Samaria-Schlucht auf Kreta:Die Schluchtenbummler

Noch immer bietet die Samaria-Klamm auf Kreta ein romantisches Naturgefühl, doch die Einsamkeit findet der Wanderer heute anderswo.

Sebastian Gierke

Sie kommen zu Hunderten. In Bergschuhen, Laufschuhen, Sandalen. Hintereinander hetzen sie her. Im Gänsemarsch. Eine Flasche Wasser in der Hand oder einen Fotoapparat. Den Blick meist starr auf den felsigen Untergrund gerichtet, Tunnelblick, jeder falsche Tritt kann einen verstauchten Knöchel bedeuten.

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(Foto: Foto: iStock)

Sie gehen, bis die Schlucht sie ausspuckt, an den Strand, an das Meer. Dann stehen sie da. Schauen hinaus, fast wie benommen.

Viele kommen vom Omalos-Plateau, das auf etwas mehr als 1000 Metern liegt. Von dort geht es zur Samaria-Schlucht, der bekanntesten Schlucht Kretas. Rechts wölbt sich rund wie der Bauch eines dicken Mönchs der 2080 Meter hohe Schotterberg Gingilos, der Wächter der Schlucht.

Seine Besteigung, vorbei an Geröllfeldern und markanten Gesteinsformationen, lohnt; von oben hat man einen grandiosen Blick auf die weißen Berge, von denen einige noch im Juni schneebedeckt sind. Fast 2500 Meter ragen sie in die Höhe, auf Nord- und Südküste der Insel, auf die Ägäis und das Libysche Meer. An klaren Tagen kann man sogar die Küste Afrikas sehen, die 300 Kilometer entfernt liegt.

Hinab in die Schlucht führen viele Serpentinen. Durch einen duftenden Pinienwald geht es ins Tal Richtung Südküste, hinunter bis zum im Frühling noch munter plätschernden Gebirgsbach, der seit Urzeiten in mühevoller Fleißarbeit jenes Werk zwischen den Felsen weiterführt, das vor 14 Millionen Jahren durch tektonische Verwerfungen begann. Noch ist die Hitze nicht erdrückend, ein leichter Windhauch weht vom Meer herauf.

An den Pappeln jedoch, die am Wasser stehen, zwingt dunkles Grün das Helle der jungen Triebe bereits zur Aufgabe. Mit jedem Schritt wachsen die Wände aus rötlich schimmerndem Granit und Kalk links und rechts höher empor. Das morgendliche Licht ist noch nicht allzu herrisch, Schatten streifen die Wanderer, die hier während der Hauptsaison schon vom frühen Morgen an in großer Zahl per Bus herangekarrt werden.

Die Samaria-Schlucht hat sich zu einer der touristischen Hauptattraktionen Kretas entwickelt. An manchen Tagen sind hier mehr als 3000 Menschen unterwegs, womit in der 18 Kilometer langen Schlucht theoretisch auf alle sechs Meter ein Tourist kommt. Nicht alle steigen vom Plateau herab.

Abenteuer für Schlappenträger

Viele kommen von der Südküste, aus dem nur mit der Fähre erreichbaren Küstenort Agia Roumeli, gehen zwei oder drei Kilometer in die Schlucht hinein und kehren wieder um.

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(Foto: Foto: iStock)

Damit die Massen von Wanderern gefahr- und möglichst mühelos durchgeschleust werden können, wurde einiges unternommen. Der Pfad ist meist gut ausgebaut und markiert, es gibt Picknickplätze, Abfallkörbe, Toiletten und Wasserstellen, die Gefahr durch Steinschlag - erst vor wenigen Jahren verunglückten dadurch zwei Touristen tödlich - wurde durch Netze minimiert. Ein Abenteuer ist die Schluchtenwanderung daher nur noch für ein paar Verwegene, die sie mit Badeschlappen versuchen.

Trotz der Menschen, trotz der fehlenden Einsamkeit: Die Schlucht, einer der gewaltigsten und längsten Hohlwege Europas und an der schmalsten Stelle namens "Eiserne Pforte" nur drei Meter breit, hat noch immer ihren Reiz.

Gesteinsschicht für Gesteinsschicht zeigt sich hier in der Tiefe die Entstehungsgeschichte der Erde und die beständige Veränderung der Landschaft. Alte Pinien krallen sich in gewagten Posen in die Felswände, es gibt Johannisbrotbäume, Zypressen, Olivenbäume. Überall wachsen Gewürze wie Thymian, Salbei, Lorbeer, Lavendel, Bohnenkraut und außergewöhnliche Blumen: tief purpurne Aronstabgewächse, in voller Blüte stehende Meerzwiebeln, wilde Orchideen.

