Schaumgeboren auf Zypern:Die Körperkultgöttin

Aphrodite hat es vorgemacht, und die Gäste im Ferienclub auf Zypern wollen alles dafür tun, auch so klasse auszusehen wie die Meeresdame.

Martin Zips

In dieser Bucht also kam die Göttin der Schönheit an Land. Kein besonders spektakulärer Strand auf Zypern. Aber nett. Die vielen kleinen Kieselsteine müssen Aphrodite ganz schön unter den Füßen gekitzelt haben. Sicher hat sie schon deshalb milde gelächelt, als sie an Land kam.

So wie man es von den Aphrodite-Statuen und -Mosaiken kennt. Die salzverkrustete Göttin der Schönheit, so geht die Legende, verbarg zunächst ihre Blöße hinter einem Myrtenstrauch - bis sie später den Unsterblichen vorgestellt wurde.

Sagenhafte 2000 Jahre lang war Aphrodite auf Zypern die zentrale Gottheit. In Paleo Paphos huldigten sie der Göttin mit ,,berüchtigten Orgien und heiligen Hochzeiten''. So ist dort auf einer Hinweistafel zu lesen.

Von Aphrodite lernten sie, dass der menschliche Körper und die Liebe etwas Göttliches sind. Etwas, das über die gegenwärtige Zeit hinaus weist. Etwas, das keine aufgespritzten Lippen braucht. Dann kam Kaiser Theodosius und verbot im vierten Jahrhundert den Aphrodite-Zauber und alle anderen heidnischen Kulte.

Zurück blieben auf Zypern ein paar Säulen von ihrem Tempel, da und dort ein ,,Aphrodite-Supermarkt'', die ,,Aphrodite-Class'' bei der zypriotischen Fluggesellschaft, allerhand Hotels, Fischteller und Souvenirs gleichen Namens sowie ein weltweiter, vereinzelt klar ins Religiöse schwappender aphroditemäßiger Körperkult. Naturgemäß hat er mit der von Hesiod beschriebenen Göttin nicht mehr viel gemein.

Heute kann man dem Körperkult beispielsweise im luxuriösesten Hotel der Insel, im Anassa in der Nähe von Polis, huldigen. Hier, im griechischen Teil des seit mehr als 30 Jahren geteilten Eilands, dürfen sich die modernen Aphrodites im Thalasso-Becken mit Leonardo DiCaprio, Paolo Bulgari, Prinz Albert oder Tom Jones bekanntmachen.

Die Körperkultgöttin

Diese Stars haben hier, wo eine Suite auch schon mal 3300 Euro pro Nacht kostet, bereits Urlaub gemacht. Im Anassa sagen die Hotelangestellten zu männlichen Gästen ,,Sir'', beim Einchecken gibt es ein Glas Schaumwein gratis, im Badezimmer finden sich gleich drei Spiegel rund um die Dusche, abends herrscht Anzugzwang.

So wie Deimos und Phobos, ,,Schrecken'' und ,,Furcht'', Kinder der Göttin Aphrodite waren, so sind Schönheit und Etikette eben Kinder des Luxus. Interessant, wie viele religiöse Symbole sich in diesem Hotel finden: An den Zimmerschlüsseln baumeln Gebetskettchen; auf den Hotelfluren hängen wunderschöne Ikonen; gleich neben dem Eingang zu Schwimmbad, Massagesalon und Fitnessstudio befindet sich ein kleines Hochzeits-Kirchlein mit Glockenturm.

,,Liebe ist alles, was wir haben'', steht auf dem Zettel, den das Zimmermädchen dem Anassa-Gast abends auf das Bett legt. Ein Zitat des Dichters Euripides. Doch selbst das wirkt genauso sinnentleert wie alle kitschigen Aphrodite-Gips-Figuren, die zum Beispiel im Kiosk am Aphrodite-Strand angeboten werden. Aus Religion wird Nippes, aus Kult Kommerz. Der Sinn schwindet, die Welt gibt sich mit Äußerlichkeiten zufrieden.

Würde die Göttin der Schönheit, gezeugt aus abgeschnittenen Geschlechtsteilen und Meeresschaum, heutzutage noch einmal frisch der See entsteigen, ja da wär was los. Die Kioskfrau würde wahrscheinlich gleich die Polizei rufen, weil da plötzlich eine beeindruckende Schönheit splitternackt hinter einem Myrtenstrauch hockt.

Die örtliche Zeitung würde Fotografen in die Kieselbucht schicken und die Bilder anschließend weltweit vermarkten. Kamerateams würden auf Zypern einfallen und diesmal keine Berichte über den türkisch-griechischen Grenzkonflikt, über Volksabstimmungen, Masterpläne, gescheiterte Wiedervereinigungen oder die letzte geteilte Hauptstadt der Welt, Nikosia nämlich, drehen. Alle würden sich allein für die bildhübsche Frau interessieren, sie zu einer Göttin der Klatschspalten erheben.

Frauenmagazine hielten Fitness-Rezepte parat: ,,Wie selbst Sie Aphrodite-schön werden können''. Die exklusiven Fotorechte ihrer Hochzeit mit Hephaistos würden für weltrekordverdächtige 50Millionen Dollar verkauft. Es ginge um Geld, nicht um Transzendenz.

,,Du wirkst so hektisch'', sagt die Frau an der Rezeption des Ferienclubs. ,,Komm doch mal runter! Du bist hier im Urlaub.'' Wahrscheinlich hat sie recht. Urlaub heißt: Realitäten ausblenden. Die Seele sozusagen baumeln lassen. Am besten erholen könne man sich in einer der clubeigenen Sportanlagen, sagt die Frau. Beim Tennisspielen etwa. Beim Golfen.

,,Oder im Spa.''

