Rio de Janeiro:"Wenn ich das verbocke, muss ich das Land verlassen!"

Vor 80 Jahren warfen Brasilianer für die Statue wortwörtlich ihr Geld aus dem Fenster, heute restauriert Márcia Braga die Christusfigur.

Margit Kohl

Am Tag, als der Regenbogen kam, ging Márcia Braga vor Christus auf die Knie. Die Japaner lagen ihm bereits alle zu Füßen. Die Touristenkameras waren gezückt, um den kreisrunden Regenbogen exakt so aufs Bild zu bekommen, dass es so aussieht, als würde ein bunter Heiligenschein über dem Kopf der Christusfigur leuchten. ,,Da bin sogar ich vom Gerüst gestiegen, um das zu fotografieren'', sagt Márcia Braga. Die Architektin und Restauratorin saniert gerade Rios bekanntestes Wahrzeichen, den Cristo Redentor, Christus den Erlöser.

Rio Cristo Redentor

Cristo Redentor in Rio de Janeiro (Fotos von oben): Im einst größten Stadion der Welt, dem Maracanã, soll das Endspiel der Fußball-WM 2014 stattfinden. Die angrenzenden Favelas versucht man bis dahin auch noch in den Griff zu bekommen, damit die Gäste sich sicher fühlen. Márcia Braga restauriert gerade das bekannteste Wahrzeichen, die Christusfigur.

Die Urenkelin des Christus-Erbauers, Bel Noronha, schaut aus der Armluke der Statue und hat vom Corcovado aus einen der schönsten Blicke auf die Stadt.

(Foto: SZ-Grafik)

Wetterphänomene wie der kreisrunde Regenbogen sind hier oben auf dem Corcovado so einzigartig, wie der 360-Grad-Blick über die Stadt gigantisch ist. Deshalb gibt es unter Rios Bewohnern, den Cariocas, auch den zuverlässigen Tipp: ,,Willst du wissen, wie das Wetter wird, schau zum Christus rauf.'' Mal brennt ihm die Sonne bei mehr als 40 Grad aufs Haupt, dann ziehen plötzlich Wolken auf und verschlucken das Monument, bis absolut nichts mehr von ihm zu sehen ist. Ein andermal peitschen wieder Regen und Wind mit bis zu 200 Stundenkilometern über den Corcovado.

Das alles setzte der exponierten Figur im Laufe der Zeit so zu, dass in diesem Jahr eine Komplettsanierung fällig ist. Schließlich stehen Rio bald zwei Großereignisse bevor: die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Da schaut die Welt auf diese Stadt und natürlich auch auf ihre berühmteste Sehenswürdigkeit.

Am Tag, als der verheerende Regen kam, es war Dienstag, der 6. April, da war die Christusstatue bereits eingerüstet. Als es nicht mehr aufhören wollte zu regnen, begann die Erde von den umliegenden Bergen zu rutschen. Mit sich riss sie die an den Hügeln eng aneinandergeschachtelten Häuser der Favelas und begrub mehr als 100 Menschen. Umgestürzte Bäume und abgegangene Geröll- und Gesteinsmassen blockierten lange Zeit auch die Zufahrt zum Corcovado. Bis Ende Juni soll Márcia mit der Restaurierung fertig sein, so will es ihr Auftraggeber, die Erzdiözese von Rio.

An dem Termin hat sich, Jahrhundert-Regen hin oder her, nichts geändert. Auch nicht, als Márcia zwischendurch noch die Graffiti entfernen musste, die ein paar Sprayer in der Zeit des Ausnahmezustandes unbeobachtet auf dem Monument platzieren konnten.

Jesus die Finger waschen

Die Restauratorin blieb gelassen und hat die Kirche wissen lassen: "Fertigstellung Ende Juni. Kein Problem. Wenn ihr einen Vertrag mit dem Heiligen Petrus im Himmel gemacht habt." Den wird die Erzdiözese gewiss nicht vorweisen können, aber die Rechte an der Christusfigur besitzt sie in der Tat. Heitor da Silva Costa hatte sie der Kirche übertragen, die ihn einst mit der Planung der Skulptur beauftragt hatte.

