Salzsee in Bolivien:Im Rausch des Surrealen

Wandeln zwischen den Sphären: Auf dem größten Salzsee der Welt, dem Salar de Uyuni in Bolivien, lenkt den Wanderer nichts Irdisches ab - fast nichts.

Richard Fraunberger

Schweben, gehoben werden in einen blau flirrenden Himmel, durch eine Fläche gehen, abstrakt, diffus, aus gespiegeltem Weiß, Grau und Blau - es gibt Landschaften, die ein hysterisches Glücksgefühl entfachen, sprachlos machen, berauschen.

Der Salar de Uyuni, der größte Salzsee der Welt im Hochland Boliviens, ist so eine Landschaft. Er liegt auf 3600 Metern, nahe der chilenischen Grenze, in einer windzerfressenen Leere aus Bergen, Vulkanen und fauchenden Geysiren.

Nur Lamabauern, Minenarbeiter und wie immer das Militär leben in dieser dünn besiedelten Region. Vor Jahrtausenden ausgetrocknet, blieb von dem Binnenmeer ein Becken übrig, 12.000 Quadratkilometer groß, gefüllt mit zehn Milliarden Tonnen Salz, die steinharte Kruste sieben Meter tief, ein kristalliner Ozean, in dem halb Hessen Platz fände.

In der Trockenzeit, von Mai bis November, ist der Salar eine Wüste aus gleißender Helligkeit, eine gigantische, weiße Platte unter einem keuschen, makellos blauen Himmel. Busse, Lastwagen und Jeeps kreuzen den See, als gäbe es Straßen, fahren nach Uyuni, Llica, Tahua, Canquella, transportieren Gemüse, Hühner, Wolle, Benzin, bringen Menschen in ihre Heimatdörfer.

Mit verstaubten Gletscherbrillen sitzen Fahrer am Steuer und fräsen mit ihren Fahrzeugen schnurgerade durch grelles Licht, als führen sie über polare Eisflächen.

Salz hämmert gegen Scheiben, frisst sich unter die Haube, es klirrt, knirscht, und unter den Reifen platzen und zerbröckeln fünfeckige Wabenmuster aus Salz.

In der Regenzeit ist der Salar nicht von dieser Welt.

Er ist ein Nirwana, Metaphysik. Alle Bezugspunkte verschwimmen, die Kordilleren, der Horizont, das strahlende Weiß des Salzes, das Oben und Unten. Wasser bedeckt den Salar und verwandelt ihn in einen gewaltigen Spiegel.

Nichts Irdisches zerstört das Bild

Sterne, Sonne, Mond, Wolken, das Morgen- und das Abendrot, alles spiegelt sich. Sanft kräuselt der Wind das Wasser, in dem glitzernde Salzkristalle treiben. Man läuft barfuß kilometerweit hinaus, als liefe man mitten hinein in ein surreales, blaustichiges Bild.

Nicht wie ein Wurm fühlt man sich, sondern groß und stark.

Alles stimmt in diesem Augenblick, die Wärme, die Ruhe, innen und außen, nichts Irdisches zerstört das Bild, kein Mast, kein Haus, nichts ist zu hören außer dem Pochen des eigenen Herzens.

Bis ein Hupen und Rufen die Wirklichkeit zurückbringt.

Felipe drängt, es sei spät, ein Gewitter sei im Anmarsch, man müsse weiter.

Felipe, 35, Ex-Unteroffizier, Vater zweier Kinder, das Gesicht sonnengegerbt, auf dem Kopf eine zerschlissene Baseballmütze, ist Herr über einen Toyota Land Cruiser mit einem Scheibenwischer, einer Kurbel für vier Fenster und einem Armaturenbrett, in dem sich mal Zeiger drehten.

Den Jeep startet er mit einem Schlag gegen den Anlasser, und wenn er einen Platten hat, sammelt er Steine, weil nicht jedes Reisebüro Geld für einen Wagenheber aufbringen kann.

Vor drei Jahren quittierte Felipe seinen Dienst beim Militär. Seitdem ist er Fahrer, Mechaniker, Tankwart, Reiseführer und Koch in einem.

Er arbeitet für eine der rund 50 Reiseagenturen in Uyuni, einem trostlosen, windgepeitschten 12000-Einwohner-Kaff am Rande des Salar. Der Tourismus hat die Region erschüttert, und Uyuni ist das Epizentrum.

Die Stadt mit dem sibirischen Flair und dem Eisenbahnfriedhof, wo abgewrackte Dampfloks in den Himmel rosten, ist das Tor in die Überwelt. Heerscharen von Touristen pilgern hierher, um sich an der halluzinogenen Landschaft zu berauschen, allen voran Rucksackreisende aus Argentinien.

