Süddeutsche Zeitung

Ruanda:Afrika first!

Ruanda war auf dem afrikanischen Kontinent Vorreiter: Seit zehn Jahren sind hier Einwegtüten verboten. Auf dem Land allerdings setzt sich das nur langsam durch.

Von Susanne Maria Krauß

Anke Gagel sitzt im Flieger Richtung Afrika. Es geht auf eine Rundreise durch Uganda und Ruanda. Vorsichtig, damit nichts auf dem hellen T-Shirt landet, packt sie ihre Mahlzeit aus. Einwegbesteck, Folien, Plastikbecher stapeln sich auf ihrem Tablett. "Das Thema Plastik wird bei uns in Europa ja erst seit Kurzem diskutiert", sagt die Anästhesieschwester aus Wesel in Nordrhein-Westfalen. "Da finde ich es vorbildlich, dass Ruanda schon so viel weiter ist als wir."

Bis in Anke Gagels Heimatstadt ist bereits vorgedrungen, dass Plastiktüten in Ruanda verboten sind. Wozu sich viele westliche Länder nur schwer durchringen können, ist hier seit zehn Jahren Alltag. In Ruandas Supermärkten bekommt der Kunde seinen Einkauf in Papiertüten verpackt oder er trägt ihn in dünnen Stofftaschen nach Hause. Das nächste Gesetz ist bereits in Arbeit. In Kürze will Ruanda auch viele Gegenstände aus Einwegplastik verbieten, zum Beispiel Besteck und Becher. Das Umweltministerium hat selbst gerade erst Plastikwasserflaschen aus den Büros und Konferenzzimmern verbannt. "Finde ich genial", sagt spontan der Leiter von Anke Gagels Reisegruppe, Mario Hecktor. "Ein kleines afrikanisches Land zeigt den Industrienationen, wie's geht."

"Jeder Ruander kennt heute das Verbot von Plastiktüten", sagt stolz Remy Norbert Duhuze von der ruandischen Umweltbehörde Rema. Ruanda hat das Gesetz mit Konsequenz und auch mit Härte durchgesetzt. 2004 gab es zunächst eine vierjährige Aufklärungskampagne. 2008 trat das Verbot in Kraft. Heute kontrollieren Beamte täglich an den Grenzübergängen zu den Nachbarländern Fahrzeuge, Rucksäcke und selbst Hosentaschen. Auch in Hotels und Lebensmittelgeschäften führt eine Plastikpolizei immer wieder unangekündigt Razzien durch. Illegale Ware wird konfisziert, wer beim Plastikschmuggel erwischt wird, muss mit Geldstrafen in Höhe von bis zu 500 Euro rechnen. Sogar Gefängnis droht.

Präsident Paul Kagame ist ein Autokrat, der sich charismatisch gibt. Die Wahlen 2017 gewann er mit mehr als 98 Prozent der Stimmen. Kagame stellt Ruanda in der Weltöffentlichkeit gern als Leuchtturm der Entwicklung dar. Der Plastiktütenbann ist längst zum Symbol seiner rigorosen Politik geworden. "Manchmal braucht es vielleicht auch mal diktatorische Entscheidungen", sagt Reiseleiter Mario Hecktor, "vor allem, wenn es um Gesundheit und Umwelt geht. Bei uns hat die Plastiklobby doch viel zu viel Einfluss."

"Nyakatsi" ist das Codewort, wenn irgendwo geschmuggelte Tüten angeboten werden

"Als unsere Chefin mit der Idee kam, dass unsere Lodge plastikfrei werden soll, war mein erster Gedanke, dass das eine neue Anweisung unserer Regierung ist", sagt Emmanuel Tuyisenge. Er arbeitet im Westen Ruandas am Kivusee in der Öko-Lodge "Inzu". Seit Kurzem serviert er Smoothies und Cocktails nicht mehr mit Plastik-, sondern mit Edelstahl-Strohhalmen. "Ruanda hat zwar Plastiktüten verboten, aber darüber hinaus gibt es kein Recyclingsystem, zum Beispiel für Plastikflaschen", gibt Chefin Marie-Noëlle DeVito, eine Kanadierin, zu bedenken. Und auch keine Mülltrennung. Die Müllabfuhr holt in Ruanda einmal wöchentlich Abfälle ab - doch alles landet einfach auf riesigen Halden: Glasflaschen, Küchenabfälle, selbst Batterien. Rund fünf Euro kostet die Müllentsorgung im Monat. Das können sich die wenigsten Ruander auf dem Land leisten. Deshalb verbrennen viele weiterhin ihren Hausmüll auf dem Hinterhof.