Soweit sich Márcia erinnert, ist es nun die vierte Restaurierung seit der Einweihung der Skulptur 1931. Bereits vor zehn Jahren hatte sie den Sockelbereich und die Balustraden wieder hergerichtet. Nun hat das Amt für Denkmalschutz die Architektin bei der Erzdiözese für die Komplettsanierung der Christusfigur empfohlen.

Längst ist der Christus von Rio eines der bekanntesten Wahrzeichen der Welt. Erst 2007 wurde es unter die Weltwunder der Neuzeit gewählt. Was für ein Privileg also, so einen Auftrag zu bekommen, der auf umgerechnet drei Millionen Euro angesetzt ist und durch Spenden und Sponsorengelder finanziert werden soll. "Na ja", sagt Márcia, "wenn ich das hier verbocke, kann ich meinen Job an den Nagel hängen und für immer das Land verlassen."

Dann zieht die kleine, quirlige 50-Jährige auch schon wieder ihre Klettergurte fest, setzt einen Bauhelm auf, schlüpft in ihre griffigen Lederhandschuhe und turnt in Windeseile hoch zu den Christushänden, wo die Arbeiter gerade den Kompressor angeschaltet haben, um Jesus die Finger zu waschen.

Seit nun fast 80 Jahren blickt Christus unentwegt auf diese Stadt, was sollte er auch anderes tun. Mit gesenktem Haupt hat ihm sein Erbauer nur die Möglichkeit gelassen, den Blick auf die Menschen von Rio und nicht etwa in den Himmel zu richten, schließlich war Erlösung ja das zentrale Thema. Die Statue sollte, schon von weitem sichtbar, eine religiöse Symbolik haben. So entstand der Christus mit den weit geöffneten Armen als Personifikation des Kreuzes.

Die 1145 Tonnen schwere größte Art-déco-Skulptur der Welt galt damals als Meisterwerk der Ingenieurskunst. Aus Stahlbeton gebaut, misst sie ohne Sockel 30 Meter, 28 Meter beträgt die Spannweite der Arme, allein eine Hand umfasst drei Meter. Eine Skulptur aus nacktem Beton war dem Baumeister jedoch zu hässlich. Mit der üblichen Bronze wollte er seine Figur aber auch nicht überziehen, als er erfuhr, dass dafür eingeschmolzenes Waffenmaterial herhalten sollte.

Tausende kleine Plättchen für Christus

Inspiriert von einem Springbrunnen aus Mosaiken, kam dann die Idee auf, brasilianischen Speckstein in kleine, dreieckige Plättchen zu schneiden und den Christus damit überziehen zu lassen. Ein leicht zu bearbeitendes Material, versichert die Restauratorin heute, aber vor allem ein sehr wetterfestes.

Ihre ausgesprochene Schönheit verdankt diese Stadt vor allem ihrer einzigartigen Lage. Und die erfasst man am besten von ganz oben, vom Corcovado aus: Perfekt geschwungene Sichelbuchten mit hellen Sandstränden, von smaragdgrünem Wasser umspült und mit wohlklingenden Namen wie Copacabana, Ipanema, Leblon.

Dazwischen grüne Hügel, von Regenwald überwuchert, und ein Häusermeer aus Weiß und Schwarz: Die weißgekalkten Häuser der Reichen sind deutlich von den dunklen, eternitgrauen Häuser der Slums zu unterscheiden, die hier Favelas heißen. Geht es nach der Stadtregierung, sollen die Elendsquartiere eigentlich politisch korrekt als Communities bezeichnet werden, auch wenn das nichts daran ändert, dass man deren Gewalt- und Drogenprobleme bislang nur partiell in den Griff bekommt.

Márcia Braga ist im noblen Stadtteil von Ipanema zu Hause. Altbauwohnung wie in Paris, gleich hinterm Eingang des Hauses wacht ein Concierge, zum Innenhof öffnet sich ein ruhiger begrünter Garten. Am Abend hat die Restauratorin prominenten Besuch: Maria Izabel Seabra de Noronha, kurz Bel Noronha genannt.