Wer Glück hat und nicht nur auf den Boden schaut, kann Steinadler und Geier beobachten, wilde Bergziegen balancieren geschickt auf den schmalsten Felsvorsprüngen. Am Weg finden sich auch kleine Kapellen, Höhlen und antike Opferstätten. In einer untergegangenen Stadt war einst ein berühmtes Apollo-Orakel zu finden.

Doch noch packender, atemberaubender, als im Gehen jedes Detail hart heranzuzoomen, ist die Weitwinkel-Einstellung. Sieht man die teils 600Meter hohen, senkrechten Felswände dieses Naturdenkmals empor, stellt sich ein Gefühl ein, als blicke man nächtens in den funkelnden Sternenhimmel: ein romantisches Naturgefühl. Noch immer sind viele Mythen und Legenden, die in der Schlucht ihren Ursprung haben, in der Bevölkerung lebendig.

Dämonen in den Höhlen

So glauben einige Hirten an Feen und Dämonen, die in den Höhlen hausen. Und viele Kreter sind überzeugt, dass die Schlucht wundersame Heilkräfte besitzt, dass Kranke hier gesund werden. Vielleicht diente sie deshalb Rebellen und Flüchtlingen immer wieder als Zufluchtsort. Allerdings kann ein drängelnder Trupp Schluchtenjogger, mit Laufschuhen, Schweißbändern und Pulsuhr, die Erhabenheit der Schlucht schnell zerstören.

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(Foto: Foto: iStock)

Damit kann man sich abfinden, muss man aber nicht: Kreta besitzt viele imposante und ungleich einsamere Schluchten. 330 gibt es auf der 250 Kilometer langen Insel, ungefähr 180 davon sind begehbar. Die Tripiti- oder die Roúwas-Schlucht zum Beispiel.

Eine der schönsten ist die Aradena-Schlucht, tief und steil und mit rosafarbenem Oleander bewachsen. Ein natürliches Xanadu. Leichte Kletterei ist hier erforderlich, wenn man aus dem Dorf Anopolis über große Felsbrocken hinabsteigt, immer begleitet von neugierigen Blicken der Kri-Kris, der kretischen Bergziegen. Nach zwei Stunden entlässt einen die Schlucht an das Libysche Meer, in die Marmara-Bucht.

Ein idyllischer Kiesstrand, eingefasst von den vom Meer glattpolierten Marmorfelsen, eine kleine Taverne, das Meer türkiser als in jedem Reiseprospekt. Und dann ist da diese leichte, wohlige Benommenheit. Man hat sich die Schlucht hinab gekämpft, rechts und links bedrängt von Fels, eingeengt, klein gemacht.

Und plötzlich, von einem Schritt auf den anderen, steht man am Meer, das zum Innehalten zwingt und einem nichts mehr zu tun gibt.

Von der Marmara-Bucht aus geht es eine Stunde an der Küste entlang, vorbei an gut erhaltenen venezianischen und römischen Ruinen, bis Loutro.

Keine Straße, keine Bettenburgen

In einer kleinen Bucht liegt das ehemalige Fischerdorf, das auf dem Landweg nur zu Fuß zu erreichen ist. Eine Straße gibt es hier nicht.

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(Foto: Foto: iStock)

Der Süden Kretas ist im Vergleich zur touristisch komplett erschlossenen Nordküste an einigen Stellen noch fast ursprünglich. Die Bewohner der Gegend haben sich gerade erfolgreich gegen den Bau eines großen Hotels und einer Straße gewehrt.

Die weißen Häuser von Loutro mit den blauen Fenster und Türrahmen wirken am Fuß der 600 Meter hohen Steilküste wie hingemalt. Schmale Treppen führen zu den Häusern in zweiter Reihe, in zwei Minuten ist der Ort zu Fuß durchmessen. Immerhin 700 Fremdenbetten gibt es hier, die in der Hauptsaison regelmäßig ausgebucht sind.

Da die Bucht einfach nicht mehr Platz bietet, sind dem Wachstum natürliche Grenzen gesetzt. Und im Frühling oder Herbst kann man direkt am Wasser sogar ein wenig Ruhe genießen.

Oder sich in eine der einsamen Schluchten im Hinterland zurückziehen.

Informationen:

Reisearrangement: Hauser-Exkursionen bietet beispielsweise eine 15-tägige Kretareise inklusive Flug mit Condor ab München für 1595 Euro an; Übernachtungen in familiären Hotels und Pensionen; meist Halbpension; Deutsch sprechende Reiseleitung; Hauser Exkursionen international, Spiegelstr. 9, 81241 München, Tel.: 089/2350060, www.hauser-exkursionen.de

Beste Jahreszeit: Die Samariaschlucht ist aus Sicherheitsgründen nur zu bestimmten Tageszeiten und nur von Mai bis Oktober komplett geöffnet. Zudem wird eine Eintrittsgebühr von derzeit 5 Euro erhoben.

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