Bis zur mauretanischen Grenze dauert es noch eine Tagesetappe und mindestens zwei Reifenpannen. Der voll gestopfte Mercedes muss vor vielleicht vierzig Jahren der Stolz eines schwäbischen Industriellen gewesen sein.
Ein schmerzhafter Abstieg für das edle Gefährt. Vom Blickfang eines Stuttgarter Villenvororts zum sandgeschliffenen Wüstentaxi. Vom Konkurrenten von Porsche und Rolls Royce zum Wegesgenossen von Eselkarren und Dromedaren.
Dennoch könnte es sein, dass der rostige Schlitten, den das Schicksal hierher an den Rand der Sahara wehte, nie bessere Tage gesehen hat. Vorausgesetzt natürlich, Autos träumen wie Menschen von großen Abenteuern und unendlichen Weiten. Jedenfalls steht fest, dass der alte Wagen nie einen so stolzen Besitzer hatte wie den Chauffeur, der nun in den extremen Süden dessen fährt, was hier offiziell Königreich Marokko heißt.
Liebevoll tätschelt der Alte die Gangschaltung und erzählt mit funkelnden Augen, dass sein guter Benz bisher jeden Sandsturm und auch die tiefsten Schlaglöcher zwischen Marrakesch und Dakar wohlbehalten überstanden hat. Und sein Motor sei wie das Herz eines Kamels, nur eben unsterblich. Am Rückspiegel, da wo früher ein Wunderbäumchen bieder-süßes Rosenparfum verströmt haben muss, baumelt nun der Name Gottes, umschlungen von einem wunderbaren Geflecht aus arabischer Schrift.
Explosiver Boden
An der Windschutzscheibe kleben Heuschrecken, die der Wind über die Sahara gefegt hat. Draußen fliegt eine Welt vorbei, wie für einen Daimler-Chrysler-Spot entworfen: Eine kerzengerade Teerstraße, nach allen Seiten ist der Horizont so weit wie der Himmel.
Wohl nirgends sonst gibt es auf einen Blick soviel Nichts. Links gelber Sand und niedergebrannte Steine. Rechts nichts als der Ozean, der hier mit voller Wucht gegen die Sahara prallt. Darüber dieses fahle, mit blassen Dunststreifen durchsetzte Blau. Wüste, Wasser und Wolken wetteifern, wer wohl am weitesten ist, und wo es am meisten Einsamkeit zu atmen gibt. Die Route ist ein Asphaltfaden am Rande einer lebensfeindlichen Welt.
Wozu aber eine asphaltierte Straße, wo es außer Sand und Salzwasser scheinbar nichts zu holen gibt? Der Schein trügt. Dies hier ist explosiver Boden. In diesem Land hat jeder Betonpfosten etwas mit wirtschaftlichen Interessen und politischem Kalkül zu tun.
Seit Jahrzehnten tobt eine bittere Auseinandersetzung zwischen den Freiheitskämpfern der Saharauis, der alteingesessenen Wüstenstämme der Westsahara, und den Nachbarstaaten. Es ist ein Kampf um die reichen Phosphatvorkommen des Landes und um politische Unabhängigkeit. Die Vereinten Nationen feilschen mit Marokko um den künftigen Status des Landes, das Marokko für sein selbstverständliches Territorium hält.
Als die Spanier 1975 den kargen Küstenstreifen aus der Kolonisation entließen, gelang Hassan II. ein bemerkenswerter Coup. Der damalige marokkanische König führte im berühmten "Grünen Marsch" einen Zug von mehr als 300.000 Zivilisten an, die singend und betend, so heißt es, das Land einnahmen. Marokko holte sein vorkoloniales Erbe ins Königreich heim.
Mit dieser Überzeugung feiern die Marokkaner den "Grünen Marsch" bis heute. Als eine Invasion des marokkanischen Militärs dagegen betrachtet die saharauische Freiheitsbewegung Frente Polisario die Eingliederung der Westsahara durch Marokko. Teile der Bevölkerung, die auf der Seite der Polisario kämpften, flohen ins Nachbarland Algerien, wo Zehntausende Saharauis bis heute in Flüchtlingslagern bei Tindouf leben und dort von Hilfslieferungen der EU und der Uno abhängig sind.
