Süddeutsche Zeitung

Schienenverkehr:Eine entspannte Art des Reisens verschwindet

  • In dieser Woche endet bei der Deutschen Bahn die Ära der Nachtzüge. Sie bietet ab sofort keine Züge mit Schlafwagen mehr an.
  • Die Österreichischen Bundesbahnen übernehmen nicht nur Schlaf- und Liegewagen von den deutschen Kollegen, sondern führen auch etwa 40 Prozent des Angebots weiter.
  • Trotzdem ist die Kritik am Rückzug der Deutschen Bahn groß.

Von Marco Völklein

An die Sache mit den grünen Krawatten können sich die Mitarbeiter noch gut erinnern. 2013 war das; damals wollte die Fernverkehrssparte der Bahn demonstrieren, dass sie ihre Züge weitgehend mit ökologisch erzeugtem Strom auf die Schiene schickt. Als Ausweis dieser Öko-Dynamik sollten die Mitarbeiter in den Zügen grüne statt rote Krawatten tragen. "Das war damals schon ein Witz", sagt ein Zugbegleiter. Zumal der Konzern nun dabei sei, sich von einer weiteren umweltfreundlichen Art des Reisens zu verabschieden: Diese Woche endet bei der Deutschen Bahn (DB) die Ära der Nachtzüge. Damit werde "der klimafreundliche Bahnverkehr zurückgeworfen", sagt der EU-Verkehrspolitiker Michael Cramer (Grüne).

Tatsächlich gehören Zugreisen über Nacht fast von Anfang an zur Geschichte der Eisenbahn. Schon früh erreichte man so weiter entlegene Orte; zu Beginn noch in wenig bequemen Sitzwagen. Das änderte sich in den 1850er-Jahren, als der US-Amerikaner George Pullman einen Schlafwagen entwickelte, der ausreichend Komfort bot, um damit den weiten Kontinent zu durchqueren. Der Belgier Georges Nagelmackers transferierte Pullmans Idee in den 1870er-Jahren nach Europa und zog hier einen eigenen Nachtzugbetrieb auf.

Zuletzt lag der Jahresverlust bei 30 Millionen Euro

Zuletzt aber setzten Billigflieger und neue Hochgeschwindigkeitstrassen der Idee, längere Distanzen im Schlaf- oder Liegewagen ausgeruht zu überwinden, zu. Vor allem Geschäftsreisende wichen auf Flüge oder schnelle Zugfahrten in "Tagesrandzeiten" aus, auch wenn sie dafür sehr früh aufstehen müssen. Viele europäische Bahnen zogen sich deshalb aus dem Nachtverkehr zurück. Ihnen folgt nun die DB.

Aus Sicht der Manager eine logische Konsequenz: Bei 90 Millionen Euro Umsatz habe die Sparte zuletzt einen Jahresverlust von 30 Millionen Euro eingefahren, sagt Verkehrsvorstand Berthold Huber. Zudem wende der Konzern bis zum Jahr 2030 gut zwölf Milliarden Euro auf, um die in die Jahre gekommene ICE- und IC-Flotte aufzufrischen. "Da bleibt wirtschaftlich kein Spielraum für die Nachtzüge." Denn auch die müssten in den nächsten Jahren aufgemotzt werden.

2020 will die ÖBB neue Schlafwagen einsetzen

Andere sind da weiter: Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) haben ihren Fuhrpark für den Tagverkehr in den vergangenen Jahren schon modernisiert. Nun ist Geld da, um auch im Nachtverkehr zu investieren: 40 Millionen Euro legen die Österreicher hin, um 42 Schlaf- sowie 15 Liegewagen der DB zu übernehmen und aufzuhübschen. Bislang aber beschränkt sich das vorwiegend auf optische Korrekturen: Die Waggons leuchten außen nun blau; im Inneren kleben Dekorfolien an der Decke. Erst von 2018 an sollen umgebaute Bestandswagen mit neuen Vier-Bett-Liegeabteilen anrollen. Und 2020 sollen komplett neu beschaffte Schlafwagen den Standard im Nachtverkehr heben. "Wir wollen einen Fußabdruck im Markt hinterlassen", sagt ÖBB-Fernverkehrschefin Valerie Hackl.

Dazu übernehmen die Österreicher einen Teil der bislang von der DB bedienten Routen. So fahren die ÖBB-Nightjets unter anderem von Düsseldorf und Hamburg nach Innsbruck oder von München nach Venedig, Rom und Mailand. Einen "erstklassigen Service" verspricht Hackl. Im Schlafwagen werde den Gästen am Abend ein Snack serviert, am nächsten Morgen ein À-la-carte-Frühstück. Im Liegewagen gibt's ebenfalls Frühstück - auch wenn das mit zwei Semmeln, etwas Butter und einem Plastikschälchen Marmelade reichlich karg ausfällt. Das Ganze zu Preisen ab 69 Euro im Liege- sowie 99 Euro im Schlafwagen beispielsweise auf der Strecke München-Hamburg. Damit bewege man sich in etwa auf DB-Niveau, sagt Hackl.

