Rojacherhütte in den Hohen Tauern:Eine gescheite Bude

Eng kann es werden in der winzigen, komfortfreien Rojacherhütte auf dem Hohen Sonnblick über dem Talkessel, in dem einst die Goldschürfer gruben. Doch der Geist, der hier oben herrscht, war schon immer visionär.

Moritz Baumstieger

Dieser Beitrag ist erschienen am 26. Juli 2012. Seitdem hat ein neuer Wirt die Hütte übernommen. Wir haben den Text dennoch unverändert gelassen.

Rojacherhütte

"Ich mag das so alleine. Das ist nicht schlecht, als Ausgleich", sagt der Wirt der Rojacherhütte. Hier oben leistet er sich ein wenig Kapitalismuskritik.

(Foto: Martin Oberlechner)

Ob die Rojacherhütte in den Hohen Tauern wirklich die kleinste bewirtschaftete Hütte der Alpen ist, lässt sich kaum feststellen. Zu viele werden von zu vielen Verbänden aus zu vielen Ländern betrieben. Sicher ist aber: Sie ist klein, sehr klein. Mit einer Grundfläche von 5,4 auf 5,4 Meter duckt sich das Haus auf einen Vorsprung des Granitgrats am Hohen Sonnblick. Durch einen handtuchbreiten Vorraum kommt man direkt in die Küche, die zugleich Gastraum ist. Dahinter liegt eine Kammer, die sich Hüttenwirt Martin Oberlechner mit Werkzeugen und Vorräten teilt. Und oben, unterm Dach, ist das Lager - mit gerade mal neun Plätzen.

Wenn es neblig ist (und das ist es am Hohen Sonnblick trotz des Namens nicht selten), könnte man sich als Hüttenwirt also fragen, was man hier eigentlich will: Der Komfort begrenzt sich auf einen mit Regenwasser befüllten Waschtrog und ein Plumpsklo. Gute drei Stunden Aufstieg halten Turnschuh-Touristen davon ab, ihr Geld hier in Brotzeit zu investieren, der Nebel verschreckt an Tagen wie diesen auch andere Bergsteiger. Einsam kann es hier also sein und sehr ruhig.

Gegen die Ruhe hat Martin Oberlechner eine Stereoanlage, aus der den ganzen Tag das Freie Radio Salzkammergut dudelt. Gegen die Einsamkeit hat er nichts, aber auch gar nichts: "Ich mag das so alleine", sagt er, "das ist nicht schlecht, als Ausgleich."

Um es also den Sommer über auf der Rojacherhütte auszuhalten, ist es vielleicht ganz hilfreich, kein normaler Hüttenwirt zu sein. "Gewinn, Gewinn . . .", sagt Oberlechner und schiebt ein Buch über den Tisch. Es prophezeit das Ende der derzeit herrschenden Geldwirtschaft. "Immer wollen alle gleich wissen, ob sich das lohnt hier oben." Martin stellt sich andere Fragen. Und so kann man auf seiner Hütte auch mit "bitcoins" zahlen, einem virtuellen Zahlungsmittel. Eine kleine kapitalismuskritische Internet-Gemeinde hat sich das als eine Alternative zu den herkömmlichen Währungen, die vom Schulden- und Zinssystem geprägt sind, ausgedacht. Sogar auf dem Plumpsklo hängt ein pixeliges Quadrat, ein QR-Code. Wer ihn mit dem Smartphone scannt, kann online eine Spende zum Ausräumen der Latrine hinterlassen. Bezahlt habe so noch niemand, aber sein Freund, der im August immer drei Wochen auf der Hütte mithilft, sei "halt sehr drin in dem Thema".

Martin ist 32 Jahre alt, groß und schlaksig. Er hat aus dem Rauriser Tal, auf das man von der Hütte hinabblickt, über mehrere Umwege zu einem Geografie-Studium in Graz gefunden. Bei dem er "halt ein paar Prüfungen schleift", um im Juni den Hubschrauber mit Essen, Bierfässern und mit vom Vater selbstgebranntem Vogelbeerschnaps beladen zu können und dann bis zum Saisonende im September auf 2718 Metern die Hütte zu betreiben.

Goldschimmer zwischen Bäumen

Rojacherhütte

Abschied vom Eis: die Reste des Goldberggletscher

(Foto: Martin Oberlechner)

Gegen die Langweile hat er außerdem den Gletscher, beziehungsweise das, was von ihm übrig ist. Sein Studienschwerpunkt ist Glaziologie, sein Studienobjekt liegt rechts unterhalb der Hütte. Im vergangenen Jahr, als er den Gletscher immer wieder für seine Bachelorarbeit fotografierte und mit den Fotos ein Computerprogramm speiste, um Daten zu sammeln, "da hingen die beiden Teile noch zusammen", erklärt der Wirt und funktioniert seine Zigarette zum Zeigestab um. "Siehst du, wo jetzt der Fels und der Wasserfall sind? Da war noch Eis."

