Reiseknigge Russland:Beim Anstoßen bloß nicht "Na Sdarowije" sagen!

Russen wollen nicht ständig fröhlich sein, sind aber stolz auf ihren Humor - und prosten sich anders zu, als die meisten denken. Tipps für eine Reise ohne Fettnäpfchen durch Russland.

Von Paul Katzenberger

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Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker auf der Berliner Mauer

Quelle: Getty Images

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Wie grüßt man, wieso hält sich niemand vornehm zurück und wie stößt man nochmal richtig an? Ein Überblick über ungeschriebene Regeln, Verbote und Fettnäpfchen in Russland.

Begrüßung

"Wir geben uns zur Begrüßung die Hand", betonte der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière in seinen zehn Thesen zur deutschen Leitkultur. In Russland ist Händeschütteln genauso üblich wie in Deutschland. Allerdings gibt es Unterschiede. Männer sollten Frauen zum Beispiel nicht als erster die Hand geben, sondern es bei Worten und/oder einem Kopfnicken belassen. Außerdem reicht man sich nie über einer Türschwelle die Hand, weil das Unglück bringt.

Untereinander begrüßen sich Frauen mit drei Wangenküssen, und auch unter befreundeten Männern sind Küsse (sogar auf den Mund) und Umarmungen nicht ungewöhnlich. Deutsche Männer müssen da durch, auch wenn es sie vielleicht an die vielfach karikierten Bruderküsse zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker erinnert.

Gut kommt man immer mit "Sdrastwuitje" (Transliteration: "Zdrawstwujtje"). Die etymologische Bedeutung von "Sdrastwuitje" ist "Ich wünsche Ihnen Gesundheit". Im Alltag wurde es zum Pendant des deutschen "Guten Tag". Freunde grüßen sich untereinander mit "Priwjet".

Verkaufsstand mit Babuschkas

Quelle: Alina Grubnyak/Unsplash

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Anrede

Im Russischen ist es gar nicht so einfach, sich formal korrekt anzusprechen: Wer sein Gegenüber namentlich siezt, kann nicht einfach "Herr Solawjow" oder "Frau Warabjowa" sagen. Zwar wird das "Herr" oder "Frau" mit "Gaspadin" oder "Gaspascha" übersetzt, doch kein Mensch sagt "Gaspadin Solawjow" oder "Gaspascha Warabjowa". Das hat sich höchstens in der schriftlichen Geschäftskorrespondenz eingebürgert.

Im täglichen Leben braucht man für die korrekte höfliche Anrede vielmehr den sogenannten Vaternamen, der bei jeder Russin und jedem Russen an zweiter Stelle steht: Wladimir Wladimirowitsch Putin oder Anna Jurjewna Netrebko werden so genannt, weil Putins Vater den Vornamen Wladimir trug und Netrebkos Vater Jurij heißt. Die korrekte höfliche Anrede Putins lautet "Wladimir Wladimirowitsch" und Netrebkos "Anna Jurjewna". Weil man beim ersten Treffen aber meist nicht weiß, wie der Vater des Gegenübers heißt, ist es üblich, sich zumindest einmal selbst vorzustellen.

Souvenirs mit russischen Motiven

Quelle: AFP

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Im Gespräch

Auch Russen sehen es nicht als hohe Kunst des Smalltalks, peinliche Gesprächspausen mit Bemerkungen über das Wetter zu überbrücken. Langweilig werden auch Belanglosigkeiten über Essen, Trinken oder tägliche Routinen empfunden. Die Frage nach dem Alter des Gegenübers verbietet sich, besonders bei Frauen. Ein absolutes Tabu ist das Herausstreichen von finanziellem oder beruflichem Erfolg.

Philosophische und politische Fragen werden hingegen genauso gerne erörtert wie berufliche Interessen, Hobbys oder persönliche Angelegenheiten. Lobreden über die Errungenschaften des Landes in der Raumfahrt, im Eiskunstlauf, im Ballett oder Schach kommen besonders gut an. Wer Interesse am Kulturleben Russlands zeigt (und sich womöglich auch noch auskennt), punktet bei seinen Gesprächspartnern.

Die Russen selbst machen ihr Land mit seinen vielfältigen Problemen wie der omnipräsenten Korruption und der stockenden wirtschaftlichen Entwicklung gerne schlecht. Doch es wäre ein schwerer Fehler, als ausländischer Besucher in die Nörgelei einzustimmen. Putin hat im Land viele Unterstützer, und wer ihn als Westler kritisiert, wird schnell als arroganter Besserwisser abgetan.

