Süddeutsche Zeitung

Schweiz:Ziegen, die auf Yogis starren

Der US-Trend Ziegenyoga hat es bis in das Oberengadin geschafft. Aber warum eigentlich? Ein Selbstversuch.

Von Dominik Prantl

Da sitzt man nun also über das Reporterpech sinnierend auf der lilafarbenen Yogamatte und fragt sich, was nur in diese Ziegen gefahren ist. Sie sitzen zu dritt in der Ecke des umzäunten Yoga-Areals, rupfen ein wenig Gras und machen sonst: nichts.

Das ist jetzt schon ein wenig depriminierend, selbst für Menschen mit der nachvollziehbaren Grundhaltung, dass Ziegenyoga in einer Liga mit Extrembügeln, Arschbombenweltmeisterschaften und Unterwasserhockey spielt. Denn was gibt es über die Ziege als eifrigen Yogaassistenten nicht alles zu hören, sehen und lesen! Auf Youtube-Videos hüpfen Ziegen, nein: Zicklein, über gar entzückte Yogis und noch entzücktere Yoginis. Einige schalten sogar derart in den Kuschelmodus, dass sie die Übungseinheiten unterbrechen - also die Yoginis, nicht die Ziegen. Auf ganzen Zeitungsseiten lässt sich nachlesen, wie sie, die Ziegen, - ach, wie unglaublich süß! - an Schnürsenkeln knabbern.

Und nun? Ausgebrannt von den vielen Yogastunden? Einfach keinen Bock mehr auf die ständig gleichen Krieger, Kobras und herabschauenden Hunde? Oder waren die Erwartungen an die Tiere zu hoch?

Dabei kommt ihre Geschichte nicht nur bei Extrembüglern und Arschbombenweltmeistern ziemlich gut an. Natürlich erzählen sie die nicht selbst, das übernimmt Nicole Buess, die Ziegenflüsterin, die Herrin der Ziegen. Buess kann das, erzählen, und wenn sie erzählt, dann strahlt sie, ach was, das ganze Gesicht lacht; und sie erzählt, wie das damals war, als sie immer wieder mit dem Hund an dem Hof mit den fünf Ziegenböcken am Rand des kleinen Orts Champèr im chronisch sonnigen Oberengadin vorbeikam, und dass sie die Ziegen liebe, "seit sie die Männer kennt", und sie lacht, und der Satz nimmt erst ein Ende, wenn sie sich an die Nachricht vor rund zwei Jahren erinnert: Im Herbst geht's für die Ziegen zum Metzger. Das fand Buess, weder Bäuerin noch Yogalehrerin, nicht gut. Schweine kommen zum Metzger, ja, Kühe und Hühner vielleicht, aber Ziegen, nein, das passte nicht in ihr Bild. "Ich habe den Bauern um Aufschub gebeten." Und während der Bauer Aufschub gewährte, feierte Buess ihren 50. Geburtstag. Statt Blumen und Schokolade gab es Geld für eine Art Ziegen-Rettungsschirm.

Halt, da bewegt sich was. Zwirbel, der wie alle Yogaziegen einen Namen hat, läuft in die Mitte, erleichtert sich dort kurz, schleckt der Yogalehrerin während des herabschauenden Hundes die Ferse, und setzt sich zurück zu seinen beiden Artgenossen. Gelächter, und wer nicht lacht, grinst wenigstens ein bisschen. Auch wenn das die wichtige Konzentrationsfindung durchbricht: Ziegen sind ein willkommenes Ablenkungsmanöver für den Geist.

Außerdem sind die Ziegen auch Goldesel, kleine zumindest. "Ich habe immer gesagt, die Ziegen müssen ihr Geld selbst verdienen", sagt Buess, und obwohl sie lacht, ist klar, dass sie das tatsächlich so meint. Zuerst habe sie im Rahmen ihres Projekts "Mini Geiss - Dini Geiss" (heißt wirklich so, obwohl alle ihre Tiere Böcke sind) nur Ziegentrekking angeboten, bis eines Tages die Ziegen auf der Weide um ihre Yogamatte tollten. "Am nächsten Tag erzählt mir zufällig die Friseurin: Weißt du, es gibt Ziegenyoga, musst du mal googeln." Heute verlangt sie für die Yogaeinheit pauschal 360 Schweizer Franken. Macht bei zehn Teilnehmern etwa 33 Euro pro Stunde.

