Seit die Schweizer Nationalbank im Januar überraschend den Euro-Mindestkurs des Franken abgeschafft hat, ist der Urlaub für Mitglieder der Euro-Zone noch einmal 20 Prozent teurer geworden - zusätzlich zu den ohnehin hohen Preisen im Nachbarland. Wie das Bundesamt für Statistik mitteilt, checkten im März 7,4 Prozent weniger Gäste in Schweizer Hotels ein als ein Jahr zuvor. Die Deutschen als größte ausländische Gruppe blieben besonders oft fern (minus 15,9 Prozent); aus Belgien kamen sogar 38 Prozent weniger Gäste.
Der Schweizer Tourismusverband versucht nun mit neuen Ideen gegenzusteuern. Etwa mit der "Grand Tour of Switzerland", einer 1600 Kilometer langen Auto-Rundreise, bei der vier Sprachregionen durchquert, fünf Alpenpässe gemeistert und 22 Seen bestaunt werden können. Alternativ ist auch eine "Grand Train Tour" möglich, für die wir uns entschieden haben. Mithilfe des "Swiss Travel Pass" können dabei fast alle Züge beliebig oft benutzt werden; fällig wird nur ein Pauschalpreis. Noch kommen 60 Prozent der Deutschen mit dem Auto über die Grenze. Doch das neue Angebot, so hofft man, könnte Reisende zum Umsteigen bewegen - und die Touristen an die Urlaubsorte zurückbringen -, auch wenn die Hotels dadurch um keinen Franken billiger werden. Ob es klappt? Darüber gehen die Meinungen an den einzelnen Stationen auseinander.
Altbewährte Klischees: Alphornbläser in Tracht,...
...Fahnenschwinger vor Bergseekulisse...
...Kühe vor Alpenpanorama...
...oder Käsefondue. Bilder, die einem sofort zu Urlaub in der Schweiz einfallen - und die von Gastgebern aufrecht erhalten werden.
Auch wenn die Währungskrise derzeit wie ein Schatten über der Tourismusbranche liegt: Die Wirte hoffen, dass es bald von selbst wieder aufwärtsgeht.
Die abwechslungsreichen Städte und Landschaften der Schweiz haben unterdessen nichts von ihrem Reiz verloren.
Ob das Landwasserviadukt, über das der Glacier-Express fährt,...
...Gandria am Luganersee...
...oder die Berge: Sie locken immer noch Tausende Touristen jährlich.
Auch wenn die Einkehr - bei Kaffee und Kuchen für mehr als acht Euro - zum Luxus wird.
Basel
Von Freiburg bis in die Schweiz dauert die Zugfahrt gerade einmal 46 Minuten. Wer am Bahnhof Basel ankommt, bemerkt zunächst keinen großen Unterschied zwischen den Städten. Die Leute spazieren mit Handys und Pappbechern in der Hand umher; die Durchsagen hallen in perfektem Hochdeutsch durch die Wartehalle. Und doch liegen Welten zwischen Deutschland und seinem südlichen Nachbarn - finanzielle Welten. Ein Kaffee am Bahnhof: 5,40 Franken (was dem gleichen Wert in Euro entspricht). Eine trockene Salzbrezel: 5,50 Franken. Ein einfaches Mittagessen: lieber gar nicht erst nachschauen. In einem Restaurant direkt hinter der Grenze kostet ein Abendessen 40 Franken aufwärts. Die Wirtin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, verzieht ihre Lippen zu einem schmalen Lächeln: "Die Schweiz ist erklärungsbedürftig", sagt sie. "Ich muss ausländischen Gästen immer wieder sagen, warum man hier nicht für 20 Euro essen kann." Und warum? "Weil hier sogar ungelernte Hilfskräfte fast 4000 Franken verdienen." Sie schaut zu einer Kellnerin hinüber, die gerade die Weingläser poliert. "Die meisten Angestellten in der Gastronomie kommen aus Deutschland. Die freuen sich über ihren guten Lohn, schimpfen zu Hause aber trotzdem über die hohen Preise."
