Rucksacktouristen kontra "Pauschis":"Mobil, flexibel, spontan"

Reisen für den Lebenslauf: Die Kulturanthropologin Jana Binder über das neue, ausgesprochen positive Image von Rucksacktouristen.

Martin Zips

Marion meditiert in Poona, Liam kifft sich durch Indien, Josh und Adam suchen Anschluss in Thailand, Svenja will aus Bangkok weg: Der gerade in den Kinos gestartete Dokumentarspielfilm "Hotel Very Welcome" von Sonja Heiss ist eine Ode an den Rucksacktourismus. Überhaupt gilt das, was noch vor ein paar Jahren als Spinnerei angesehen wurde, heute in vielen Branchen als Schlüsselqualifikation.

Kulturanthropologin Jana Binder, Lehrbeauftragte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und Autorin des Buches "Globality: Eine Ethnographie über Backpacker", zu Rucksacktourismus einst und jetzt.

SZ: Frau Binder, erzählen Sie doch mal von Ihrer ersten Reise.

Binder: Mit 20 Jahren bin ich mit einer Freundin für drei Monate nach Guatemala gefahren. Das war im Jahr 1995 und der Bürgerkrieg war dort gerade erst zu Ende. Weil es weder E-Mails noch Handys gab, rief ich nur einmal kurz meine Eltern an: "Alles klar, ich bin angekommen, aber ich melde mich nicht wieder, denn das kostet zu viel Geld." Das war's. Die meisten Postkarten, die ich in Guatemala einwarf, kamen in Deutschland erst nach meiner Rückkehr an.

SZ: Heute sind Postkarten ja nur noch was für Sozialromantiker.

Binder: Allein durch Handys hat sich das Reisegefühl junger Leute unglaublich verändert. Kauft man sich eine lokale Sim-Karte, so ist man für die Freunde daheim überall erreichbar. Man schickt Handy-Fotos herum, statt Postkarten, und führt ein Reisetagebuch im Internet. Internet-Cafés gibt es ja auch weltweit. Wissen Sie, noch vor fünf Jahren habe ich Dia-Abende besucht, bei denen Rucksackreisende ihre Urlaubsbilder zeigten. So etwas gibt es heute kaum noch.

SZ: Heute ist man im Urlaub selbst für Steuerberater und Vorgesetzte jederzeit erreichbar. Großartig.

Binder: Natürlich nehmen diese Möglichkeiten dem Aufenthalt in der Fremde ein bisschen etwas von seinem Charme. Andererseits sind solche technischen Möglichkeiten ein großes Glück. Über das Internet kann man im Urlaub Stellenangebote checken und sich beruflich auf dem Laufenden halten. Selbst, wenn man länger unterwegs sein sollte.

SZ: Früher dachte man bei Rucksackreisenden an langhaarige Schulabbrecher, die es in diesem Leben sicher noch schwer haben werden. Wie ist das heute?

Binder: In den siebziger und achtziger Jahren war der Rucksacktourismus eine Abwendung von der eigenen Gesellschaft. Heute ist er eher ein Eintritt in die globale Gesellschaft. Denn ohne Auslandsqualifikation geht heute ja gar nichts mehr. Ich kenne einige junge Engländer, die am liebsten sofort nach der Schule auf die Uni gegangen wären. Dort aber sagte man ihnen: Macht erst einmal eine Weltreise und dann meldet ihr euch wieder. Selbst in Korea, China und Japan wird das Reisen immer mehr und mehr als Wert begriffen.

SZ: Wer als Student ins Ausland geht, der hängt doch meist nur auf Erasmus-Partys rum. Haben Sie das anders erlebt?

"Mobil, flexibel, spontan"

Binder: Auch der Besuch solcher Partys gilt heute als Wert an sich. Gerade hier wird die soziale und sprachliche Kompetenz gefördert. Als Rucksackreisender, der manchmal mittags noch nicht weiß, wo er abends schlafen soll, lernt man mobil, flexibel, spontan, selbständig und interkulturell zu agieren. Was will man heute als Arbeitgeber mehr?

Rucksacktouristen kontra "Pauschis": Rucksacktouristen repräsentieren das Bürgertum, Pauschalreisende die Dekadenz, meint Jana Binder.

Rucksacktouristen repräsentieren das Bürgertum, Pauschalreisende die Dekadenz, meint Jana Binder.

(Foto: Foto: Rumpf)

SZ: Warum wurde das nicht schon in den siebziger Jahren als Wert begriffen?

Binder: Damals sprach noch nicht jeder über Globalisierung. Heute muss man als junger Mensch zeigen, dass man mit Globalisierungsprozessen gut zurechtkommt, wenn man Erfolg haben möchte. Während man früher seine Rucksacktouren, zumal wenn sie mehrere Monate dauerten, lieber in der Bewerbung verschwiegen hat, gibt es heute eher den gesellschaftlichen Druck, Reisen zu unternehmen. Und da schon die Eltern der heutigen Generation viel verreist sind, müssen die Jugendlichen nicht mehr so stark gegen Vorurteile ankämpfen. Dass dies alles nur für eine privilegierte soziale Schicht gilt, versteht sich von selbst.

SZ: Gibt es denn heute mehr Rucksackreisende als früher?

Binder: Ja. Das hat auch damit zu tun, dass Flüge viel billiger geworden sind. Beispielsweise kann man für 1200 Euro innerhalb eines Jahres einmal rund um die Welt fliegen - fünf Stopps inklusive.

SZ: Früher war man ja schon froh, wenn man es mit dem Interrail-Ticket auf den Markusplatz geschafft hat.

Binder: Die Welt ist kleiner geworden. Dazu tragen die "Lonely Planet"-Bücher ebenso bei wie Internetbörsen: "Ich bin nächste Woche in Bangkok. Wer hat Lust, sich dort mit mir zu treffen?"

SZ: Und was ist mit denen, die ihren Urlaub doch lieber im All-Inclusive-Ferienclub verbringen?

"Mobil, flexibel, spontan"

Binder: Das sei ihnen natürlich vergönnt und erfüllt sicherlich einen eigenen Zweck. Doch Rucksacktouristen distanzieren sich von Pauschis.

SZ: Pauschis?

Binder: Pauschaltouristen stehen in dem Ruf, immer ihren eigenen Tellerrand mitzunehmen und auf nichts verzichten zu wollen. Wie schon früher distanziert sich hier das Bürgertum, heute in Person eines Rucksacktouristen, gern von der Dekadenz.

SZ: Welche Gegenstände finden sich heute in einem Rucksack?

Binder: Vor allem Akkuladegeräte und Kabel sind wichtig. Damit der Rucksacktourist seine Fotos hochladen und verschicken kann. Der Reiseführer in Buchform wird bald über aktuelle Update-Versionen für die Playstation Portable abgelöst werden.

SZ: Was hat sich zwischen Einheimischen und Rucksacktouristen verändert?

Binder: Da gibt es ganz neue Konstellationen zu beobachten. Zum Beispiel, wenn eine indischstämmige Deutsche nach Malaysia fährt, wo Inder auf der untersten Sozialstufe stehen: Weil das Mädchen indisch aussieht, wird es etwa im Restaurant nicht bedient - sie wird nicht gleich als "westliche Backpackerin" erkannt. Ähnlich befremdet sind Inder, wenn Engländer durch ihr Land reisen, die karibische Vorfahren haben - die Konstellationen Ost-West, Weiß-Schwarz verschwimmen mehr und mehr.

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