt es einen Deal: Wenn wir gemeinsam ins Museum gehen - schließlich gibt es dort einzigartige Fundstücke der prähistorischen Kykladenkultur - könnt ihr euch nachher neue Sonnenbrillen kaufen. Abgemacht. Und hinterher gibt's noch einen megagroßen Frozen Yogurt. Die kleine Gruppe beschließt, den Rückweg zu Fuß anzutreten. Da sind Vincent und Alexis plötzlich verschwunden. Finden sie den Weg? Wissen sie, wann das Schiff ablegt? Vorbei an dürren Eseln, die schicksalsergeben dicke Touristen schleppen, geht es zu Fuß die Treppen hinunter, zurück zum Meer. Just in dem Moment, in dem das Dinghi der Rhea auftaucht, kommen auch die Jungs unten an. Man sollte sie nie unterschätzen.

Und dann, auf der Weiterfahrt, sind plötzlich Delfine da. In Gruppen begleiten sie das Schiff, tauchen unterm Bug durch und stoßen kurze Fieplaute aus. Da hängen alle an der Reling, Kinder wie Erwachsene, und zücken ihre Handys.

Beim Abschied in Mykonos kommen den Kleinen die Tränen. Die Großen packen ihre Taschen und gehen ohne sichtbare Regung von Bord. Stunden später reden sie plötzlich doch. Vom Käpt'n und von Leon, der ihnen die Seemannsknoten zeigte, von Eddie, der das Segeldinghi zum Kentern brachte, von Christians erfolglosen Versuchen, einen Fisch zu angeln, vom Krater von Santorin und natürlich den Delfinen. War doch echt cool.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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