Schweizer Alpen:Höher, schneller, teurer

Neue Seilbahn in Zermatt

Spektakuläres für internationale Gäste: Außer den großen Fenstern besitzen vier Kabinen auch einen gläsernen Boden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Immer komfortabler, immer spektakulärer: Auf das Klein Matterhorn bei Zermatt fahren jetzt Gondeln mit Glasboden - und die Schweiz diskutiert über Grenzen des Bergtourismus.

Von Charlotte Theile

Es ist noch gar nicht lange her, da wäre der Vorsatz, das Matterhorn zu erklimmen, eine Art Abschied von der modernen Welt gewesen. Wer den mehr als 4400 Meter hohen Felsenberg bezwingen wollte, brauchte nicht nur eine gute Ausrüstung, sondern auch ein Testament. Dass Menschen auf dem Weg nach oben starben, kam nicht nur zu Zeiten der spektakulären Erstbesteigungen im 19. Jahrhundert vor, sondern auch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.

Wer heute dagegen nach Bildern aus der einst abgelegenen Welt sucht, stößt auf Videos, die eher nach Freizeitpark denn nach Abenteuer aussehen. Eine mit Swarovski-Kristallen geschmückte Kabine schwebt das ebenfalls fast 4000 Meter hohe Klein Matterhorn hinauf, irgendwo über dem Gletscher öffnet sich der Boden, zumindest sieht es so aus. Die Passagiere, nun nur durch eine Glasscheibe von der spektakulären Bergwelt getrennt, beginnen zu jubeln. Eine Stimme aus dem Off vergleicht die Seilbahnfahrt mit einem Helikopterflug und freut sich: "so bequem" habe man die Alpen noch nie erobern können.

Der neue Glacier Ride der Zermatter Bergbahnen, der parallel zur bestehenden alten Seilbahn errichtet wurde, steht für einen aktuellen Trend im Bergtourismus: Immer spektakulärer und komfortabler muss es sein, damit auch der unsportlichste Tourist für einen halben Tag das Hochgebirge erleben kann. Seit November bringen die hochmodernen Kabinen, von denen vier den Glasboden mit angepriesener "3-D-Aussicht" haben, bis zu 2000 Passagiere in der Stunde auf das 3883 Meter hohe Klein Matterhorn. Für Skifahrer ist das Gebiet wegen seiner Schneesicherheit ohnehin attraktiv. Doch auch Ausflügler zieht es nun vermehrt hinauf.

Wenn Landschaftsschützer Raimund Rodewald über die gläserne Bahn spricht, klingt es weniger euphorisch. Mit Gram in der Stimme erinnert der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz an die Bergwelt, wie sie ursprünglich war: karg, felsig, unwirtlich. Und: einsam. Wer auf dem Berg stand, der genoss nicht nur die Aussicht und das Gefühl, etwas Großes bezwungen zu haben, sondern auch eine märchenhafte Stille.

Was für den Landschaftsschützer eine Art traumhaften Urzustand darstellt, ist für die Bergbahnen eine ungemütliche Geräuschkulisse. Seit vielen Jahren sind die Betreiber der einst lukrativen Schweizer Seilbahnen in der Krise. Für Touristen aus Europa, die jahrzehntelang zum Wandern und Skifahren in die Schweizer Alpen kamen, ist das Land inzwischen so teuer geworden, dass sie oft lieber in die Nachbarländer ausweichen.

Die Schweizer versuchten zwar, mit Sonderangeboten attraktiv zu bleiben und zumindest die inländischen Gäste zu halten, doch diese Strategie geht nur bedingt auf. Immer offensiver setzen die Touristiker daher auf "neue Märkte". Reisende aus China, Russland oder der arabischen Welt sollen die Lücke füllen, die Deutsche und Österreicher hinterlassen haben.

Naturschützer Raimund Rodewald weiß, wie seine Kritik an diesem neuen Tourismus verstanden werden kann. "Es geht uns überhaupt nicht um die Nationalität der Gäste. Bei uns ist jeder herzlich willkommen", versichert er. Doch je stärker man das Angebot in der Schweiz auf Touristen ausrichte, die im Schnelldurchlauf durch Europa jetten, desto stärker werde sich das Gesicht der Berge verändern. Und das nicht zu deren Gunsten.