Ebenfalls im Rausch sind die Bolivianer. Sie backen Pizzen, kochen Spaghetti al Pesto, stampfen Hotels und Internetcafés aus dem kargen und scherbenübersäten Boden, wo allenfalls Quinoa wächst, das Getreide des Hochlands.

Wind kommt auf. Finster grollt der Himmel und schleudert Blitze. Felipe tritt aufs Pedal, will zurück an Land.

Furcht vor den Wasseraugen

In der Regenzeit überquert kein Tourjeep den Salzsee und keine Touristenscharen laufen über die Isla Incahuasi, eine von Säulenkakteen überwachsene Insel mitten im Salar. Die Fahrer fürchten, in einem der ojos, der Wasseraugen, steckenzubleiben.

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(Foto: Grafik: SZ)

Und sie fürchten das aufspritzende Salzwasser. Deshalb bringt jeder eine Plastikplane unter dem Motor an.

Weiter ins Naturreservat Eduardo Avaroa. Vier Tage sind für die insgesamt 600 Kilometer lange Strecke vorgesehen.

Auf dem Autodach sind Gaskocher, Ersatzreifen, Essen und Benzin verschnürt, im Jeep quetschen sich neben Felipe vier Argentinier, ein Japaner und ein Deutscher auf durchgesessenen Rückbänken.

Fast alle Jeeps sind in einem Zustand fortgeschrittener Auflösung, und in fast allen Jeeps hocken mehr Touristen, als Sitzplätze vorhanden sind. Mit der Eröffnung immer neuer Reisebüros in Uyuni ist eine Schlacht ausgebrochen.

Wer in dem ehemaligen Eisenbahnknotenpunkt ankommt, wird von Schleppern nicht ins Hotel geführt, er landet im Reisebüro.

Zwischenstation in Colchani: schilfgedeckte Lehmhütten, schlammverdreckte Gassen, in denen Hunde liegen und Kinder barfüßig zwischen Pfützen einen zerknautschten Ball kicken.

Kein Rausch packt die Menschen in dem Dorf am Ufer des Sees. Für sie ist der Salar keine erhabene Landschaft, er ist Mühsal, tägliche Knochenarbeit.

Den Kopf mit Tüchern und Wollmützen verhüllt, im Gesicht eine billige Sonnenbrille, hacken die Männer, wie Generationen vor ihnen, mit einem Pickel Salz aus der Kruste, schaufeln es auf Lastwagen, zerkleinern und lagern es in Colchani.

Der Schatz unter dem See

25.000 Tonnen werden jährlich abgebaut und nach ganz Südamerika exportiert. Wäre Salz nicht so billig, Maschinen würden es dem Salar entreißen.

Dabei lagert unter dem Salz die Hälfte des Weltvorkommens an Lithium, ein Stoff für Batterien in Autos, Computern und Handys. Ginge es nach den Weltkonzernen, der industrielle Abbau hätte bereits begonnen.

Aber die Regierung in La Paz vergibt keine Konzessionen an ausländische Firmen. Bolivien blickt zurück auf 500 Jahre Ausbeutung.

Die Menschen wissen, dass ihr armes Land reich ist an Rohstoffen, die immer nur anderswo Reichtum bringen.

Weiter nach Alota. Lamaherden ziehen vorbei und Dörfer, so weggeduckt und schlammfarben, als seien sie verwoben mit der Erde, auf der sie stehen. Sobald die sengende Sonne untergeht, wird es bitterkalt im Hochland. Kein Mensch ist auf den Straßen zu sehen, kein Hund, kein Auto, nicht mal Lichter scheinen hinter den winzigen Fenstern der Adobehäuser, wie ausgestorben wirkt das Dorf.

Über der Tür eines Gehöfts hängt ein handgemaltes Coca-Cola-Schild. Ein rührendes, vergebliches Werben um Touristen. Die Bewohner Alotas leben vom Fleisch der Lamas, von Quinoa und neuerdings von Jeeptouren.

Coca-Blätter für die Gleichmut

Reisegruppen kampieren für eine Nacht auf Pritschen in einem der kahlen Häuser. Neben der Dorfkirche sitzen zwei Männer und trinken Bier. Sie tragen zerrissene Jacken und löchrige Gummistiefel. Ihre Hände sind schwielig, die Gesichter zerfurcht und ledrig, es sind die Gesichter zweier früh gealterter 19-Jähriger.

Sie stammen aus Potosí und arbeiten hier gerade an einem Bewässerungskanal. In ihre Backen haben sie Cocablätter gestopft.

Die Pflanze ist der Sieg der Gleichmut, sie hilft erdulden, den Hunger, den Schmerz, die Kälte.

Geduldig ist auch Felipe.

Schwefelbrei in Erdlöchern

Zum hundertsten Mal liegt er unter dem Jeep, schraubt, klopft, wechselt erneut den Reifen.

