Feriensiedlung in Schweden:Schöner bunkern

Schweden Gotland Feriensiedlung

Vom Bunker zum Bungalow: Fenster in die Betonbunker zu schneiden, war ein teures und aufwendiges Unterfangen.

(Foto: Geir Mogen)

Auf der schwedischen Insel Gotland wurde aus einem Militärgelände eine prämierte Feriensiedlung: ein Urlaub zwischen Pippi-Langstrumpf-Idylle und bombensicherer Festung.

Von Evelyn Pschak

In der Fiskargränd, der Fischergasse, steht man im wohl meistfotografierten Sträßchen von Gotlands Hauptstadt Visby. Hier reicht der Blick bis zur Domkirche, im 13. Jahrhundert von deutschen Händlern der einstigen Hansemetropole erbaut, an niedrigen Häuserfassaden vorbei, die fast hinter Rosenbüschen verschwinden. Eine der Holztüren hier führte vor 50 Jahren in den Süßigkeitenladen, den Pippi Langstrumpf in der Verfilmung leer kaufte, viele der Piratentochter-Abenteuer wurden auf Gotland gedreht. In der Altstadt reihen sich Speicherhäuser und Kirchenruinen ins noch immer mittelalterliche Straßengefüge samt intakter Stadtmauer ein, sie sind allesamt aus Kalkstein erbaut.

Die ganze Insel ist eine flache Kalksteinplatte, entstanden aus den Ablagerungen eines 400 Millionen Jahre alten Korallenriffs. Auch die Wikinger haben sich für ihre Runensteine daran bedient. Noch immer wird das Historische Museum von Visby zwei- bis dreimal jährlich von Bauern angerufen, die bei Feldarbeiten auf Schätze der Nordmänner stoßen - 80 Prozent der schwedischen Silberfunde aus Wikingerzeiten wurden in Gotland geborgen.

Gotlands reiche Geschichte und lange Strände vor Wald- und Heidelandschaften ziehen heute Touristen an. Doch nicht nur. Neben Wikingersilber und Langstrumpfschen Goldtalern weckt die 176 Kilometer lange und bis zu 50 Kilometer breite Ostsee-Insel auch aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage zwischen südschwedischer und lettischer Küste Begehrlichkeiten. Um diesen zu begegnen, wurde im Januar 2018 das Gotland-Regiment, die jüngste und kleinste Einheit der schwedischen Armee, neu eingeführt und seither aufgerüstet.

Dabei hatten die schwedischen Streitkräfte die beliebte Ferieninsel Anfang der 2000er-Jahre eigentlich verlassen. Doch die Krim-Annexion und der Ukraine-Konflikt führten zu Spannungen mit Russland. Und Schwedens größte Insel wurde erneut zu einem strategisch wichtigen Gebiet erklärt. An alle ihre einstigen Stützpunkte konnten die Soldaten allerdings nicht zurück. Die Bunker und Trainingslager von Bungenäs etwa waren bereits umgebaut. Zu Ferienhäusern.

Feriensiedlung in Schweden: Innen bestechen die Bunker-Ferienwohnungen mit skandinavischem Design.

Innen bestechen die Bunker-Ferienwohnungen mit skandinavischem Design.

(Foto: Geir Mogen)

Hier, am nordöstlichen Ende Gotlands, wurde von 1910 bis 1960 Kalkstein abgebaut, danach nutzte die schwedische Armee das Areal bis 2007. Ihr kaufte Joachim Kuylenstierna das 160 Hektar große Gelände ab. Kuylenstiernas Vater war beim Militär, und so kam der heute 50-jährige Immobilienentwickler bereits als Neugeborener in das Sperrgebiet von Bungenäs.

Inzwischen wurden hier fünf Bunker zu Wohnraum transformiert, 25 moderne, sich niedrig in den dichten Wald einfügende Flachdachheime gebaut und vier historische Bauten aus der Kalkabbau-Ära fürs Gastgewerbe restauriert. Als Joachim Kuylenstierna für seine Vision von behutsamer architektonischer Gestaltung im heutigen Naturreservat nicht gleich die richtigen Bauplaner fand, gründete er 2010 sogar ein eigenes Architekturbüro, Skälsö Arkitekter, um die Entwicklung des Gebiets aus einer Hand vorantreiben zu können.

