Schnee aus der Maschine:Millionenschwerer Stoff

Schneekanonen im Einsatz

Schneekanonen sind im Kampf um Wintergäste nicht mehr wegzudenken. Aber auch Maschinen sind auf tiefe Temperaturen angewiesen.

(Foto: dpa)

Wintersportorte stecken viel Geld in die maschinelle Erzeugung von Schnee. Das ist nicht nur für die Tourismusbranche lukrativ. Aber wie lange lohnt es sich noch, in die künstliche Beschneiung zu investieren?

Von Dominik Prantl

Wie so oft war wieder einmal der Zufall im Spiel, als Raymond T. Ringer die Basis für eine Revolution legte. Dabei ging es dem Kanadier in den 1940er Jahren keineswegs um Wintertourismus, Skigebiete und das Geschäft mit den Gästen. Ringer ging es um Flugzeuge. Als er in einem Testlabor bei Minusgraden Wassertropfen in eine laufende Turbine sprühte, wollte er mit seinem Forscherteam nur die Vereisung von Düsentriebwerken untersuchen. Dass sich im hinteren Teil des Windkanals dabei immer wieder Schnee ansammelte, vermerkte der Forscher als unerwünschten Nebeneffekt. Wer braucht schon Schnee aus der Maschine?

Es sollte noch rund 20 Jahre dauern, bis ein deutscher Ingenieur die erste europäische Niederdruck-Schneekanone konstruierte. Heute ist die Kanone ein Symbol für einen Kampf, den die Skigebiete führen. Sie sind mehr denn je abhängig von dem weißen Stoff.

Reduziert man Schnee auf seinen bloßen Zustand, ist er nicht mehr als ein Haufen sechseckiger Eiskristalle, entstanden durch feine Tröpfchen unterkühlten Wassers mit einem Kristallisationskeim als Zentrum. Einem wie Hannes Steinlechner wäre eine solche Definition freilich zu einfach. Für ihn als Betriebsleiter der Arlberger Bergbahnen ist Schnee viel mehr, nämlich "die Basis von allem, was wir dem Gast bieten, die Zukunft von St. Anton".

St. Anton ist vor allem auch ein Ort mit großer Vergangenheit, weil der Schnee hier besonders früh als Spielwiese und Wirtschaftsfaktor entdeckt wurde. 1901 entstand der erste Skiclub, 1921 folgte die erste Skischule. Auch wenn St. Anton nicht ganz so viele Niederschläge abbekommt wie die Rekordmessstellen in Damüls, Warth-Schröcken oder Lech-Zürs - dort laden die von Nordwesten heranrückenden Luftmassen die größte Fracht ab -, liegt hier der Schnee oft meterhoch. Bis zu 150 Tage haben die Anlagen pro Jahr geöffnet; die umliegenden Hänge gelten als Traumrevier für Variantenfahrer. Und doch nennt Steinlechner eine erstaunliche Zahl, wenn es um die maschinelle Unterstützung bei der Schneeproduktion geht: "Wir können 97 Prozent der Pisten beschneien."

Nirgendwo sonst ist es so selbstverständlich geworden, sich von den Launen des Wetters abzukoppeln wie beim Skitourismus. Dabei geht es weniger um die Frage, ob nun tatsächlich weniger Schnee fällt als früher, als um die gestiegenen Ansprüche der Kunden. "Der Gast reagiert heute ziemlich schnell, wenn die Qualität nicht passt", sagt Steinlechner. Oder anders: Die Skifahrer sind derart verwöhnt und sprunghaft, dass kein noch so kleiner unbedeckter Stein oder Maulwurfshügel das teuer bezahlte Erlebnis trüben darf.

Teure Schlacht um den Schnee

Beschneite und präparierte Pisten sind damit selbst für niederschlagsverwöhnte Tourismusgemeinden überlebensnotwendig geworden. Praktischerweise hat der Maschinenschnee - Skigebietsbetreiber vermeiden das Wort Kunstschnee - einige wunderbare Eigenschaften. Er lässt sich bei entsprechend niedrigen Temperaturen nach Bedarf produzieren und platzieren. Zudem hat er anders als der sehr stark von seiner Tagesform abhängige Naturschnee fast immer die gleiche Beschaffenheit. Er bindet und hält damit besser.