Das von den Vereinten Nationen zugesicherte Recht auf Selbstbestimmung der Saharauis und die Durchführung eines Referendums über die Zukunft des Landes lassen seit Jahren auf sich warten. Derweil hat Marokko ganze Städte aus dem Wüstensand gestampft und lockt mit Steuervorteilen und geringen Lebenshaltungskosten arme Berberfamilien aus dem Atlas in die Sahara.
In Dakhla, der letzten Siedlung vor der Grenze, endet die Fahrt mit dem alten Mercedes, es geht weiter mit einem mauretanischen Obsthändler in Richtung Süden. Ein kleiner Mann mit rundem Gesicht und spitzem Bart, der in einer arabischen Fallschirmhose steckt und sich Bari nennt.
Das Grenzland wird rigide überwacht. Am mauretanischen Grenzstreifen warnt ein windschiefes Schild vor Landminen und Skorpionen. Die Grenzstation ist eine Blechbaracke neben einem zusammengefallenen Wohnwagen. Der Zollbeamte freut sich über die wenigen Touristen, mit denen er französisch reden kann und setzt sich dazu deren Sonnenbrillen auf. Er will wissen, ob man etwas von senegalesischen Flüchtlingen gehört hätte.
Straße der Sehnsucht
Durchs marokkanisch-mauretanische Niemandsland führt die Straße der Sehnsucht Schwarzafrikas. Kaum einer südlich der Sahara, der nicht von Europa träumt. Und wer irgendwie kann, macht sich auf den gefährlichen Weg nach Norden, in der Hoffnung, irgendwann dort anzukommen, wo man glaubt, dass es kein Leiden mehr gibt.
Hauptsache entkommen, dem Teufelskreis aus Elend, Armut und Bürgerkrieg. Was kostet schon eine Reise von Brazzaville nach Paris, wenn die Alternative dazu lebenslange Aussichtslosigkeit ist? Niemand zählt die Sehnsüchtigen, die auf den Minenfeldern an unsichtbaren Grenzen entlang, im Treibsand der Sahara und auf dem Meeresboden vor Gibraltar und Lanzarote zurückbleiben.
Keine Grenze südlich der Sahara, die nicht vom Bakschisch der Durchreisenden zehrt: Bari besänftigt die Hüter der Nation mit Mandarinen und Karotten. Mekein mushkil. Alles kein Problem. Als er mit den Zöllnern und Passkontrolleuren, den Polizisten und Grenzsoldaten zum Gebet niederfällt, ist die Wüste blutrot. Abgang der Sonne.
Mauretanien gehört zu den ärmsten und lebensfeindlichsten Ländern der Erde. Eine Nation, die praktisch nur aus Wüste besteht und von Nomadenstämmen durchzogen wird, die heute noch Erbsklaven halten. Bis zur nächsten Siedlung sind es noch mindestens vierzig Kilometer. Die Dunkelheit bricht herein und die Asphaltstraße verliert sich nach dem letzten Polizeiposten in einer Reihe kaum sichtbarer Pisten, die irgendwann völlig verschwunden sind.
Man muss fürchten, dass der alternde Gemüsewagen irgendwann ganz in einem Sandloch versinkt. Mit der wachsenden Dunkelheit weicht die Hitze des Tages einer unerwarteten Kälte.
Verirrt in der Einsamkeit
Irgendwann taucht ein schwaches Leuchten in der Ferne auf. Der Motor verstummt. Die Scheinwerfer erlöschen. Stille über den Dünen. Die Sterne hängen so tief, dass man danach greifen möchte. Im Sternenschatten sind zwei Nomadenzelte zu erkennen.
Die Umrisse zweier Kinder werden im Eingang des Zelts sichtbar, aus dem schwaches Licht nach draußen dringt. Sie warten auf ihren Vater, der aus einem fernen Land zurückgekehrt ist. Als stolzer Mauretanier lädt Bari die fremden Anhalter ein, die Nacht bei seiner Familie zu verbringen. Sein Zuhause ist ein Zelt, das sich in der Einsamkeit der Wüste verirrt hat.
Hier sitzen die Gäste auf fetten Polstern und versuchen vergeblich, aus geflüstertem Hassaniya-Arabisch ein paar bekannte Wörter zu sieben. Hier ist Abrahams Zelt. Das ist Saras Lachen. Es klingt wie ungläubiges Staunen hinter vorgehaltener Hand. Zwei verhüllte Frauengestalten kochen in einer Ecke Tee. Ein alter Mann mit einem langen Bart raucht etwas, das nach Marihuana riecht. Sein kantiger Schatten flackert bläulich über die Zeltplane. In seinem Schoß liegt ein Kind.
