Jetzt etwas gegen den kleinen Hunger zwischendurch: einen Hamburger, Chicken Nuggets oder eine Tüte Fritten. Fast überall auf der Welt ist es kein Problem, das zu bekommen, auch in San Francisco prangen die Leuchtzeichen der Fastfood-Ketten an jeder Straßenkreuzung. Nur hier nicht!
Ein kleines, drei Häuserblocks breites und acht Häuserblocks langes Stadtviertel leistet offensichtlich noch Widerstand. Zwischen spitzgiebeligen Tempelfassaden, Jadeschmuck-Läden und Parkbank-Masseuren mit bunten Schautafeln - zehn Dollar die Nackenmassage, zwanzig Dollar für Schröpfen - wuselt es nur so vor bunten Schriften und Zeichen.
Doch nirgends die vertrauten Leuchtreklamen. "Der McDonald's an der Grant Street", sagt die siebzigjährige Dorothy Quock schadenfroh, "musste vor ein paar Jahren wieder schließen. Wir Chinatown-Einwohner wollten dort nicht essen gehen."
Zwei Stunden lang ist die weißhaarige Chinesin in ihren traditionellen Samtschuhen durch das ehemalige Bar- und Rotlicht-Viertel getrippelt. Es ist die größte chinesische Siedlung jenseits des Pazifiks. Man ist ihr in den Ma-Tsu-Tempel mit seinen knallbunten Gottheiten gefolgt, hat Räucherstäbchen entzündet und Kubikmeter getrockneter Seepferdchen, Seesterne und Algen in den Apotheken bewundert. Man hat sich fremdartige Schriftzeichen übersetzen lassen, Kalligraphie-Pinsel und Jadefiguren befühlt, hat in den Auslagen der Gemüsehändler Lotuswurzeln, Ingwer, Wasserkastanien und Süßkartoffeln ausgemacht.
Und jetzt ist da nur noch eines: Hunger. Schon die ganze Zeit strömen aus Restauranttüren und Kücheneingängen die verlockenden Gerüche von würzig mariniertem Rindfleisch, gegarten Krabben und süßsaurem Bambusgemüse. Wann darf man endlich die Essstäbchen in eine Schale mit duftendem Reis stoßen? Einen der mit Hühnerfleisch und Pilzen gefüllten Hefeklöße probieren? Oder wenigstens ein Krabben-Lauchbällchen einwerfen?
Warum erst zum Nachtisch?
Leider ist Dorothy Quock noch längst nicht am Ende mit ihrer Tour. Und wer die Geheimnisse von Chinatown verstehen will, muss immer ganz nahe an der eloquenten kleinen Dame dran bleiben, wegen des Moped-Lärms in den Gassen, dem süßen Schanghai-Pop, der aus den Ladenfronten strömt und dem Klicken und Klappern des Brettspiels Mahjongg, das aus halb geöffneten Türen und Fenstern dringt.
Und selbst als das kulinarische Finale endlich auf dem Tisch des "Four Seas Restaurant" steht, fragt die Touristenschar unverzagt weiter: Darf man die mit süßem Bohnenmus gefüllten Sesamrollen erst zum Nachtisch essen? Besser ja. Und ist es unhöflich, einfach mit dem Finger auf das gewünschte Essen zu zeigen? Nein - schließlich schieben die Kellner ihre mit Speisen überfüllten Wägelchen in atemberaubender Geschwindigkeit an den Gästetischen vorbei und sagen die Gerichte nur auf Chinesisch an.
Die "Wok-Wiz"-Tour durch Chinatown revidiert so manches Klischee, denn die quietschbunten, mit Ornamenten überladenen Gassen waren für die Einwohner aus der Generation von Dorothy Quock noch alles andere als ein Vergnügungsviertel. "Wir Kinder putzten damals Schuhe oder halfen unserer Mutter in der Levi's Jeans Manufaktur. Sie bekam damals zwei Cent für jedes Knopfloch."