Den Skigebieten ist dieser perfekte Werkstoff einiges wert. Vor allem in Tirol nähern sich viele Gemeinden inzwischen den Verhältnissen der italienischen Alpen an, wo viele Skigebiete schon seit Jahren auf Vollbeschneiung setzen. In Österreich flossen in den vergangenen fünf Jahren rund 750 Millionen Euro in die sogenannte Schneesicherheit, was immerhin einem Viertel der gesamten Investitionen der Seilbahnen Österreich entspricht. Inzwischen ist sogar eine gewisse Sättigung erreicht. Peinlich ist den Wintermachern ihr Eingriff in die Natur keineswegs. Im Gegenteil. Die Kitzbüheler Alpen werben unverblümt mit 3440 Schneeerzeugern an insgesamt 762 Pistenkilometern.

Schließlich dient die teure Schlacht für mehr Schnee einem Wettbewerb um Milliarden. Allein Tirols Bergbahnen meldeten im Winterhalbjahr 2011/12 einen Umsatz von knapp 600 Millionen Euro, wobei die Seilbahnlobby nur zu gerne auf die weiteren Effekte verweist: So ziehe jeder an den Seilbahnkassen eingenommene Euro weitere sechs bis sieben Euro nach sich, die Gäste in der Region ausgeben. "Auf nur 0,6 bis 0,7 Prozent der Tiroler Landesfläche wird der gesamte Wintersport abgewickelt", sagt Steinlechner, um die rhetorische Frage nachzuschieben: "Wo stünden einige Orte ohne den Wintertourismus?" Laut einer Statistik der Österreich Werbung zählen zu den zehn nächtigungsstärksten Winterdestinationen acht große Skiorte, die sich längst als Marken etabliert haben: Sölden, Saalbach-Hinterglemm, Ischgl, St. Anton, Mayrhofen, Obertauern, Lech, Neustift im Stubaital. Die anderen beiden Destinationen sind Spitzenreiter Wien und Salzburg - auf Rang sechs.

Es ist auch keineswegs nur die Tourismusindustrie, die auf den Rohstoff aus der Düse angewiesen ist. Intersport, Europas größter Verbund von Sporthändlern, meldete im Dezember 2011 ein Umsatzminus von rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Schuld daran war ein Spätherbst, in dem so gut wie keine Flocke rieselte. Einige Skigemeinden legten mithilfe von Beschneiungsanlagen damals weiße Schneisen in die braunen Hänge. Ischgl verpulverte im Wortsinne 1,5 Millionen Euro für 80 Kilometer Kunstpiste. Das entspricht der Autobahnstrecke von München nach Ingolstadt. Aus Sicht von Ischgls Tourismuschef Andreas Steibl war die Produktion von einer Million Kubikmeter Schnee sinnvoll: "Für uns war das ein Imagefaktor. Wir wollten ein ganz klares Zeichen setzen."

Je nach Wettersituation, Höhenlage des Skigebiets oder Verfügbarkeit von Wasser koste ein Kubikmeter künstlich erzeugter Schnee zwischen 50 Cent und 2,50 Euro, sagt Steinlechner. Aus anderen Skigebieten hört man sogar Beträge bis zu fünf Euro pro Kubikmeter. Kein Wunder, dass Gletscherskigebiete wie das an der Zugspitze ihr gefrorenes Gut während des Sommers mit einem schützenden Vlies abdecken. In Langlaufgebieten wie Ruhpolding, Hochfilzen oder Davos werden gegen Ende des Winters mittlerweile riesige Schneedepots in Schattenlagen für den nächsten Saisonstart oder zumindest die Weltcupveranstaltungen angehäuft. Schnee als Wertanlage.