Momo scheint gerade einzufallen, dass er dafür auch etwas bieten muss, rennt durch die Mitte und schnüffelt am Fuß des sich redlich im Wirbelsäulen-Twist mühenden grauhaarigen Teilnehmers. Das war es aber auch schon wieder. Die Ziegen sind entgegen der üblichen Klischees ja auch nicht blöd; blicken also weiterhin lieber desinteressiert durch den Zaun auf die umliegenden Dreitausender. Wahrscheinlich wären sie auch lieber Trekkingziegen, die Buess für ein Uno-Klimawandel-Projekt schon über einen Gletscher führte. Nur: "Die sind kräftiger als diese hier", so Buess.

Im Vergleich mit den kleinen Zicklein, die in Internet-Videoschnipseln auf Menschen steigen, wirken aber selbst ihre Yogaziegen wie Schäferhunde neben Zwergpinschern. "Ich will auch nicht, dass sie auf den Leuten rumhüpfen", sagt Buess. Das ist schon allein deshalb vernünftig, weil ihre Huftiere womöglich manche Kobra in platte Krieger verwandeln würden. Die Aufnahmen der Zicklein stammen ohnehin meist aus den USA, wo - wie so vieles, dessen Sinn sich auf den ersten Blick genauso wenig erschließt wie auf den zweiten - die Idee des Ziegenyogas ihren Ursprung hat. Im vergangenen Sommer war sogar ein neuer Ziegenyoga-Weltrekord in Washington geplant gewesen, der allerdings kurzfristig aus Tierschutzgründen abgesagt werden musste. Lainey Morse, in deren E-Mail-Signatur "Founder President Original Goat Yoga" steht, habe sich sogar aus Oregon bei Buess gemeldet und gemeint: "Wie großartig ist das, dass du Ziegenyoga in die Schweiz gebracht hast!" Medienberichten zufolge nahm Morse bereits im ersten Jahr, 2016, 160 000 Dollar mit dem Ziegenyoga ein, ohne dabei jedoch Profit zu machen.

Die sehr weite Welt der Entspannungsgymnastik bietet ja auch durchaus Raum für Experimente. Wobei zwischen Antigravity-, Unterwasser- und Bieryoga mittlerweile auch immer öfter der Vermarktungsgedanke neben dem philosophischen Ansatz einen festen Platz zu haben scheint. Wer die Kommentare zu Youtube-Videos studiert, merkt auch bald, dass den Menschen die Absurdität dieser Entwicklung keineswegs verborgen bleibt: Wann denn endlich mit Wasserbüffel- und Alligatorenyoga zu rechnen sei. Oder die naheliegendste aller Fragen: "But why?" Warum?

Darüber lässt sich freilich streiten. In jedem Fall betreibt Buess mit dem Ziegenyoga auch eine unbestreitbare Imagekorrektur jenes Nutztieres, das in der Moderne als Synonym der Sturheit und des Begriffsstutzes oft nicht besonders gut wegkommt. Im chinesischen Tierkreiszeichen dagegen gelten Ziegen als einfühlsam, ruhig und eher introvertiert. Die Religion, Kreativität und Spiritualität, so heißt es, sei viel mehr ihre Welt als der Erfolg und das Geld. So rein mentalitätsmäßig kommt die Ziege dem Ideal eines Yogajüngers damit recht nahe. Irina Schumacher, die in Sachen Ziegenyoga durchaus mit differenzierter Meinung auftretende Yogalehrerin, hat beobachtet: "Yoga ist Lifestyle. Davor macht auch die Verbissenheit des Alltags nicht halt." Durch die Natur und die Ziegen entstehe eine gewisse Leichtigkeit.

Erst als sie die "letzte anstrengende Übung" verkündet, beginnen die Tiere zu meckern, im Zehn-Sekunden-Takt. Vielleicht die falsche Haltung? Hohlkreuz? Die Knie zu weit auseinander? Momo legt sich vor der Yogalehrerin ins Gras, Zwirbel streckt sich derweil hinter dem Grauhaarigen aus, wenig später streiten beide um die Matte. Das Signal ist klar: Es reicht jetzt. Wieder Gelächter, Grinsen, viel Wohlwollen. Irina sagt zum Abschluss: "Vielleicht können wir etwas mitnehmen von den Tieren. Mal aktiv sein. Und dann wieder zur Ruhe finden." Namaste.

Und damit per Arschbombe zum Unterwasserhockey.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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SZ vom 26.09.2019/ihe
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