Seither wird auf den Parzellen nach strengem Bebauungsplan vorgegangen, nach seinen Materialvorgaben, die Holz, Glas, Beton und Cortenstahl erlauben. Und auch die Landschaft muss respektiert werden: Vor den Häusern dürfen keine Zäune errichtet, keine bunten Sonnenschirme oder Plastikstühle aufgestellt werden. Das gesamte Areal ist noch immer vom Militärzaun umgeben, Besucher können nicht hineinfahren, ein Fußgängerzugang ist aber immer geöffnet.

Feriensiedlung in Schweden: Bunte Sonnenschirme oder Plastikstühle sind verboten, um das prämierte Ensemble nicht zu verschandeln.

Bunte Sonnenschirme oder Plastikstühle sind verboten, um das prämierte Ensemble nicht zu verschandeln.

(Foto: Geir Mogen)

Selbst als Grundstücksbesitzer darf man zwar mit dem Auto ans eigene Haus, um die Einkäufe auszuladen, muss dann aber wieder zum Parkplatz am elektrischen Eingangstor zurück: "Es ist kein Vergnügen, den gesamten Sommer auf den gelben VW Jetta des Nachbarn zu schauen", rechtfertigt der Unternehmer seinen rigorosen Ästhetizismus. Der bereits belohnt wurde: 2017 erhielt Skälsö vom Schwedischen Architektenbund den Preis Villapriset fürs schönste Einfamilienhaus, 2018 hat man das Büro auf die Architekturbiennale in Venedig eingeladen und 2019 die gesamte Anlage für den renommierten Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert.

Die Musiker spielen für Bier und Unterkunft

Es braucht zwar regelkonformen Geschmack, aber nicht Reichtum, um sich in Bungenäs ein Ferienhaus zu bauen, betont der Unternehmer: "Der günstigste Baugrund kostet 80 000 Euro, das kleinste Haus ist 40 Quadratmeter groß, das größte 300", erklärt Kuylenstierna.

Der restaurierte Lebensmittelladen, das heutige Café Nyströms, liegt idyllisch in einem Feld voll blauem Natternkopf. "Bis zum Zweiten Weltkrieg arbeiteten 200 Leute im Steinbruch", sagt Kuylenstierna. Einst konnten die Arbeiter des Kalksteinwerks in dem kleinen Konsum bis zum nächsten Zahltag anschreiben lassen; das Interieur von heute schlägt die Brücke zu diesen vergangenen Tagen: eine Sammlung historischer Rundfunkempfänger steht in den Regalen. Auf Spitzendeckchen stehen verschraubte Gläser mit eingelegten Pfirsichen und Marmeladen. Dass im Sommer das Nyströms jeden Tag mit frischem Backwerk öffnet, ist Anna Matton zu verdanken. Die Schwedin backt, kocht ein, brüht auf. Und anschreiben lässt sie die Hausbesitzer von Bungenäs auch heute wieder.

Feriensiedlung in Schweden: Der Blick hinaus: Die Bunker stehen inmitten der Natur und haben teils Ostseeblick.

Der Blick hinaus: Die Bunker stehen inmitten der Natur und haben teils Ostseeblick.

(Foto: Geir Mogen)

Gleich neben dem Nyströms steht das Matsalen. Ein Restaurant mit fünf einfachen, aber adretten Hotelzimmern, einer Bar mit gelben Hockern und einem Speisesaal mit vielen hellen Holztischen auf dem alten Steinplattenfußboden. In den oberen Gastzimmern erinnern noch Details an die frühere Militärgeschichte: Hinter einer Wandtür findet man Einschusslöcher in der alten Tapete. Der Blick durch die Fenster fällt auf das glitzernde Blau der Ostsee, auf die Windräder der Landzunge gegenüber. Und auf die nackte Insel davor, wo das Militär einst Sprengsätze detonieren ließ.