In aller Frühe, noch bevor am Horizont ein zarter lila Streifen lodert, sitzt er frierend im Overall am Steuer. Ein Wolkenbruch geht nieder, Regenwasser dringt durch die Windschutzscheibe.

Aus der blauschwarzen Dunkelheit schält sich der Tag. Von Nebelschleiern umwaberte Grasweiden kommen zum Vorschein, Bäche, Vulkane, 6000 Meter hoch, steil aufgeschichtet zu Kegeln, mit rund geschliffenen Flanken und einer schneebedeckten Krone, die emporragt aus der grünen und ockerfarbenen Ebene.

Eine prähistorisch anmutende Landschaft. Manchmal sieht man in der Ferne farbige Punkte, es sind Bauern, die am Wegesrand auf Säcken sitzen und auf Transporte warten. Vikunjas grasen.

Die Inkas fingen die sanften Huftiere, schoren ihre feine Wolle und ließen sie anschließend wieder laufen. Die Spanier schossen die Vikunjas, um sie zu häuten.

"Für alles, was du nimmst, musst du etwas geben", sagt Felipe. Jeden Tag vor Aufbruch benetzt er die Erde mit Schnaps.

Kilometer um Kilometer frisst sich der Jeep hinauf in das Naturreservat Eduardo Avaroa, eine rostrote, 5000 Meter hoch gelegene Steinwüste, in der nachts zur Trockenzeit die Temperaturen auf minus 20 Grad fallen.

Nur die zähesten Gräser und die in Stein gekrallte, moosartige Yareta überdauern Kälte und Trockenheit. Eingefasst von einem Faltengebirge, öffnet sich ein erosionszerfressenes Gebiet.

Alles zerfließt, Lavabrocken, Felsnadeln, Felsblöcke lösen sich auf zur Metapher, werden zur Skulptur. Von nicht weniger atemberaubender Schönheit sind die fauchenden Fumarole, das ewige Brodeln von Schwefelbrei in Erdlöchern, und die aus Geysiren schießenden Dampfsäulen.

Rund 60.000 Besucher kommen jährlich in das Naturreservat. Das macht 27 Jeeps pro Tag. Manche Stellen im Naturreservat sehen aus wie ein umgepflügter Acker, auf dem eine Kochparty stattgefunden hat.

Im Sand Nudeln, Tomaten, Lamaknochen, Kippen und Dosen, Überreste jener spartanischen Mahlzeiten, mit denen die Fahrer ihre Truppe versorgen.

Ausharren wie Verdammte

Schwer zu sagen, was die Herren in dem verwitterten Bretterverschlag essen. Ihrer Körperfülle nach zu urteilen, steht bei ihnen anderes auf dem Speiseplan. Die vier Ranger kassieren Eintritt in das Reservat.

Ausgestattet mit Walkie-Talkie, Fernglas und einem Stempelkissen, harren sie auf eisigen 4300 Höhenmetern aus wie die Verdammten.

Zwei Wochen lang stempeln sie Eintrittskarten, dann kommt die Ablösung aus Uyuni. Am Spätnachmittag, wenn die Flut der Touristenjeeps verebbt, treten sie vor das Fenster und blicken auf ein göttliches Schauspiel.

Es ist die Welt am fünften Schöpfungstag, dem Tag, an dem Gott Getier im Wasser wimmeln und unter der Feste des Himmels Vögel fliegen ließ: Schwärme Tausender Flamingos staksen durch die blutrote, 60 Quadratkilometer große Laguna Colorada, balzen, strecken die Flügel, picken Plankton.

Borax-Inseln schwimmen wie Eisschollen im von Algen gefärbten Wasser. Selbst am Ufer liegt der Borax in breiigen Klumpen auf der braunen Erde und umschließt die rote Lagune wie eine grellweiß leuchtende Bordüre - ein Farbenrausch.

Schweigend, geradezu andächtig sitzt man im Sand und bestaunt dieses überwältigende Bild.

Ein Hupen und Rufen ist zu hören, Felipe drängt, er möchte weiter.

Aber keiner kann sich losreißen von diesem Anblick. Schließlich murmelt einer aus der Gruppe: "Irre. Das ist völlig abgedreht. Das ist wie Koks und LSD zusammen."

Wer weiß, er könnte recht haben.

Aber vielleicht ist es auch bloß der Höhenrausch.

Informationen

Anreise: Hin- und Rückflug mit American oder LAN Airlines von Frankfurt/M. z.B. über London, Miami nach La Paz ab 750 Euro.

Reisearrangement: Eine viertägige Tour kostet zwischen 50 und 100 US-Dollar pro Person. Viele Veranstalter in Uyuni sind unseriös, deshalb alle Details im Voraus klären. In der Regenzeit, von Dezember bis April, sind Jeeptouren nur eingeschränkt möglich.

Auskunft: Bolivianische Botschaft, Wichmannstr. 6, 10787 Berlin, www.bolivia.de

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