Restaurierungsarbeiten:Zoff in Pisa

Pisa Schiefer Turm Toskana Italien Souvenirs Souvenirhändler

Die Piazza dei Miracoli ist ein international bekanntes Ziel für Touristen. Andenken können sie hier vorerst jedoch nicht mehr kaufen.

(Foto: AFP)

Im Schatten des Schiefen Turmes wird ein Museum restauriert. Dafür müssen die Souvenirhändler weichen. Die wollen aber nicht, und fordern auch von Touristen Solidarität ein.

Von Daniel Sprenger

Pisa ist der Schiefe Turm und der Schiefe Turm ist Pisa. Ein vermeintlich originelles Foto mit dem Campanile lässt sich kaum ein Tourist entgehen. Auch nicht an diesem milden Oktobertag: Die deutsche Schülerin küsst den Turm; der japanische Familienvater stemmt sich gegen die Neigung, die spanische Reisegruppe reiht sich vor der Ikone des Massentourismus auf.

Mehr überrascht das Motiv direkt gegenüber: Menschen auf Hockern und Leitern blicken über einen Bauzaun und fotografieren, filmen und kommentieren lautstark das Geschehen dahinter. Ein Gabelstapler hebt einen Kiosk an, es knirscht, als Metall auf Stein schrammt. "Hey, seid vorsichtig, das ist unser Eigentum", schreit ein Mann dem Gabelstaplerfahrer zu. Der beschwichtigt mit einer Handbewegung.

Doch so leicht ist Gianmarco Boni nicht zu beruhigen. "Die Stadt will uns hier nicht mehr haben", entrüstet sich der 42-Jährige. Die meisten Besucher kommen in Pisa mit dem Reisebus direkt zur Piazza dei Miracoli. Am Platz der Wunder sind auf einer gepflegten Rasenfläche wie in einem Themenpark die Attraktionen Dom, Taufkirche und schiefer Glockenturm aufgereiht. Früher kamen die Touristen so auch unweigerlich am Mercato Storico mit 43 Souvenirständen vorbei, den sogenannten Bancarelle.

Doch am 13. September wurde die Straße davor abgesperrt. Seitdem können Boni und seine Kollegen keine Miniaturen des Campanile, keine Postkarten oder Taschen mit Pisa-Aufdruck verkaufen. "Wir haben keine Arbeit mehr, verdienen nichts, dabei haben wir alle Familien, die wir versorgen müssen." Etwa 300 Personen seien von der Schließung betroffen.

Nach und nach werden die Kioske abtransportiert. Dagegen protestierten die Souvenirhändler von Anfang an heftig. Boni wischt auf seinem Handy Fotos durch: Händler stehen vor einer geschlossenen Reihe behelmter Polizisten und schreien gegen den Abbau der Stände an. Einige Verkäufer haben sich auf ihre Bancarelle gesetzt. Die Polizei holt sie herunter. Der Stand wird auf einen Lkw geladen. "Unsere Lebensgrundlage wird zerstört, nur weil die Wand hinter unseren Ständen restauriert werden soll."

Solidarität von Touristen?

Für Gianluca de Felice ist der Grund für den Abbau nicht so lapidar. Der Generalsekretär der "Opera della Primaziale" (Opa), eines städtisch-kirchlichen Unternehmens, das sich um den Erhalt des Weltkulturerbes an der Piazza dei Miracoli kümmert, stellt in einer Pressemitteilung klar: "Es handelt sich nicht um irgendeine Wand, sondern um eine Mauer aus dem 12. Jahrhundert." Die Backsteinfassade des Museo delle Sinopie müsse auch deshalb saniert werden, weil sie über Jahre vom Regenwasser angegriffen worden sei, das von den Dächern der vorgebauten Stände ins Mauerwerk floss.

Angefangen hatte alles ohne feste Stände: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begann Bonis Großvater, Modelle des Schiefen Turms zu schnitzen, zu bemalen und zu verschicken. Seine Werkbank (Banca) hatte er wie mehrere Dutzend andere Künstler direkt gegenüber des modellierten Objekts aufgebaut.

Die handgefertigten Schmuckstücke gingen in einer Zeit, zu der der Massentourismus gerade erst anlief, per Post in die Welt, bevorzugt in die USA. Später, als die ganze Welt sich aufmachte, selbst zum Campanile zu kommen, wurden aus den geschnitzten Kunstwerken in Serie gefertigte Massenprodukte und aus den Werkbänken befestigte Verkaufsstände.

Laut ursprünglichem Plan der Opa sollten diese während der Sanierung des Sinopienmuseums auf einen mehrere Kilometer entfernten Parkplatz umsiedeln. "Was sollen wir dort?", fragt Boni sich erzürnt. Mit einigen Mitstreitern ist er deshalb in einen mehrtägigen Hungerstreik gegen die Umsiedlung getreten - in Zelten am Rand der Piazza dei Miracoli. Danach übernachtete er wochenlang in seinem Stand.

Der andauernde Protest hat bewirkt, dass sich die Opa mit dem Vorschlag beschäftigt, die nahe gelegene Piazza Manin zum neuen Standort der Bancarelle zu machen. "Niemand bestreitet das Recht der Händler zu arbeiten, der Markt wird nicht sterben", teilt de Felice knapp mit.

Weil sich die Händler da nicht so sicher sind, haben sie ein Plakat am Bauzaun befestigt, auf dem auch in Deutsch Solidarität gefordert wird. Doch das Interesse der Touristen sei eher mau: "Einige gucken zwar herüber, weil das hier ein bisschen ungewöhnlich ist. Aber dann gehen sie weiter", sagt Boni und nickt zu einem Pärchen auf der anderen Seite des Bauzauns, das auch so eines dieser vermeintlich originellen Fotos macht. Die junge Frau knipst ihren Partner, der mit ausgestreckten Armen den Schiefen Turm zu stützen vorgibt.

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