"Ich möchte in Zukunft Müll und Plastik von Anfang an vermeiden", sagt Marie-Noëlle DeVito. Im Restaurant stehen deshalb nun Trinkwasserfilter, Wasser aus Plastikflaschen gibt es nicht mehr. "Manche Touristen sind zögerlich, weil sie im Hinterkopf haben, dass man in Afrika nur Wasser aus ungeöffneten Flaschen trinken soll", sagt DeVito. "Doch ich teste die Wasserqualität regelmäßig." Im kleinen Shop am Eingang finden ihre Gäste neben den für Ruanda typischen geflochtenen Körben jetzt auch Zahnbürsten aus Bambus, Stoffbeutel und wiederbefüllbare Trinkflaschen. Selbst die Strohhalme aus Metall gibt es zu kaufen. "Mein Beitrag ist ein kleiner Tropfen im Ozean. Aber zumindest ist er sauber." Auf Instagram, wo DeVito über die Lodge postet, bekommt sie für ihr Engagement viele positive Rückmeldungen.

Auch in der Küche der Lodge wird Plastik gespart. DeVitos Koch steckt heute Brot und Käse zur Aufbewahrung nicht mehr in Plastikbeutel, sondern schlägt sie in ein mit Bienenwachs behandeltes Stofftuch ein. Die Tücher kommen aus der Hauptstadt Kigali, hergestellt werden sie von der Fraueninitiative BeeLight. Die traditionellen Kitenge-Stoffe werden mit einer Mischung aus Bienenwachs, Harz und Öl imprägniert. Die Tücher schützen Lebensmittel vor Bakterien, sind aber trotzdem luftdurchlässig. Perfekt also für tropische Temperaturen wie in Ruanda. "Selbst eine halbe Avocado, die normalerweise am nächsten Morgen braun und unansehnlich ist, bleibt in dem Tuch frisch", sagt Espérance Nabahirwa, die bei BeeLight arbeitet. Das habe sie selbst überrascht. Mehrere Hotels und Lodges haben die Tücher bereits bestellt. Doch Espérance Nabahirwa räumt auch ein, dass viele Ruander zwar das Plastiktütenverbot kennen, aber zu wenige wissen, was sie stattdessen nehmen sollen.

Etwa zu der Zeit, als Ruanda die Plastiktüte verbannte, beschloss die Regierung, auch strohgedeckte Hütten zu verbieten. "Bye, bye Nyakatsi!" Tschüss, Grasdach, sagte man damals, als dem vermeintlichen Fortschritt zuliebe flächendeckend Lehmhütten abgedeckt wurden. Nicht wenige Menschen saßen über Nacht tatsächlich ohne Dach über dem Kopf da.

Nyakatsi ist in Ruanda heute ein Codewort. Straßenhändler und Marktfrauen flüstern es an den Ecken, an denen es noch Plastiktüten gibt. Sie werden aus den Nachbarländern Kongo und Uganda eingeschmuggelt und sind heiß begehrt. Auf dem Land ist der Gesinnungswandel noch längst nicht vollzogen. Wer hier am Kiosk an der Ecke Zucker, Öl oder Reis kauft, bekommt seine Ware oft noch in einer kleinen Plastiktüte. Die Tüten sind eben praktisch. Und billig. Für 200 Plastiktüten bezahlt eine Marktfrau nur umgerechnet 60 Cent, für 200 Papiertüten aber fast fünf Euro. Für viele Ruander zählen ein paar zusätzliche Münzen im Portemonnaie bis heute mehr als der ökologische Fußabdruck. Trotzdem habe sich etwas geändert, sagt Bosco Kayitana, der Touristen durch sein Land fährt, auch bis in den Norden zu den Berggorillas. "Früher lagen rechts und links der Straße Plastikflaschen, Mülltüten und anderer Abfall", sagt Kayitana. "Aus dem Fenster haben sie alles geschmissen! Touristen wie Einheimische. Heute wissen die Ruander, wie wichtig es ist, ihre Umwelt zu schützen."

Bosco Kayitana wartet gerade im Boutique-Hotel Five Volcanoes im Ort Musanze auf seine nächste Reisegruppe. Von hier aus starten viele Urlauber zum Gorilla-Trekking. Am Horizont ziehen sich die Wolken zurück und geben den Blick auf Ruandas majestätische Vulkanberge frei. Nicole Überschär hat ihr Hotel vor zwei Jahren eröffnet und sich an diesem Ausblick noch immer nicht satt gesehen. Die Deutsche lebt schon seit zehn Jahren in Ruanda und sagt, dass das Leben ohne Plastiktüten für sie inzwischen völlig normal geworden sei. "Wir haben versucht, auch bei unseren Möbeln mit vielen Naturmaterialien zu arbeiten und lokal zu produzieren. Doch unsere Holzliegen am Pool haben unter der Witterung so gelitten, dass wir uns am Ende für Kunststoff entschieden haben." Den Gästen Wasser in einer Glaskaraffe statt in einer Plastikflasche zu servieren, sei dagegen einfach. Und hübscher noch dazu.

Wenn die Touristen dann wieder unterwegs sind, fahren sie über perfekt geteerte Straßen. Das zweite Gesicht des Landes sehen sie selten. Wer kommt schon in die Hinterhöfe, zu den Müllhalden? So nehmen die Urlauber Bienenwachstücher mit afrikanischen Prints mit nach Hause und stoßen zuvor in der Lodge noch mal auf das fortschrittliche Ruanda an - mit Cocktails, in denen Edelstahl-Strohhalme stecken.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2018
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