Und auch bei der Pünktlichkeit wollen die Österreicher Akzente setzen. Denn nicht wenige Nutzer der DB-Nachtzüge planten von vorneherein Zeitpuffer ein; Verspätungen von ein oder zwei Stunden waren eher die Regel als die Ausnahme, räumen selbst Nachtzugschaffner ein. Bei den ÖBB-Nightjets sind laut Hackl 84 Prozent der Züge mit weniger als sechs Minuten Verspätung unterwegs. Immerhin 14 Prozent des Umsatzes macht die ÖBB mit Nachtzügen, bei der DB waren es zuletzt ein Prozent. Hackl jedenfalls glaubt: "Es gibt einen Markt für Nachtverkehre."

Tatsächlich hat der Nachtzug nach wie vor Fans: Im Internet hatten sie versucht, die DB-Spitze von ihrem Entschluss abzubringen. Politiker schalteten sich ein, Gewerkschafter und Beschäftigte machten Druck. Zu den Nachtzugschwärmern gehört auch TV-Moderatorin Sandra Maischberger. Sie lebt in Berlin, arbeitet in Köln, reist gerne mit dem Nachtzug - und stört sich auch nicht an den engen Abteilen, am Poltern der Waggons über Weichen. Oder an nächtlichen Rangierfahrten. "Ich schlafe auch im Nachtzug gut", sagt Maischberger. Und sie bedauert es, dass die Nachtzüge verschwinden. Zumal die ÖBB nur etwa 40 Prozent des DB-Angebots weiterführt. Die Strecke zwischen Hamburg und Lörrach hat die Nürnberger Firma Bahntouristikexpress übernommen. Der Rest verschwindet aus dem Fahrplan.

Viele Bahnen sind "sehr national" orientiert

Dabei hatten Nachtzugnutzer immer wieder den Eindruck gehabt, dass es durchaus eine Nachfrage gibt. Die Züge seien gut gebucht gewesen, sagt die Moderatorin. Mitunter habe sie gar keinen Schlafwagenplatz mehr bekommen. DB-Beschäftigte klagen, die Bahnspitze habe sich nie wirklich für den Nachtverkehr interessiert. "Alles, was kompliziert ist, will man nicht", sagt ein Nachtzugschaffner verbittert. "Es geht nicht mehr darum zu reisen - sondern nur noch darum zu fahren."

Zudem seien viele Bahnen "sehr national" orientiert, sagt ein anderer. Dabei seien grenzüberschreitende Verkehre wichtiger denn je in einem auseinanderdriftenden Europa, findet Grünen-Politiker Cramer. Der Vorstoß aus Brüssel, jedem Jugendlichen in der EU ein Interrail-Ticket zu schenken, verpuffe, ergänzt der Schaffner: "Mit welchen Zügen sind Interrailer denn unterwegs? Mit Nachtzügen natürlich."

Das "Schlafset" der Bahn: Nackenkissen und Ohrstöpsel

Die ÖBB-Manager indes hoffen, mit der Ausdehnung auf den deutschen Markt Synergieeffekte zu erzielen. Die Expansion "dient der Stabilisierung unseres Geschäfts", sagt Hackl. Vorwürfen, man spare beim Personal, treten die Österreicher entschieden entgegen. Der externe Dienstleister zahle österreichischen Tarif und liege deutlich über deutschem Mindestlohn. Dennoch sind kaum Nachtzugschaffner von der DB zu den Wienern gewechselt. Die meisten hoffen auf eine andere Verwendung innerhalb des DB-Konzerns.

Der will künftig Züge aus seiner ICE- und IC-Flotte auch nachts losschicken - etwa von Hamburg nach Basel oder von Dortmund nach München. Schlaf- oder Liegemöglichkeiten gibt es dort nicht, die Züge bestehen aus Sitzwagen. "So steigern wir die Auslastung unserer Züge", heißt es bei der DB. Das Licht im Zug werde gedimmt, die Durchsagen auf ein Minimum beschränkt, ein Nachtzuschlag werde nicht erhoben. Und wer seine Ruhe haben will, der könne ein "Schlafset" für 5,90 Euro kaufen; bestehend aus Nackenkissen und Ohrstöpseln. "Das sagt doch schon alles", schimpft ein nun ehemaliger DB-Nachtzugschaffner: "Ohrstöpsel haben mit entspanntem Reisen nichts mehr zu tun."

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Quelle:
SZ vom 10.12.2016/harl
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