Gegenüber dem Matsalen ist aus einer alten Scheune, in der früher Kalk gelagert wurde, das Kalkladan entstanden, ein Restaurant- und Kulturbetrieb. Regelmäßig finden hier Kinoabende oder Konzerte statt: "Wir bezahlen die Musiker nicht, sie spielen für Bier und Unterkunft", sagt Joachim Kuylenstierna zufrieden. Das Ambiente ist hip: An zwei alten Kalkofentürmen hängen Lichterketten, auf dem Menü stehen gerösteter Grünkohl und neu interpretierter Matjes, ausgeschenkt wird ein spritziger Riesling aus dem Rheingau. Es ist die eigene Weinlinie von Calle Fegth, der in der historischen Villa des früheren Kalkbruch-Direktors ein Clubhaus für die Anrainer betreibt. Seine Flaschen bewahrt der Norweger in einem Bunker von 1100 Quadratmeter Größe direkt am Meer auf.

Calle Feght hat aber nicht nur einen der Bunker zum Weinkeller umfunktioniert, er lebt mit seiner Frau Anna Matton auch in einem. Das Paar verbringt die Sommermonate in einem hermetisch wirkenden Cortenstahlquader mit angrenzendem Bunker inmitten einer Lichtung. Feght hat den tunnelartigen Bau vom überwuchernden Grasdach befreit, jetzt steht der einstige Schutzraum wie ein überdimensionierter Eisenbahnwagon längs zum Neubau und dient als Wohnzimmer. Vier Fenster sind tief in die Mauern eingeschnitten, Lederbänke darin eingelassen, die einen weiten Blick auf die Ostsee bieten. Jedes der herausgeschnittenen Betonstücke habe 7500 Kilo gewogen, erinnert sich der Gastronom, immerhin sei die Betonwand 105 Zentimeter dick. Drei Wochen habe ein einzelner Arbeiter an der Befensterung geschuftet: "Fünfzehn Mal ist ihm die Diamantsäge abgebrochen. Glücklicherweise hatten wir einen Fixpreis ausgemacht."

Etwas mehr als zwei Kilometer von Bungenäs entfernt befindet sich ein weiteres Beispiel für einstige Militärarchitektur, die für Urlauber zum Hotel umgebaut wurde: die Festung von Fårösund. Sie wurde 1885 gebaut, als 30 Jahre nach dem Krim-Krieg Schlachtschiffe Gotlands Küste passierten. Festungsmauern ducken sich unter Grasbewuchs. Die Innenhöfe liegen tief unter Erdschutzwällen und den bröckelnden Betonsockeln alter Geschütztürme. "Viele Gäste beklagen sich, es sei kompliziert, uns zu finden. Aber das ist ja genau der Punkt einer Festung: die Deckung", sagt der Hotelier Anders Ringnér.

Ebenfalls an Gotlands Nordostküste steht das Designhotel Fabriken Furillen. In den 1970er-Jahren sei die Steinbruchfirma bankrottgegangen, erzählt der heutige Besitzer Johan Hellström. Er habe den Ort 1999, damals noch Fotograf auf der Suche nach einer spektakulären Kulisse für seine Modefotografie, gefunden und übernommen. In der heutigen Eingangshalle reparierte man früher die Züge zum Kalktransport. Dass diese surreale Landschaft aus Schüttgut-Kegelbergen, Bruchschneisen und wuchtiger Industriearchitektur auch anderen Fotografen gut gefallen würde, erkannte Hellström gleich. Seine Hauptklientel ist heute die Mode- und Autoindustrie, die das Areal für Werbeaufnahmen nutzt, für Touristen hat er nur sechs Wochen im Sommer geöffnet.

Reiseinformationen

Anreise: z. B. mit SAS nach Stockholm, mit dem Bus nach Nynäshamn, dort auf die Fähre nach Gotland

Unterkünfte: Hotel Bungenäs Matsal sowie Restaurant und Programm in der Kulturscheune Kalkladan: www.bungenas.se, ÜN im Doppelzimmer pro Nacht ab umgerechnet 65 Euro; Hotel Fabriken Furillen: DZ/Nacht ab 250 Euro, furillen.com; Hotel Fårösund Fästning: DZ/Nacht ab 150 Euro, farosundsfastning.com; die Hausbesitzer in Bungenäs vermieten z.B. bei Airbnb; Allgemeines: gotland.com.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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