Links auf der Startrampe steht ein Typ mit einer grünen Kugel auf dem Kopf. Er ist hoch motiviert. Zumindest ist das aus den seltsamen Lauten zu schließen, die der Mann macht: "Wuuuuuuuuuuuuuih! Jäääääääääääi!", tönt es unter dem Globus aus Pappmaché, und seine Mitstreiter, deren Helme ausstaffiert sind mit roten und blauen Kugeln, jaulen unisono mit. Nur nicht irritieren lassen. Jede Sekunde kann es losgehen.
"Blau bereit?" "Jäääääi!" "Rot bereit?" "Ähm, ja." Moment, bin ich wirklich bereit? Ist das nicht Wahnsinn hier?
Ich stehe am Start zum St. Moritz City Race, einem ziemlich schrägen Skirennen. Die Strecke führt durch die Fußgängerzone von St. Moritz, vorbei an Banken, Boutiquen und Bars. Dreierteams treten gegeneinander zu einem Parallelslalom an, links der Kurs um die blauen Stangen, rechts der Kurs um die roten Stangen. Wenn ein Rennfahrer im Ziel ist, muss er einen großen schwarzen Buzzer drücken, erst dann darf oben der nächste starten. Der Kurs ist technisch nicht besonders schwierig, sodass auch durchschnittliche Skifahrer ihn bewältigen, aber dafür kann es in der Via Serlas, der Haupteinkaufsstraße von St. Moritz, ziemlich eng werden für zwei Skifahrer, die nebeneinander um jeden Zentimeter Vorsprung kämpfen.
Verrückte Events zur Saisoneröffnung
Zur Saisoneröffnung lassen sich die Skigebiete immer verrücktere Veranstaltungen einfallen: In Samnaun findet eine Nikolaus-Weltmeisterschaft mit Schornsteinwettklettern statt, in Ischgl tritt die Band Gossip auf, in Kitzbühel ist zum Winterauftakt ein schwules Ski-Happening mit "Gay-Ski-Guiding", Eisstockschießen und Schlagermusik geplant.
In St.Moritz hat man sich auf sportlichen Spaß konzentriert, was gut anzukommen scheint. 90 Dreierteams sind am vergangenen Wochenende an den Start gegangen, darunter einheimische Familien, Skilehrer, Gäste und Prominente.
Vom Podest am Start hat man einen schönen Blick über die Fußgängerzone bis zum 120 Meter entfernten Ziel. Am Start steht ein Riese, der alleine mehr wiegt als unser Dreierteam zusammen: Reto Götschi, ein ehemaliger Bob-Weltmeister aus der Schweiz, hinter ihm machen sich seine Teamkollegen warm, Guido Acklin und Ivo Rüegg, ebenfalls Bobfahrer. Im Gewühl vor dem Start zum Staffelrennen stehen Kinder mit Elchgeweihen aus Plüsch auf dem Helm, Jugendliche vom St. Moritzer Skiclub im hautengen Renndress, Senioren mit Glühweinbecher in der Hand - und Weltklassesportler wie die Mountainbike-Profis Ralph Näf, Lukas Flückiger und Michael Albasini. Gegen die wird es schwer werden, zumal meine Teamkollegen Jakob und Felix, beide 14 Jahre alt, Fliegengewichte sind im Vergleich zu den muskelbepackten Athleten.
"Uuuuund - los!" Entschlossen stoße ich mich mit den Stöcken ab. Entscheidend ist der Start über die steile Rampe, dort muss man sich das Tempo holen, um durch die relativ flache Fußgängerzone schnell genug ins Ziel am Café Hauser zu kommen.
St Moritz, Schweiz:Jetset auf dem Berg
Dass sich im Winter in St Moritz Reiche und Schöne treffen, kann diejenigen kalt lassen, die lieber die Schönheit der Pisten erkunden - denn dort bleibt der Rummel aus.
Am Ende der Rampe wird es hakelig. Die Slalomstangen stehen dicht an der Häuserecke, die mit weichen Matten gesichert ist. Es wäre extrem peinlich, an dieser Stelle aus der Kurve zu fliegen, und wahrscheinlich auch ziemlich kostspielig. Rechts ragt der Bogner-Shop in die Piste, links die Konditorei Hanselmann, beides sind eher keine Discount-Läden. Bei Hanselmann ist eine Schachtel Pralinen für 93,40 Franken ausgestellt, man kann dort auch einen mit 0,7 Liter Whisky gefüllten Curlingstein kaufen, für 68 Franken. Im Bogner-Laden sind festlich illuminierte Luxus-Winterklamotten zu sehen.
Jedermann-Skirennen sind populär
Entlang der Strecke stehen dick eingehüllte Zuschauer, einige haben Pelzmützen auf, die meisten wärmen ihre Hände an heißen Getränken. Es ist minus 15 Grad kalt, die Piste, die aus Naturschnee besteht, ist bestens präpariert.
180 Hobby-Rennfahrer versuchen beim City Race ihr Glück. Im Vergleich zu anderen Spaß-Rennen ist das noch wenig. Jedermann-Skirennen sind populär, am Inferno-Rennen in Mürren nehmen alljährlich 1800 Skifahrer teil, beim Hexenrennen in Belalp melden sich bis zu 1500 Teilnehmer an. Das Inferno-Rennen gibt es seit 1928, die 15,8 Kilometer lange Strecke am Schilthorn weist eine Höhendifferenz von 2170 Metern auf. Das Rennen "Der Weiße Ring" in Lech geht über 22 Pistenkilometer und 5500 Höhenmeter, zwischendurch fahren die Teilnehmer mit dem Lift. Beim längsten Riesentorlauf der Welt, der Gardenissima im Grödnertal, messen 620 Hobby- Rennfahrer ihre Kräfte, die sechs Kilometer lange Strecke hat eine Höhendifferenz von 1000 Metern, 111 Tore sind zu umkurven.
Dagegen ist der Mini-Slalom in St.Moritz ein Witz. Aber ein gut organisierter, schließlich sind wir in der Kategorie "Fun" angemeldet.
Dabei sein ist alles
Auch wenn einige Ex-Weltmeister am Start sind und manche Freizeit-Racer die Sache extrem ernst nehmen, heißt das Motto: Dabei sein ist alles. Gegen Team 7, die "Fridolins", scheint das Team Süddeutsche Zeitung sowieso keine Chance zu haben. Schon bei der Konditorei Hanselmann haben die Fridolins einen knappen Vorsprung herausgefahren, und weiter unten bei der Graubündener Kantonalbank sind es schon zwei Skilängen. Links sehe ich im Augenwinkel den von Norman Foster gestalteten Eingang der Appartement-Anlage "The Murezzan", eine halbe Sekunde später zische ich an Dolce & Gabbana vorbei, und schon bin ich im Ziel. Schnell, wo ist dieser schwarze Buzzer?
Am Ende erreichen die "Fridolins" den dritten Platz, hinter der Familie Fiol und dem Team "Angriff". Unser Team erreicht vorzeitig einen Sitzplatz beim Café Hauser, wo es heiße Schoggi und Tee gibt. Auch gut.