Das Eis, dessen Dahinschwinden Oberlechner dokumentiert, heißt Goldbergkees. "Kees", so nennt man hier die Gletscher - und der Wortteil "Goldberg" nährt sich nicht aus alten Mythen, sondern ist wörtlich zu verstehen: Im Talkessel unter der Hütte wurde schon zu Römerzeiten Gold geschürft, im 15. Jahrhundert kamen mehr als zehn Prozent der Weltproduktion von hier, bis in den 1880er Jahren der Namenspatron der Hütte, Ignaz Rojacher, die Förderung zu einer letzten Blüte führte.

Wer heute vom Talschluss in Kolm-Saigurn in Richtung Rojacherhütte aufsteigt und um die Geschichte weiß, meint manchmal, auf den Granitsteinen zwischen den Latschen und Lärchen einen Goldschimmer zu erkennen. Der Weg führt an großen Wasserfällen vorbei zum Schutzhaus der Naturfreunde. Und wo heute ein Schild den Beginn der "Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern" markiert, begann vor mehr als hundert Jahren die Kernzone hochindustrieller Rohstoffgewinnung: Ein paar Meter weiter trieben die Bäche ein großes Rad an, mit dessen Kraft die Loren über Schienen aus den vielen Stollen gezogen wurden. Die Ruine steht immer noch gut erhalten da, genauso wie die des Knappenhauses, in dem die Arbeiter wohnten. Durch die Goldgräberstadt auf über 2000 Metern führen ein Gletscherlehrpfad und einer, der über das Tauerngold informiert - und damit auch über das Leben von Ignaz Rojacher.

Der kam aus dem Rauriser Tal und war für die Arbeit in den Stollen zu schmächtig. Also wurde er Zimmerer, pachtete später die Schürfrechte, schließlich kaufte er sie. Vielleicht trieb Rojacher gerade seine körperliche Schwäche dazu an, andere Wege zu gehen. Er reiste 1885 nach Schweden, um sich über die "Munktellsche Extraktionsmethodezu informieren, mit der man Gold und Silber aus gefördertem Erz lösen kann - und importierte auch das Skilaufen aus Skandinavien in die Hohen Tauern.

Vier Jahre später brachte Rojacher von der Weltausstellung in Paris einen Stromgenerator mit. Während man die Hauptstadt Wien noch mit Gaslampen beleuchtete, arbeiteten die Bergmänner in seinen Stollen im Licht von 15-Watt-Glühbirnen. Das visionärste Unternehmen Rojachers jedoch schreibt bis heute jeden Tag Meteorologie-Geschichte. Wer von der nach ihm benannten Hütte eineinhalb Stunden über den ausgesetzten Grat auf den Hohen Sonnblick steigt, erreicht Europas höchstgelegene durchgehend besetzte Wetterstation. Rojacher hörte einst von dem Wunsch der "k. u k. Central-Anstalt für Meteorologie" nach einem Observatorium zur Erforschung der oberen Luftschichten. Rojacher bestieg mehrere Berge rund um seine Förderanlagen und entschied sich für den Hohen Sonnblick, dessen eisfreier Gipfel ein sicheres Fundament bot. Die Pläne für die Warte zeichnete Rojacher selbst, er wählte die Baumaterialien aus und ließ das Gebäude von seinen Arbeitern errichten. Der Fortschrittsfanatiker, der nie eine reguläre Schulbildung erhalten hatte, bestand außerdem darauf, dass der Gipfel per Telefonleitung mit der Central-Anstalt in Wien verbunden wurde. Seit 1886 werden Wetter- und Klimawerte gemessen, inzwischen versorgt die Warte mehr als 40 verschiedene Institute in Europa mit Messwerten. Direkt daneben entstand das Zittelhaus für die Besucher der Wetterwarte. Heute hat es 80 Betten und noch mehr Sitzplätze und gehört der Sektion Rauris, genau wie die Rojacherhütte.

Warum die auf halbem Weg zum Gipfel gebaut wurde, erschließt sich ihrem Hüttenwirt nicht. Obwohl der Berg gut erschlossen war, ließ Wilhelm von Arlt sie sieben Jahre nach dem Tod seines Freundes Rojacher 1898 errichten. "Wohl a emotionale Gschicht", mutmaßt Oberlechner, während er Kaspressknödel in die Suppe verabschiedet. Seit damals habe sich eigentlich nicht viel verändert. Das Trinkwasser müsse er immer noch aus einem alten Bergbaustollen hinter der Hütte holen. Deshalb verlangt er für den halben Liter Trinkwasser auch einen Euro Risikozulage, weil ihm keiner garantiert, "dass der Stollen nicht mal zammkracht". Ansonsten habe die Hütte eine Bierzapfanlage bekommen, einen Gasherd, eine Solarplatte auf dem Dach. Und die Stereoanlage natürlich.

Jetzt, zum Essen, hat das Radio Sendepause. Stattdessen läuft eine CD des Masala-Brass-Kollektivs, einer 25-Mann-Balkan-Band aus Graz, der auch Oberlechner mitsamt seiner Klarinette angehört. Und selbst wenn es unter irgendeinem Gipfel da draußen ein bewirtschaftetes Haus geben sollte, das noch kleiner ist als das am Hohen Sonnblick: In einer 25 Mann starken Kombo spielt dessen Wirt sicher nicht.

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