Ein Spa ist so eine Art moderner Aphrodite-Tempel. Wer will, der kann sich hier wellnessmassieren lassen, unter die Höhensonne legen, ruhiger und schöner werden. Gerade erholt sich hier das Porsche-Formel-1-Team von seinen anstrengenden Fahrübungen auf Zyperns kurvigen Straßen. Bis knapp 2000 Meter hoch reichen die Inselberge.

Die abwechslungsreichen Landschaften sind mal saftig grün, mal karg und staubig. Ein ideales Terrain auch für die deutsche Nationalmannschaft im Herren-Mountainbiken. In der Ferienclub-Sauna macht einer der Mountainbiker gerade einen Sliwowitz-Aufguss und schwingt dazu das Handtuch. ,,Boah, der Ofen ballert ganz schön'', sagt er.

Begegnungen auf den Spuren Aphrodites. Der Kellner winkt den Urlauber an den Tisch für Alleinreisende. Eine originelle Idee, in so einem Ferienclub alle alleinreisenden Gäste abends an einen Tisch zu setzen. ,,Ich brauche noch 2000'', sagt Jürgen, Volkswirt aus Berlin. ,,Kalorien?'', fragt Personal-Trainer Stefan neben ihm. ,,Ja'', sagt Jürgen, ,,ich brauche noch etwa 2000 Kalorien.'' ,,Ich auch'', sagt Stefan.

Die Körperkultgöttin

Jürgen und Stefan unterhalten sich über ihre Marathonläufe in New York (,,super''), Monaco (,,traumhaft''), Wien (,,naja'') und Rom (,,zu viel Kopfsteinpflaster''). Jürgen freut sich auf den nächsten Samstagslauf in Berlin, Stefan träumt vom Ironman auf Hawaii. Stefan ist 32, Jürgen ist 53. ,,Sieht man mir nicht an, oder?'', fragt Jürgen.

Morgen muss er wieder ganz früh raus. Laufen, laufen, laufen. Das Laufen sei wie eine Religion für ihn.

Den Körperkult, sagt die schon etwas ältere Helga, habe sie schon lange hinter sich gelassen. Wir treffen sie an dem Wasserfall, an dem Aphrodite einst mit ihrem irdischen Liebhaber Akamas plantschen ging.

40 Jahre lang führte Helga gemeinsam mit ihrem Mann einen Bauernhof an der Ostsee. Einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 70 Tieren. Nun sei ihr Mann an Leukämie gestorben, da habe sie ein Bekannter aus ihrem Dorf gefragt, ob Helga nicht Lust auf eine Radtour durch Zypern hätte.

,,Aber mein Bekannter ist furchtbar'', sagt die grauhaarige Frau. ,,Der fährt viel zu schnell und ist ständig weg. Ich verstehe das nicht. Mit meinem Mann habe ich auch Radtouren gemacht. Wir sind meist nebeneinander gefahren oder haben an der nächsten Kreuzung aufeinander gewartet.'' Immer nur stur in die Pedale zu treten wie ihr Bekannter, damit man selber weiterkommt - das bringe doch nichts.

Das sei ähnlich wie mit der geteilten Insel Zypern: Da müsse man doch jetzt mal handeln, meint Helga, und nicht immer nur stur auf seine eigene Richtung beharren.

,,Hast du dich schon von Sina massieren lassen?'', fragt am Abend der sizilianische Tennislehrer Vito in der Poolbar des Ferienclubs. ,,Also, wenn schon, dann würde ich mich nur von Sina massieren lassen. Das ist eine echte Göttin der Schönheit.'' Schön zu beobachten, wie sich an diesem Abend in der Poolbar reihenweise männliche Gesprächspartner um Wellness-Masseurin Sina ranken.

Nur, um von ihr ein Wort, einen Blick zu erhaschen. Daneben steht Susanne, 23.

Die Körperkultgöttin

Ein bisschen kleiner, ein bisschen dicker als Sina und: allein reisend. Susanne sagt, sie habe sich beim Abendessen gerade so nett mit den Jungs von der deutschen Nationalmannschaft im Mountainbiken unterhalten. Aber ein kurzer Absacker in der Poolbar, das sei mit denen einfach nicht zu machen.

,,Klar'', sagt ein älterer Mann neben ihr. ,,Wenn die an Alkohol denken, dann kriegen die's gleich an den Herzkranzgefäßen.'' - ,,Warst du schon in Nikosia?'', fragt Jürgen, der nun alle 2000 Kalorien beisammen hat. ,,Meine Lieblingsstadt! Erinnert mich total an das geteilte Berlin in den Siebzigern.'' ,,Ist Nikosia geteilt?'', fragt ein anderer Gast.

Begegnungen auf den Spuren Aphrodites.

Am letzten Abend spielen die Mountainbiker wieder Saunameister. Nach der achten Kelle Sliwowitz springen sie nackt ins Freie, rasen runter zum Strand. Durch kalten zyprischen Regen laufen sie über künstlich angelegte Wiesen, mit dampfenden Körpern tauchen sie ins Meer.

Dabei rufen sie: ,,Ich fühl mich gut! Ich fühl mich gut! Ich fühl mich richtig gut!'' Dann reden sie über Reifenprofile und Gangschaltungen. Morgen geht es wieder in die Berge. Trainieren.

Den eigenen, göttlichen Körper stählen. ,,Wer bist du eigentlich?'', fragen sie den Typen neben sich. ,,Ich? Ich bin auf den Spuren Aphrodites unterwegs.''

,,Aphrodite, war das die, die so geil aussah und aus dem Meer kam?'', fragt einer. ,,Genau.''

Dann kommt eine Welle und spuckt die Männer - splitternackt und salzverkrustet - wieder zurück an Land.

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