Schottland:Whisky der Wikinger

18 Sekunden lang schweigen: Beim Besuch der nördlichsten Brennerei Großbritanniens auf den Orkney-Inseln, die ihre eigene Geschichte haben, erfährt der Gast so manches Trinkgeheimnis.

Von Evelyn Pschak

Mit seinem Vornamen hat John Strachan sich bis heute nicht abgefunden. Mit seinem langen, geflochtenen Kinnbart sieht der 59-Jährige auch nicht aus wie ein John. Eher wie ein Magnus oder Sigurd. Wikingernamen eben, wie Kinder sie auch heute noch tragen auf Orkney, dem Inselarchipel vor Schottlands Nordküste, das so lange unter der Herrschaft norwegischer Fürsten stand.

Seine Mutter, sagt John Strachan ein wenig wehmütig, wollte ihn eigentlich Thorfinn nennen. Aber sein Vater hätte den Eintrag ins Geburtenregister vorgenommen, als Mutter und Neugeborenes noch im Krankenhaus lagen. "So wurde es also John." Immerhin führt der Schotte heute trotzdem durch die dunklen Steingebäude der Highland Park Distillery, die nicht nur die nördlichste Whiskybrennerei des britischen Königreichs ist, sondern auch Herkunftsort des "Single Malt mit der Wikingerseele", so der Werbespruch der Brennerei. "Und ja", bekräftigt Strachan mit breitem Grinsen, "mein Bart war sicherlich mit ein Grund, warum ich diesen Job bekommen habe." Vielleicht aber hat die Heimatverbundenheit der Mutter hier doch geholfen. "Sie erzählt heute noch, wie sie mir, als meine Zähne kamen, zwölfjährigen Highland Park auf den Kiefer gerieben hat."

Derzeit gibt es rund 120 Whiskybrennereien auf schottischem Boden, zwei davon befinden sich auf Mainland, der größten Insel des Orkney-Archipels. Die lang gestreckten Lagerhäuser von Highland Park, erbaut aus versetztem Naturstein, erheben sich auf den Hügeln im Süden des Städtchens Kirkwall. Ende des 18. Jahrhunderts soll genau hier der Wikingernachfahr Magnus Eunson begonnen haben, Hochprozentiges zu brennen, zunächst schwarz.

Selbst beim Whisky, dem Synonym für Schottland, verweisen die Brenner der Orkney-Inseln also auf die Zeit um das Jahr 800, als Wikingerkönige in Langbooten ihre norwegischen und dänischen Häfen verließen und alsbald den Weg zu den rund 70 Inseln des Archipels fanden. Wo sie blieben. Erst 1468 gelangte Orkney als Hochzeitsgabe des norwegischen Königs Christian I. an Schottland. "Was rechnerisch bedeutet, dass wir länger unter Wikingerherrschaft standen als unter schottischer. Es ist also noch zu früh, um zu sagen, ob diese neue Verbindung eine gute ist", resümiert John Strachan vergnügt.

Hinter jedem Witz, so sagt man, stecke immer ein Fünkchen Wahrheit. Die Orkadier können einem gleich vier Dinge aufzählen, durch die sie sich von den übrigen Schotten unterscheiden. Erstens: ihre eigene, von einem einheimischen Postboten entworfene und von der schottischen Heraldikbehörde 2007 genehmigte Flagge mit dem blauen skandinavischen Kreuz, gelb konturiert auf rotem Grund. Zweitens: ihre spezielle DNA. Eine Studie aus Oxford hat die Insulanergene mit dem Erbgut moderner Norweger abgeglichen und hohe Übereinstimmungen gefunden. Mit dem Orcadian verfügen die Archipelbewohner drittens über einen eigenen, den nordeuropäischen Sprachen sehr ähnlichen Dialekt. Über 1000 Worte der nordgermanischen Sprache Norn haben sich auf den Inseln bis heute gehalten. "Peedie" etwa, was klein bedeutet, sehr häufig verwendet wird und das Erste ist, was man lernt, sobald man hierher kommt.

Die Destillerie liegt auf Höhe des Polarkreises - näher an Oslo als an London

Der Begriff wurde inzwischen um eine weitere Bedeutungsebene bereichert: "Peedie folk" nennt man Touristen und Zugereiste, die erfolglos versuchen, sich den örtlichen Sprachduktus anzueignen. Viertens ordnet sich die Brennerei nicht nur aus reinem Lebensgefühl dem Norden zu. Sie liegt tatsächlich auf Höhe des Polarkreises, ungefähr auf demselben Breitengrad wie Anchorage in Alaska. Den Satz "Wir sind näher an Oslo dran als an London" hört man auf der Insel immer wieder.

Schottland: "Mein Bart war sicherlich mit ein Grund, warum ich diesen Job bekommen habe", sagt Whiskeybrenner John Strachan.

"Mein Bart war sicherlich mit ein Grund, warum ich diesen Job bekommen habe", sagt Whiskeybrenner John Strachan.