Golden-Pass-Linie
Unterwegs von Zweisimmen nach Montreux. "Good morning!" Als der Schaffner ins Abteil kommt, begrüßt er die Fahrgäste instinktiv auf Englisch. Und liegt richtig. Während an den Panoramafenstern schneebedeckte Gipfel, Holz-Chalets und Wasserfälle vorbeiziehen, stößt eine koreanische Reisegruppe mit Rotwein an. Dahinter sitzt eine indische Familie und isst eine Dose Instant-Nudeln. Gesprochen wird nicht viel, nur gestaunt. Über Bergbauern, Schaffner mit Krempenhut und heilige Kühe neben den Gleisen (die in der Schweiz gar nicht heilig sind, aber trotzdem auf so ziemlich jeder Wiese grasen). Vielleicht weckt die Landschaft bei den Indern auch Kindheitserinnerungen, denn die Gegend um Zweisimmen dient bereits seit den Achtzigerjahren als Bollywood-Filmkulisse. Eine Krise im Tourismus? Im Golden-Pass-Waggon ist davon wenig zu spüren.
"Wir haben uns nicht so monogam aufgestellt wie andere Regionen", sagt Firmensprecher Niklaus Mani und meint damit den zu starken Fokus auf deutsche Urlauber. Vor vier Jahren seien 80 Prozent der Gruppen, die mit im "Golden Pass" reisen, aus Europa und 20 Prozent aus Asien gekommen. "Heute ist es genau umgekehrt." Rund 2,5 Millionen Fahrgäste sind jedes Jahr mit der Linie unterwegs, die zuschlagfrei mit dem Swiss Travel Pass gefahren werden kann. Der Anteil deutscher Gäste? "18 bis 24 Prozent", sagt Mani, "Tendenz sinkend."
Zermatt
Bergführer Hermann Biner erscheint im weißen Hemd zum Interview. Er kommt gerade von der Arbeit - aus dem Büro und nicht vom Matterhorn, wie man erwarten könnte. "Bergführer haben fast immer einen Zweitjob", sagt Biner. "Von den Touren allein könnten wir nicht leben." Bisher, sagt der 63-Jährige, habe sich der starke Franken noch nicht auf sein Geschäft ausgewirkt. Auch für die Sommersaison, in der Zermatt das 150. Jubiläum der Matterhorn-Erstbesteigung feiert, sei er schon ausgebucht. Und in Zukunft? "Hoffen wir, dass wir einigermaßen überleben." Zwar seien seine Kunden treu und kämen inzwischen aus aller Welt. Doch vor allem Familien hätten mit den Preisen zu kämpfen. "Bei der Verpflegung schlagen sie richtig durch. Wenn man mit drei Kindern essen gehen will, hat man ein Problem." Für eine Matterhorn-Tour verlangt Biner im Schnitt 550 Euro pro Tag. Doch der Druck steigt. "Bei manchen Gruppentouren bieten wir inzwischen einen Rabatt von 15 Prozent. Damit können Bergsteiger den Währungskurs schon fast wieder ausgleichen."
Lange Zeit galt der Tourismus in Zermatt als absolut krisenresistent. Doch die jüngste Kurs-Anpassung hat Spuren hinterlassen. Während die Zahl der Übernachtungen im Februar noch im Plus lag, ging sie im März um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. "Die deutschen Gäste sind am preissensibelsten", sagt Fabian Forster, Geschäftsführer des Vier-Sterne-Hotels Sonne. Selbst Stammkunden riefen hin und wieder an, um über die Preise zu klagen. "Wir versuchen, ihnen mit Gratis-Upgrades entgegenzukommen", sagt Forster. Die Zimmerrate senken könne man aber nicht. "Unsere Personalkosten fallen schließlich in Landeswährung an", sagt der Hotelier. "Sie sind so hoch wie immer."
Glacier-Express
Von Zermatt nach St. Moritz. Draußen rauschen die Gebirgsbäche, innen tröpfelt der Whisky: Im Glacier-Express werden Getränke und Speisen direkt am Platz serviert - und an Bord frisch zubereitet. Der alpine Bummelzug zuckelt auf einer Strecke von 291 Kilometern an Gletschern, Wiesen und Bergdörfern vorbei. Lange Zeit galt er als Muss für deutsche Eisenbahn-Fans; normalerweise machen Deutsche 25 Prozent der Fahrgäste aus. Doch an diesem Tag sitzen vor allem japanische, koreanische und indische Passagiere im Abteil. Und zwei Amerikanerinnen, die sich für die Sprachausgabe ihres Handys interessieren. "Meinst du, Siri spricht hier deutsch?", fragt die Jüngere. Die Ältere schaut nur kurz von ihrem Laptop auf: "Weiß nicht, aber komisch, dass wir noch keine Alphornbläser gesehen haben. Müssten die nicht langsam mal kommen?"