Metro in Moskau

Quelle: AFP

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Wie geht's? Kak dela?

Wer einen Russen "Wie geht's?" ("Kak dela?") fragt, riskiert eine komplette Lebensbeichte zu bekommen. Die vornehme Zurückhaltung, die Westeuropäer bei einem ersten Kennenlernen in Bezug auf persönliche Angelegenheiten pflegen, ist vielen Russen fremd. Wer etwa im Zug ins Gespräch mit einem Mitreisenden kommt, darf sich nicht wundern, wenn dieser sein gesamtes Gefühlsleben inklusive intimster Details ausbreitet. Wer in dieser Situation das Gespräch am Laufen hält, wird bis zum Ende der Fahrt mit persönlichsten Geschichten und wunderbaren Anekdoten versorgt.

Ein Teller russischer Borschtsch

Quelle: Jürg Vollmer/maiak.info via flickr; CC BY 2.0

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"Swolatsch", "Bljad" und andere Schmähungen

Die russische Sprache ist bekannt für ihre besonders reichhaltige Auswahl an Schimpfworten. Der große Wortschatz und die grammatikalische Flexibilität des Russischen erlaubt es den Menschen, ständig neue Schmähworte zu erfinden, doch einige sind fast so alt wie die Sprache selbst. Das Wort "Swolatsch" etwa, das für "Abschaum" oder "Pack" steht, wird schon seit dem 14. Jahrhundert verwendet. Der Begriff ließ sich ursprünglich aus dem Verb "ziehen" herleiten und steht für den Müll, den zum Beispiel die Katze ins Haus "gezogen" hat.

Auch das Schimpfwort "Pisdjets" ist uralt. Ursprünglich stand es für die weibliche Scham, doch im Lauf der Jahrhunderte änderte sich die Bedeutung zu "Verdammt!". Der Satz "Wot eta pisdjets!" kann mit "So eine Scheiße!" übersetzt werden.

Schimpfworte gehören zum täglichen Leben wie der Borschtsch zum nächsten Imbiss oder die Schachspieler zum Park. Hat ein Geschäft unerwarteterweise geschlossen oder fällt der Bus aus, ist unweigerlich von der "Bljad" ("Hure") die Rede. Selbst Nationaldichter Alexander Puschkin hatte keine Scheu, in seinen Versen von Schmähworten Gebrauch zu machen. Dennoch sollte der ausländische Besucher nicht versuchen seine Russisch-Kenntnisse anhand von Schimpfworten zu demonstrieren. Das Wort "Schopa" ("Arsch") hat im Lauf der Zeit zum Beispiel eine nahezu zärtliche Konnotation bekommen, doch im falschen Kontext wird es nach wie vor als Grobheit empfunden.

Plattenbau in Moskau

Quelle: Mike Kononov/Unsplash

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Der Umgang miteinander im öffentlichen Raum

Deutschen dürfte die Unfreundlichkeit vieler Menschen in Russland von zu Hause bekannt vorkommen: Nachbarn laufen im Treppenhaus grußlos aneinander vorbei, die Kassiererin im Laden um die Ecke ist so gut wie nie zu einem Plausch aufgelegt und Kunden verlassen den Laden schon mal, ohne "Da Swidanje" ("Auf Wiedersehen") zu sagen. Da kann es fast übergriffig freundlich wirken, wenn die Kassiererin ihrerseits zum Abschied "Fsjo Dobrawa" ("Alles Gute") wünscht - doch das ist nur eine stehende Redewendung.

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Quelle: Jessy Asmus

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Russische Gastfreundschaft

Allerdings wäre der Vorwurf, die Russen seien eine unfreundliche Nation, ungerecht. Denn die Emotionslosigkeit im öffentlichen Raum, die zu den grauen Fassaden sowjetischer Plattenbauten passt, ist wie weggeblasen, wenn man ein russisches Heim betritt. Wer es über die Schwelle einer Wohnung geschafft hat, wird von einer Wärme, Farbigkeit und Sauberkeit umfangen, die auf der anderen Seite der Tür nie zu erahnen gewesen wäre. Für die Großzügigkeit, mit der dem Gast begegnet wird, sind die Russen weithin bekannt: Sie macht einen Besuch oft zu einem leiblich und emotional großartigen Erlebnis.