Die Frage ist, wie lange sich der kostspielige Kampf noch rechnet. Schließlich ist auch die Produktion von Maschinenschnee im Normalfall auf Minusgrade angewiesen. Umweltschützer wenden sich mit Grauen ab, wenn relativ niedrig gelegene Skigebiete wie jenes am Sudelfeld bei Bayrischzell ihre Investitionsvorhaben vortragen. Mit bis zu 45 Millionen Euro wollen die Oberbayern ihre Infrastruktur aufpeppen. Ein Gutteil davon soll in einen pompösen Speichersee mit angeschlossener Beschneiungsanlage fließen. Die Argumente der Befürworter sind nachvollziehbar. "Auf dem derzeitigen Stand können wir das Skigebiet noch maximal fünf bis zehn Jahre wirtschaftlich führen", sagt Harald Gmeiner, der Tourismuschef von Bayrischzell. Für ihn gehe es bei der Entscheidung um "Leben oder Sterben". Schon jetzt hätten sich im Vergleich zu den Neunzigern die Übernachtungszahlen in Bayrischzell halbiert.

Bis der Klimawandel zuschlägt

Die Gegner wiederum begründen ihre Skepsis längst nicht mehr nur mit Vokabeln wie Landschaftszerstörung, Energieverbrauch und Wasserverschwendung, die ihren Schrecken in einer ständig schwelenden Klimawandeldebatte ohnehin verloren haben. Stattdessen soll die Rhetorik des Kapitalismus mithelfen, die Umwelt zu retten. So spricht Christine Margraf vom Bund Naturschutz von "Torschlusspanik" und einer "Investitionsspirale" am Sudelfeld. Gerade bayerischen Tourismusorten fehle jegliches Konzept, um mit den veränderten Bedingungen umzugehen. Statt das Geld in wirklich nachhaltige Projekte zu investieren, rüste jeder auf, "bis der Klimawandel richtig zuschlägt".

Wie hart dieser Schlag ausfallen wird, ist bislang nicht sicher. Wolfgang Schöner von der Abteilung Klimaforschung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien kennt sehr genaue Zahlen für die Vergangenheit. In den vergangenen 40 Jahren ist die Temperatur im Alpenraum um 1,2 Grad im Mittel gestiegen, im Winter etwas weniger. Rein rechnerisch hat sich damit die Schneefallgrenze nur um rund 150 Meter verschoben. Regionen oberhalb von 1200 Metern stört das noch wenig. Die Zukunft hänge von zwei Faktoren ab, so Schöner: "Wie ändert sich die Temperatur und wie der Niederschlag?" Der Niederschlag ist kaum vorherzusagen. Was den Temperaturanstieg betrifft, sind die Prognosen für die Berge aber nicht so schlecht. "Bis zum Jahr 2050 ist es ein Grad Celsius im Mittel", sagt Schöner. "Der starke Anstieg kommt erst danach."

Geschäftemacher denken aber nicht so weit in die Zukunft - hier zählt das richtige Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag, zwischen Investition und Amortisation. Klimaforscher Schöner sagt es so: "Langfristig wird es Gebiete geben, die den Temperaturanstieg mit Schneekanonen nicht mehr ausgleichen können. Aber das liegt weit in der Zukunft. Bis dahin ändert sich auch das Konsumverhalten."

Tatsächlich scheint die Begeisterung für den Abfahrtsspaß schon jetzt nachzulassen. Skigebiete locken mit Wiedereinsteigerprogrammen und Gratisskikursen für Kinder. In der Schweiz wurde sogar eine Interessengruppe IG Schnee gegründet. Ihr Ziel: Maßnahmen und Aktionen, um Kinder und Jugendliche wieder vermehrt für den Schneesport zu gewinnen. Denn Erhebungen des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge ist die Zahl der deutschen Alpinskifahrer in den vergangenen 25 Jahren um etwa ein Viertel zurückgegangen. Ein ähnlicher Trend zeigt sich bei den Skifahrertagen und dem Absatz von Skiern.

Manche Wintersportorte denken angesichts solcher Zahlen bereits um. Am Mieminger Plateau wurde im vergangen Winter der Betrieb des kleinen Skigebiets eingestellt. Manuel Lampe, der Tourismusverantwortliche, sagt: "Wir setzen jetzt auf sanften Wintertourismus." Ohne Schnee kommt aber auch der nicht aus.

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