"Hintergrundmotiv für Selfie-Touristen"

Auf fast 4000 Metern Höhe, dort, wo der Matterhorn Glacier Ride 2000 Personen in der Stunde ausspuckt, gibt es nicht nur eine 360-Grad-Aussichtsplattform, sondern auch ein preisgekröntes Restaurant, eine Showküche, einen Souvenirshop.

Für Rodewald geht der Charme der Alpen im Zuge dieser "Eventisierung" kaputt. Während die Zermatt Bergbahnen AG stolz von der "höchsten Bergstation Europas" schwärmt, ärgert sich Rodewald über die "Superlativkultur". Aus seiner Sicht verkommen die Berge, wenn sie derart einfach zu haben sind, zu einem "Hintergrundmotiv für Selfie-Touristen".

Viele Schweizer sehen das ähnlich. Wenn ein Angebot so klar auf Luxusreisende zugeschnitten ist, bleiben die Einheimischen oft weg. Selbst Mathias Imoberdorf, Sprecher der Zermatter Bergbahnen, ist dieser Konflikt bewusst. Er findet aber, es gebe genug Platz für beides. Das Angebot am Klein Matterhorn beschränke sich auf einen einzigen Berggipfel. "Rund um Zermatt stehen unzählige Viertausender, die nicht erschlossen sind, so auch das Matterhorn selber", sagt er. "Diese Regionen sind für Alpinisten reserviert und Turnschuhtouristen haben dort oben nichts verloren. Dies wird auch weiterhin so bleiben."

Andererseits ist Zermatt seit Jahrzehnten ein Reiseziel für zahlungskräftige Ausländer. Und wer die umwirbt, muss ihnen auch etwas bieten. Bevor die neue Bahn in Betrieb genommen wurde, kam es an der Zwischenstation "Trockener Steg" zu immer längeren Wartezeiten. Touristen, die viel Geld für ihren Skipass oder eine Aussichtsfahrt bezahlt hatten, mussten dort zum Teil 90 Minuten lang warten, sagt Imoberdorf - und wurden dann in der Pendelbahn "wie in einer Sardinenbüchse zusammengedrängt".

Dass man nachrüsten musste, kann Rodewald nachvollziehen - und da die neue Seilbahn die alte Strecke ergänzt, hat seine Stiftung keine Klage gegen das Projekt eingereicht. Es gebe schlimmere Bauvorhaben am Berg, sagt er. Im Moment sei er im Wallis im Dialog mit Einheimischen und Bergbahnbetreibern. Rodewalds Anliegen ist klar: Die Berge sollen keine weiteren "Disneylandprojekte", keine Thrill Walks, Gletscherbahnen und auf Effekt getrimmte Glaskristallinstallationen mehr ertragen müssen. Stattdessen sollten die Touristiker auf ein altes, fast vergessenes Gefühl setzen: "Auf 4000 Metern Höhe empfindet man zunächst einmal Ehrfurcht", sagt Rodewald. Er wünscht sich mehr Ruhe am Berg und "dass man vielleicht auch etwas über die außergewöhnliche Szenerie lernt, sich Zeit nehmen muss und nicht ständig berieselt wird."

Dass einsame Felsen geschützt werden müssen, war früher schwer zu vermitteln

Ob er damit Gehör findet? Auch wenn der Glacier Ride, bei dem die Fahrt mit der Kristallkabine zehn Franken extra, also insgesamt 97 Franken (86 Euro) kostet, in eine andere Richtung weist, gebe es viele, die sich einen sanfteren Tourismus wünschten. "Früher sind wir oft gefragt worden, was wir da oben schützen wollen", sagt Rodewald. "Es gebe dort ja keine seltenen Frösche oder Buschpflanzen." Dass auch einsame Felsen geschützt werden müssen, sei schwer zu vermitteln gewesen. Jetzt, wo auf den Bergen immer mehr Erlebnisparks stehen, sei das Verständnis dafür viel größer.

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