Essen und Trinken sind ein wichtiger Teil der russischen Gastfreundschaft. Wer zu Russen nach Hause eingeladen wird, kommt in den Genuss mehrerer hausgemachter Speisen. Die Stimmung wird gelockert durch Wodka, wobei auf den Tisch immer einige "Sakuski" stehen - Snacks wie gesalzene Gewürzgurken, marinierte Pilze oder geräucherter Lachs, die als "Nach- oder Vorhut" den Wodka bekömmlicher machen sollen. Wenn Kaffee oder Tee gereicht wird, geschieht das nie ohne "Sladki" ("Süßigkeiten").

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Quelle: Sergei Maslennikov/Unsplash

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Einladungen

Wer zu Russen nach Hause eingeladen wird - was eine große Ehre ist - sollte immer eine kleine Aufmerksamkeit mitbringen. Das können Süßigkeiten für den Tee, eine Flasche Wein oder Blumen sein. Man sollte allerdings niemals eine gerade Zahl von Blumen schenken - das würde den Strauß automatisch zu einem Grabgebinde machen. Der alte Aberglaube, dass gelbe Blumen für Eifersucht und Untreue stehen, hat hingegen an Bedeutung verloren, auch wenn die Sängerin Natascha Koroljowa in ihrem Hit "Gelbe Tulpen" Anfang der Neunzigerjahre noch die zerstörerische Kraft gelber Blumen für eine Beziehung besang.

Straßenschuhe sind in russischen Wohnungen ein absolutes No-Go. Der Gast sollte erst gar nicht versuchen, in die Wohnung vorzudringen, ohne seine Schuhe im Eingangsbereich auszuziehen. Das würde fassungsloses Entsetzen auslösen. Für Besucher stehen die "Tapatschkis" ("Hauspantoffeln") bereit.

Es ist sehr ratsam, mit leerem Magen zu erscheinen. Bei den ersten Gängen sollte der Gast mit Zurückhaltung zugreifen, denn sie sind erst der Beginn einer langen Speisenfolge - und es verbietet sich, einen Gang auszulassen. Die Gastgeber wären sehr beleidigt. Vielmehr sollte es der Gast nicht versäumen, sich vom Essen und den Getränken entzückt zu zeigen. Beim Lob von Gegenständen in der Wohnung ist allerdings Vorsicht angebracht. Die Gastgeber könnten das als begehrlichen Wunsch missverstehen und würden das gepriesene Accessoire womöglich herschenken. Das obligatorische Wodka-Glas wird vom Hausherrn regelmäßig nachgefüllt, wobei es nicht auf einen Zug ausgetrunken werden muss - es sei denn, man wird dazu aufgefordert.

Gläser gefüllt mit Wodka

Quelle: Getty Images

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"Sa Sdarowie": kein geselliges Trinken ohne Sprüche

Das gemeinsame Trinken von Alkohol ist auch in Russland ein gerne gewählter Weg, um auf dieselbe Wellenlänge zu kommen. Wer dieses Gemeinschaftserlebnis auskosten will, ist gut beraten, einige Trinksprüche auswendig zu lernen. Denn mit einem einfachen "Prost" oder "Zum Wohl" ist es nicht getan. Alkohol ohne "Tosts" (russisch für "Toast") zu trinken gilt vielmehr als das Verhalten von Alkoholikern: "Trinken ohne Trinkspruch ist Sauferei" lautet ein Sprichwort.

Normalerweise macht der Hausherr den Auftakt, dann sind die Gäste herzlich eingeladen, es ihm gleichzutun. Typische Trinksprüche lauten etwa: "Damit wir immer einen Grund haben, zu feiern!", oder: "Lass uns das Leben immer so genießen wie dieses Glas Wein!" Oft wird auch auf die Schönheit der Frauen und die Großzügigkeit des Gastgebers angestoßen. Als Ausländer sollte man zumindest den einfachsten Trinkspruch "Sa Sdarowije" ("Auf Eure Gesundheit") einbringen können.

Achtung: Mit dem Spruch "Na Sdarowije!" (Wohl bekomm's!) sollte der Besucher aus dem Ausland nicht daherkommen, auch wenn sich außerhalb Russlands beständig die Meinung hält, dies sei das russische Äquivalent für "Prost". Tatsächlich ist es die standardmäßige Antwort, wenn sich der Gast in einem Restaurant für das Bringen von Speisen und Getränken bedankt.

Nach einem besonders wichtigen Trinkspruch erfolgt in aller Regel die Aufforderung "Pej da dna!", was so viel bedeutet wie: "Trink auf ex!" Das Ganze kann leicht zu einem Gelage ausarten, es ist daher ratsam, mit den "Sakuski" (Snacks) gegenzuhalten. Oft wird der Wodka auch mit Wasser und Saft nachgespült.