Mit großen schwarzen Augen verfolgt es jede Bewegung der Fremden. Als sich das Loch in der Zeltwand noch einmal öffnet, tritt ein junger Mann in den Schein der Gasflamme. Die Gestalt im Engelskostüm ist ein Teenager, kaut auf einem Zahnstocher und lacht über das brockenhafte Arabisch der Gäste. Irgendwoher hat er ein Radio. Arabische Leidensgesänge und empfangsgeschädigte Bußpredigten. Plötzlich eine deutsche Nachrichtenstimme.
Der Wüstenjüngling ist stolz, dass sein Radio Deutsch spricht. Englisch, Spanisch, Französisch sowieso. "Sieh her", sagt er, "wir wissen über alles Bescheid. Die Bomben im Irak. Der Wahnsinn in Palästina. Die Krisen in Europa. Wir sind über alles informiert. Überall Krieg und Miseren. Warum lernen die Menschen nichts? Wollen nicht alle Frieden auf Erden?"
Ob die Europäer auch beten, möchte der Engel wissen. Ja, aber anders. Bari und seine Familie knien nieder zum Gebet. Ihre Stirnen berühren den Zeltboden. Vor jede Mahlzeit gehört ein Tee. Der erste Tee ist frisch wie das Leben, der zweite süß wie die Liebe und der dritte bitter wie der Tod. Allegorien arabischer Alltagsweisheit. Zum Nachtessen gibt es Kamel. Natürlich bleiben die besten Stücke für die Gäste reserviert.
Endlos lange Strecke
Am nächsten Morgen nimmt Bari uns in die 60 Kilometer entfernte Hafenstadt Nouadhibou mit. Vom Fischereihafen an der Atlantikküste fährt einer der längsten Güterzüge der Welt bis zur Minenstadt Zouérat in der Sahara. Der Wüstenzug karrt auf Mauretaniens einziger Bahnlinie bis zu 21.000 Tonnen Eisenerz an die Küste. Vier Lokomotiven sind notwendig, um mehr als 200 Waggons in Fahrt zu halten.
Wer die Strapazen der endlos langen Strecke auf sich nehmen will, gegen Sandstürme, Hitze und Kälte gewappnet ist und genügend Wasser auch für einen unvorhergesehenen Zwischenstopp mitbringt, darf sich zum Nulltarif auf den Eisenwagen ein lauschiges Plätzchen suchen. Nur selten mischen sich Touristen aus Europa unter das Nomadenvolk und die Minenarbeiter, die auf der einzigen Zugstrecke der Sahara in den leeren Waggons kauern.
Häufiger sind Passagiere aus dem südlichen und westlichen Afrika, die den Erzzug benutzen, um unterwegs vom Wagen zu springen und ihren weiteren Weg durch die Wüste nach Norden zu suchen. Ein gefährliches Unterfangen, um die Grenzstationen und Kontrollposten der Westsahara zu umgehen.
Zwei junge Senegalesen, beide kaum 18Jahre alt, wollen wissen, wie viele Tage es bis nach Spanien sind. Einer hat an einem Lederband ein Gris-Gris um seinen Hals gebunden, ein Amulett, das vor bösen Geistern, Krankheit und Unfällen schützen soll. Spanien ist weit und der Wüstenzug fährt in die falsche Richtung.
Ob ein Talisman genügt für eine Durchquerung der Sahara? Die beiden Jugendlichen scheinen daran zu glauben und halten an ihren Reiseplänen fest. Hinter der großen Wüste liegt Europa und ein besseres Leben.
Informationen
Anreise: Air France von Frankfurt über Paris nach Nouakchott ab 858 Euro, Anschlussflug nach Nouadhibou mit Air Mauritanie.
Wüstenzugfahrt: In der Regel verlässt der Zug in die Sahara zwei Mal täglich Nouadhibou und legt die 700 Kilometer bis Zouérat in zwölf Stunden zurück. Reisende fahren in den Güterwaggons kostenlos, in Personenwagen für wenige Euro.
Weitere Auskünfte: Botschaft der Islamischen Republik Mauretanien, Kommandantenstraße 80, 10117 Berlin, Tel.: 030/206 58 63, Fax: /206 74 750