"Typisch, diese Kolonialmentalität"

Sie ist die Urenkelin des Konstrukteurs und Erbauers der Christusfigur, die inzwischen eher ungewollt, wie sie sagt, zu ihrer Passion geworden sei. Erst als ihre Familie zur offiziellen Feier anlässlich des 50. Jahrestages des Monuments eingeladen war, habe sie überhaupt davon erfahren, was sie mit dem Christus vom Corcovado verbindet. Bis dato hielt sich die Mär, die Figur sei ein Geschenk Frankreichs anlässlich der Unabhängigkeitsfeier Brasiliens gewesen und deshalb auch von einem Franzosen entworfen worden.

"Typisch, diese Kolonialmentalität", sagt Márcia. "Uns Brasilianern mangelt es noch immer an Selbstwertgefühl. Wenn etwas großartig ist, denken die Leute hier, das muss ja aus dem Ausland kommen." Bel nickt. Fünf Jahre hat sie gebraucht, bis sie alle Verträge und Pläne aus den Archiven zusammengetragen hatte, um zu belegen, dass dem nicht so ist. Die 45-Jährige ist Dokumentarfilmerin, und natürlich hat sie inzwischen zahlreiche Filme und Ausstellungen vor allem einem gewidmet: der Erlöserstatue vom Corcovado. "Den Kopf und die Hände hat mein Urgroßvater tatsächlich in Paris bei dem Bildhauer Paul Landowski in Auftrag gegeben. Das ist aber die einzige Verbindung, die es nach Frankreich gibt."

Kopf und Hände wurden in mehr als 50 Teile zerlegt, nach Rio verschifft und auf dem Corcovado zusammenmontiert. Im Film sieht man in alten wackeligen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wie die Menschen mit Bettlaken durch die Straßen gehen, um Geld für die Christusfigur zu sammeln, das ihnen manche Leute direkt aus dem Fenster ins aufgehaltene Laken warfen. Das im Wortsinn aus dem Fenster geworfene Geld sollte den Bau an der Figur vorantreiben, die zur Unabhängigkeitsfeier nicht rechtzeitig fertig geworden war. "Auch die Archivaufnahmen beweisen, dass es eben kein Geschenk Frankreichs war", sagt Bel.

Am anderen Morgen ist Márcia bereits wieder mit Schönheitskorrekturen am Christus beschäftigt.

Schwindelfreiheit und Gottvertrauen

Sie ersetzt verwitterte Mosaiksteine und versucht den richtigen Farbton zu treffen. Wirkt der Christus aus der Ferne fast weiß, sind die einzelnen Specksteine aus nächster Nähe betrachtet von unterschiedlich graugrüner Maserung. Wenn man in diesen Tagen die Chance hat, Márcia aufs Gerüst begleiten zu dürfen, braucht man außer absoluter Schwindelfreiheit auch eine gute Portion Gottvertrauen, um hier hochzuturnen. Christus wird's schon richten, glauben die Cariocas, und je höher man klettert, desto mehr hofft man, dass die Christusstatue an spiritueller Macht das aufbringen möge, was sie an schierer Materie vorzuweisen hat.

Rio de Janeiro

Rio de Janeiro mit den berühmtesten Stränden und der Christusstatue.

(Foto: SZ Grafik)

In Bels Film sind auch zwei Brüder zu sehen, wie sie mit Lappen und Wassereimer aus der Armluke der Figur klettern, um sie zu reinigen. Ohne Gerüst und ohne jegliche Sicherung laufen die beiden selbstsicher über die ausgestreckten Arme und steigen dem Christus anschließend auch noch auf dem Kopf herum. "Ihnen ist hier oben nie etwas passiert", sagt Márcia ganz selbstverständlich.

Auch wenn sie zugeben muss, dass sogar ihr beim Anblick der brüderlichen Kletteraktion jedes Mal wieder schwindlig wird.

Informationen

Anreise: Die brasilianische Fluggesellschaft TAM fliegt täglich von Frankfurt nach Rio de Janeiro mit Umsteigen in São Paulo und zurück, Economy ab 476 Euro und Business ab 3495 Euro, www.tamairlines.com

Weitere Auskünfte: Rio de Janeiro Convention & Visitors Bureau, c/o TMC, Fischtorplatz 17, 55116 Mainz, Tel.: 06131 /600 70 75, Fax: /600 73 76, riodejaneiro@tmc-agentur.de, rioconventionbureau.com.br

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