Restaurant im Ostankino TV Tower in Moskau

Quelle: AFP

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Im Restaurant

Die Preisunterschiede zwischen verschiedenen Gaststätten können in Russland gewaltig sein, ein vorausschauender Blick in das "Minju" ("Die Speisekarte") empfiehlt sich daher auf jeden Fall. Nicht alle Restaurants bieten allerdings englische Speisekarten an, was es ausländischen Gästen mitunter schwer macht, ihre Wünsche zu artikulieren. Denn auch die Kellner beherrschen meist kein Englisch. Allerdings stellen viele Restaurants die Gerichte in ihren Speisekarten mit einem Foto dar.

Ein "Abjed" (Mittag-) oder "Uschin" ("Abendessen") beinhaltet klassischerweise als ersten Gang einen "Borschtsch", eine "Saljanka" oder einen "Rassolnik", also eine der vielen Suppen der russischen Küche, gefolgt von einem Hauptgericht mit Beilage. Dazu kann wahlweise einer der vielen Salate bestellt werden, die anders als in Westeuropa meist mit Mayonnaise angemacht sind.

Die in Deutschland üblichen Getränke haben sich inzwischen auch in Russland etabliert, also Wasser, Cola, Saft, Bier. Wein wird meistens auch gereicht, ist aber oft teuer. Spirituosen sind nach wie vor relativ günstig, obwohl sie in den vergangenen Jahren zur Bekämpfung des Alkoholismus stärker besteuert wurden. Sie werden begleitend zum Essen immer noch bestellt, doch längst nicht mehr so oft wie etwa noch in den Neunzigerjahren. Die Wettbewerbsgesellschaft, zu der Russland inzwischen geworden ist, erlaubt den Konsum von hartem Alkohol nicht mehr in den Mengen wie in alten Tagen.

Wer bezahlen will, äußert seinen Wunsch mit den Worten "Schot, paschalusta!" (Die Rechnung, bitte!). Der Kellner rechnet nie am Tisch ab, sondern bringt die Rechnung in einem Korb oder in einer Mappe, in die der Gast das Geld hineinlegt. Fast überall ist es möglich, mit Kreditkarte zu bezahlen. Die Regeln für das "Tschewi" ("Trinkgeld") sind nicht sehr strikt, ähnlich wie in Deutschland kann der Gast aufrunden. Wer sich korrekt verhalten will, gibt ein Trinkgeld von zehn Prozent.

Eine kostengünstige Alternative zum "Restoran" ("Restaurant") oder "Kafe" ("Café") besteht in der "Stalówaja" ("Cafeteria"), einem Überbleibsel aus dem Kommunismus. Wie in einer Kantine holt sich der Gast dort das Essen mit einem Tablett am Tresen ab und zahlt vorne an der Kasse. Die vorgekochte Kost schmeckt meistens so, wie warmgehaltenes Essen eben schmeckt, ist aber durchaus vielfältig, sättigend und sehr preiswert. Die "Stalówajas" sind eine sentimentale Referenz an die "gute alte Zeit". Das demonstrieren sie auch dadurch, dass auf Bildschirmen im Hintergrund häufig B-Movies sowjetischer Herkunft laufen.

Russische Veteranen feiern in Moskau

Quelle: AFP

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Die "Gewaltorgane": über den Umgang mit Polizei und Militär

Die Bilder von russischen Polizeieinheiten, die rabiat gegen Demonstranten vorgehen, sind aus dem deutschen Fernsehen wohlbekannt. Doch auch wer nicht demonstriert, fürchtet in Russland häufig die Polizei. Sie gilt als gewaltbereit und korrupt, was sich schon in ihrer Bezeichnung ausdrückt: Polizisten, Militärs und Staatsanwälte werden landläufig die "Gewaltorgane" genannt. Allerdings versuchte der frühere Präsident Dmitrij Medwedjew in seiner Amtszeit das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit zu verbessern: Er ließ Beamte, die ihr Amt missbraucht hatten, systematisch aus dem Dienst entfernen und erhöhte die Gehälter der verbleibenden Ordnungshüter deutlich.

Für Straßenkontrollen empfiehlt es sich, alle Personaldokumente immer bei sich zu haben. Für Touristen bedeutet dies: Kein Schritt vor die Tür ohne den Pass mit Visum, der bei der Einreise übergebenen Migrationskarte und der Meldebestätigung des Hotels. Bei Kontrollen gilt es, freundlich zu bleiben.