Keine Frage, die Touristen werden anspruchsvoller. "Wir haben Freunde, die jetzt lieber nach Österreich fahren, weil es dort billiger ist", sagt Anna Götz, 32, eine der wenigen Deutschen im Abteil. Zusammen mit ihrem Mann Christian, 34, und ihren beiden Kindern gönnen sich die beiden die lange geplante Fahrt im Glacier-Express, verbunden mit einer Vier-Tages-Reise durch die Schweiz. Die Urlauberin sagt grinsend: "Der Währungskurs steigt und fällt, aber die schönen Berge sind immer gleich hoch." Tatsächlich hat das Paar aus Bad Krozingen gut lachen. Es pendelt täglich in die Schweiz zur Arbeit - und wird folglich in Franken entlohnt.
St. Moritz
Erst mal ein paar Vorurteile ausräumen. "Wir leben hier nicht nur von den Reichen", betont Güler Bozkiraç, 31, die im Engadin drei Hotels, ein Restaurant und einen Campingplatz leitet. Gerade Betriebe, die nicht die reine "Upper Class" bedienten, hätten es zurzeit schwer: "Im März haben wir den Rückgang extrem gespürt, da kamen zwölf Prozent weniger Gäste als im Jahr davor." Auch die Schweizer gäben sich neuerdings knauserig: "Ich bekomme E-Mails, in denen gedroht wird: Entweder ihr senkt die Preise oder wir fahren ins Ausland." Als Reaktion auf den Gästeschwund hat Bozkiraç damit begonnen, ihre Mitarbeiter auf mehr Freundlichkeit zu trimmen: St. Moritz genießt den Ruf, nicht nur teuer, sondern oft auch grimmig zu sein - eine toxische Kombination in der aktuellen Situation.
Gian Luck, 32, Geschäftsführer der Bergsteigerschule Pontresina, stimmt zu: "Wir Einheimischen müssen herzlicher werden, so wie in Österreich oder Italien." Die aktuelle Saison werde sicher zum Minusgeschäft, befürchtet der Alpinist. Doch St. Moritz habe auch viele Stärken, die es ausspielen könne: die einzigartige Lage, das Klima, die langen, sanften Pisten. Im Sommer sind alle Bergbahnen im Übernachtungspreis inklusive. Ob das reicht? "Hoffentlich", sagt Luck. "Momentan können wir den Verlust aus den Euro-Märkten nicht kompensieren. Aber es wird wieder aufwärts gehen, so wie immer."
Luzern
Ein plötzlicher Regenschauer ist für Luzerner nichts Besonderes. Als die ersten Tropfen fallen, haben sich die Einheimischen längst unter das Vordach des Kultur- und Kongresszentrums geflüchtet. Geschäftsmänner im Anzug stehen neben Punks, die einen Joint rauchen; junge Mütter mit Kinderwagen neben Seniorinnen mit Rollator. Nur die Touristen bleiben am Ufer des Vierwaldstätter Sees stehen - Hauptsache, die Kulisse stimmt.
"Sie sehen, hier ist immer etwas los", sagt die Fremdenführerin Manuela Handermann, 47. Die Neue Luzerner Zeitung bestätigt diese Beobachtung in einer aktuellen Analyse: Während alle anderen Kantone unter dem "Frankenschock" litten, steige die Zahl der Übernachtungen in Luzern ungebremst an. "Ich bin weiterhin gut gebucht", sagt Handermann, die Führungen auf Deutsch und Italienisch anbietet. Aber: "Besonders den Italienern tut der Wechselkurs weh. Viele fragen mich, wo man für fünf Euro eine Pizza essen kann - natürlich nirgendwo." Andere könnten sich die 230 Franken nicht leisten, die eine zweistündige Stadtführung kostet. "Vor allem die Asiaten bringen zunehmend ihre eigenen Guides mit. Irgendwo muss man ja sparen."