Schweiz:Durch die Brille

Marco Volken zeigt Klohäuschen im Gebirge: meist als ästhetischen Gewinn, manchmal auch ungeschönt.

Von Hans Gasser

So sauber! So aufgeräumt! Fragt man asiatische oder sonstige Erstbesucher der Schweiz über ihren stärksten Eindruck, man bekommt häufig die gleiche Antwort. Der schweizerische Hang zu Akkuratesse und Aufgeräumtheit, er scheint die Menschen aus anderen Weltgegenden nachhaltig zu faszinieren. Dass die Schweiz auch schmutzig, hässlich und provisorisch daherkommen kann, das erschließt sich den meisten Touristen nicht.

So gesehen verspricht Marco Volkens Bildband "Stille Orte" zunächst einmal eine Art Pionierarbeit zu sein. Der Schweizer Fotograf hat nämlich Klohäuschen fotografiert. Endlich, so denkt man, zeigt jemand mal die derbe, hässliche Seite der Schweiz. Aber Volkens Klohäuschen stehen nicht im Tal, neben Bausünden und Bahnhöfen, sondern im Hochgebirge. Wer dort unterwegs ist oder war, der weiß, dass gegen diese außergewöhnliche und dominante Berglandschaft nichts anstinken kann, nicht mal Wellblech-Klohüttchen. So versucht Volken gar nicht, diese Orte menschlicher Notdurft als ästhetischen Bruch der Postkartenblicke zu inszenieren. Im Gegenteil sind sie meist noch das Tüpfelchen auf dem i, da der Schweizer selbst beim Bau seiner Plumpsklos mit Wasserwaage und Zollstock hantiert und oft Schiefergestein und hübsch verwitterndes Holz verwendet. Die Häuschen stehen auf Felsgraten, Almwiesen oder über Gletschern zwar als Fremdkörper, aber als solche, die die Landschaft mehr ergänzen als kontrastieren.

Sie sind natürlich Spuren menschlichen Daseins und menschlicher Vergänglichkeit, wie der Journalist Erminio Ferrari in seinem Vorwort schreibt: "Wir kommen nicht umhin, den Zauber oder die Verherrlichung der Landschaft mit den weniger edlen Spuren unserer Durchreise zu vereinbaren." Und in der Tat sieht man die oft überfüllten Berghütten, zu denen diese Klos meist gehören, auf keinem der Bilder. Die Häuschen sind so fotografiert, als würden sie in der Wildnis auf einen zufällig vorbeikommenden Wanderer warten. Und auch der Schmutz, den jeder Bergwanderer von diesen vermeintlich stillen Orten kennt, er ist (zum Glück?) nicht zu sehen. Aber manchmal zeigt uns Volken die Häuschen ungeschönt, mit offener Tür und klapprigem Wellblech, wie jenes vor dem weltbekannten Panorama des Matterhorns. Hier wirkt es als witziger Kontrapunkt und als "Chance zur Anarchie", wie Volken in seinem Nachwort schreibt. Aber die Anarchie, die wird in der Schweiz eben nur in kleinen Dosen verabreicht.

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