Außerdem sollten Touristen keine Fotos von militärischen Einrichtungen machen. Russland ist nun wirklich nicht die beste Adresse, um in Spionageverdacht zu geraten.

Fußgänger vor der Basilius-Kathedrale in Moskau

Quelle: AFP

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Interkulturelle Missverständnisse

Wer erstmals nach Russland kommt, mag sich wundern, warum so wenige Menschen auf der Straße lachen oder etwas lauter sind. Vielmehr geben sich die Russen in der Öffentlichkeit eher reserviert, den Deutschen damit gar nicht unähnlich. Eine zurückgenommene Gestik und Sprechweise werden als gute Manieren aufgefasst.

Wer dieser Trübsal mit übertriebener Heiterkeit begegnet, schafft nur Missverständnisse. Denn ein russisches Sprichwort sagt: "Wer ohne guten Grund lacht, ist ein Narr." Die übermäßige Zurschaustellung von Glück und Erfolg mag sogar als Taktlosig- oder Hartherzigkeit angesehen werden. Russen sind tief davon überzeugt, dass es bei all den Missständen und Beschwernissen in der Welt nur unnatürlich sein kann, ständig gut drauf zu sein. Die Kehrseite dieser Mentalität hat durchaus ihre Vorteile: Während es in westlichen Ländern als unschicklich gilt, jeden sofort mit den eigenen Problemen zu konfrontieren, reagieren die Russen auf die Darlegung von Sorgen und Nöten mit Empathie und Hilfestellung.

Graffitit-Wand im russischen Krasnodar

Quelle: AFP

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Fettnäpfchen

Viele Russen sind sehr abergläubisch. Einige Konventionen gelten bis heute, so aberwitzig sie erscheinen mögen. So darf man etwa über ein Baby nicht sagen, wie niedlich es sei. Das beschwört beim Kind dem Volksglauben zufolge Krankheit und Geschrei herauf. Das Pfeifen in geschlossenen Räumen bringe Unglück, heißt es, wobei gleichzeitig überall in Supermärkten, Cafés bis hin zum Zahnarzt permanent die Musik dudelt, was zum Mitpfeifen animieren könnte. Wer es tut, erntet abschätzige Blicke. Immerhin sind Mitsingen oder -summen erlaubt.

Auch gilt es als unverzeihlich, sich die Nase zu putzen, wenn jemand im Raum ist. Es ist also angebracht, zum Schnäuzen rauszugehen und darauf zu achten, dass niemand in der Nähe ist. Ansonsten drohen empörte Kommentare.

Sollte sich für einen Herrn auf Russlandreise die Gelegenheit für ein Rendezvous mit einer Russin in einem Restaurant ergeben, sollte er sie unter allen Umständen einladen. Selbst wenn ihr Einkommen seines um ein Vielfaches übersteigt, wird sie erwarten, dass er zahlt. Falls die Frau dem Mann anbietet, ihren Teil selbst zu zahlen, stellt sie ihn oft nur auf die Probe. Wer sich darauf einlässt, wird von ihr für knauserig gehalten. Sollte sich die Frau gar nicht davon abbringen lassen, ihre eigene Rechnung zu bezahlen, ist das der dezente Hinweis, dass das Rendezvous aus ihrer Sicht ein Reinfall war.

Für Theater- und Opernbesuche oder andere festliche Anlässe werfen sich die Russen in Schale. Wer stattdessen in Jeans daherkommt, sorgt für Verdruss, selbst wenn er dazu ein Sakko trägt. Das gilt nicht nur für Verabredungen: Auch wenn Frauen und Männer allein oder in der Gruppe ausgehen, dürften sie sich ohne Anzug oder Kostüm sehr unwohl fühlen, weil der Dresscode sehr streng ist.

Ein Mann trinkt an einem Brunnen in Jekaterinburg

Quelle: AFP

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Humor

Russen sind stolz auf ihren Humor, der seinen Esprit den vielen grammatikalischen Beugungen der russischen Sprache verdankt, die zu Wortspielen einladen. Ähnlich wie in Deutschland sind viele "Anekdóti" (Witze) im Umlauf, die als Kurzgeschichten mit einer Pointe erzählt werden. Allerdings halten die Russen den deutschen Humor für grob und für bei weitem nicht so subtil wie ihren eigenen. Wer als Deutscher mit diesem Klischee konfrontiert wird, lässt es am besten im Raum stehen. Denn wer allzu stark gegen dieses Vorurteil anredet, beweist vor allem eines: Dass er wirklich nicht über sich lachen kann.

© SZ.de/kaeb/ihe/liv
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