(Foto: Highland Park)

Selbstredend beweisen die Brenner des "Single Malt mit der Wikingerseele" aber auch im Destilliervorgang Einsatz, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Natürlich kommt das Wasser aus einer unterirdischen Quelle in einem alten Steinbruch; mälzt das Unternehmen seine Gerste noch selbst in der eigenen Tennenmälzerei und darrt das Whiskymalz in alten Öfen, den Kilns, mit Torf aus dem Hobbister-Moor, das zehn Kilometer westlich der Brennerei gestochen wird. Die feinen Verästelungen und Pflanzenstränge der heute noch sehr verbreiteten Besenheide sind, den vergangenen Jahrtausenden zum Trotz, im Moorboden gut zu erkennen. Durch die starke Heidekrautlastigkeit erhalte der Highland Park seine typische, honigähnliche Note.

80 Prozent des endgültigen Geschmacks des Whiskys, so ist Strachan überzeugt, hingen allerdings von den Fässern ab. Die Brennerei besitzt zwei Wälder, einen in Missouri in den USA, einen zweiten in Spanien. "Wir fällen die Eichen erst, wenn sie mehr als 80 Jahre alt sind, und pflanzen für jeden gefällten Baum 20 neue." Und da er schon lange nichts mehr von Wikingern berichtet hat, kommt er nun rasch zurück auf die Nordmänner: "Die Wikinger haben die perfekte Wasserundurchlässigkeit ihrer Boote durch besonderes Zuschneiden des Bauholzes erreicht. Diese Behandlung des Holzes nutzen wir auch. Sie macht es dem Destillat schwer, zu entweichen." Anschließend trocknen die Fassdauben vier Jahre lang unter der andalusischen Sonne von Jerez, bevor sie dort zu Fässern verarbeitet, mit Oloroso-Sherry befüllt, zwei Jahre gelagert und dermaßen präpariert zurück nach Schottland geschickt werden.

Mit Wintern um die fünf und Sommern um die 15 Grad Celsius wirke sich auch das Klima positiv auf den Reifungsprozess aus, sagt Strachan. Durch die geringen Temperaturunterschiede innerhalb eines Jahres dehne sich das Fassholz zudem weder weit aus, noch zieht es sich stark zusammen. Dadurch erleide der Highland Park einen geringeren Verlust an der Flüssigkeit, die man "Angels' Share", Engelsanteil, nennt: "Wo andere Destillerien zwei Prozent im Jahr verlieren, verlieren wir nur ein Prozent", rechnet Strachan vor. "Das klingt erst einmal nicht viel. Aber bei einem 40-jährigen Whisky hat eine andere Brennerei durch den Angels' Share 80 Prozent des Fassinhalts verloren - und wir nur 40."

Es heißt, man solle seinen Whisky für jedes Fassjahr eine Sekunde lang im Mund behalten. Das sei bei einem Zwölfjährigen gut möglich, bei 40 Jahren werde es schon schwieriger, sagt Strachan lachend und schenkt bei dem Tasting, das die Destillerietour abschließt, noch ein wenig nach. Er selbst hat auf allen Reisen immer einen Flachmann mit 18-jährigem Highland Park dabei. "Der transportiert mich sofort nach Hause, sollte ich Heimweh verspüren. Alle großen Ereignisse, die Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen meines Lebens, haben mit diesem Whisky zu tun." Würde ihn unterwegs jemand fragen, woher er stammt, er reichte einfach die Flasche weiter und würde sagen: "Von hier."

Wer das Glück hat, in genau diesem Moment neben John zu sitzen, sollte dann vielleicht doch ein paar Orcadian-Kenntnisse auspacken. Vor allem, wenn ein weiterer Schluck Single Malt davon abhängen könnte. Nach einem "Peedie dram" könnte man ihn fragen, einem winzigen Schlückchen. Oder für Orkney-Fortgeschrittene: "a Peedie Grain o' Whisky." Wem das trotz hochprozentiger Unterstützung nicht so geschmeidig von der Zunge perlt, kann seine Inselkenntnisse auch still beweisen. Und 18 Sekunden lang schweigen.

Reiseinformationen

Anreise: Eurowings und Easyjet fliegen jeweils einmal täglich von München nach Edinburgh, einfaches Ticket ab 39,99 Euro. Loganair fliegt dreimal täglich von Edinburgh nach Kirkwall (Orkney), einfaches Ticket ab 103 Euro.

Übernachtung: The Shore, Kirkwall, Übernachtung mit Frühstück ab 99 Euro, www.theshore.co.uk

Whisky Touren: Highland Park Distillery, Visitor Center, Holm Road, Kirkwall, Orkney KW15 1SU, www.highlandparkwhisky.com. Die Whisky-Touren sind unterschiedlich aufgebaut. Je älter der Whisky im Tasting, desto teurer das Ticket für die Tour: ab zwölf Euro (Viking Soul Tour) bis 290 Euro (Orcadian Vintage Experience) pro Person.

Weitere Auskünfte: www.visitscotland.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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