Angkor, die größte Tempelanlage der Welt, besteht aus über 1000 Bauwerken, umringt von gigantischen Bewässerungsanlagen und verstreut auf einer Fläche von 200 Quadratkilometern. Auf einem riesigen Areal rund um das kambodschanische Städtchen Siem Reap lässt sich bewundern, was zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert während der Blütezeit der Khmer im Königreich der Kambuja für die Götter in Stein aufgetürmt wurde.
Damals lebten eine Million Menschen in Angkor. Sie errichteten das Mammutprojekt pharaonischen Ausmaßes auf den Fundamenten der hinduistischen und buddhistischen Heilsversprechungen, finanziert durch den enormen Handelsüberschuss aus dem Geschäft mit Reis. Heute ziehen Pagoden, monumentale Reliefs und steile Steintreppen im märchenhaften Dschungelwald jährlich 2,5 Millionen ausländische Touristen an. In ganz Südostasien sind nur das Steinmandala von Borobudur auf Java oder der Bergtempel Wat Phou in Laos annähernd vergleichbar.
Bereits im 16. Jahrhundert streiften neugierige portugiesische Missionaren durch Angkor, bestaunten den gewaltigen, nach indischen Vorbildern modellierten Pyramidentempel Angkor Wat, der den heiligen Berg Meru im Zentrum des Kosmos symbolisiert. Früher wohnte dem Sonnenaufgang eine heilige Stille inne, heute tobt eine Flut von Besuchern heran, vor allem aus dem Reich der Mitte: Die chinesische Stadt Guangzhou wird mehrmals täglich direkt angeflogen, in der Nähe, im chinesischen Perlfluss-Delta, wohnen rund 100 Millionen Menschen.
"Teil eines großen Plans"
Am 4. Dezember 2015 wurde nun ganz in der Nähe von Angkor Wat nach vierjähriger Bauzeit ein Museum eröffnet. Es nennt sich Angkor-Panorama-Museum und wurde von der Mansudae Newtech Corporation errichtet. Mansudae ist eine nordkoreanische Firma. Das Grundstück mit dem Parkplatz für 500 Autos und Busse brachte die kambodschanische Apsara National Authority in das Joint Venture ein. Die Behörde wurde 1995 auf Druck der Unesco gegründet, damit Angkor den Status als World Heritage Site erhielt. Der Vertrag mit dem politisch isolierten und von Devisen abgeschnittenen nordkoreanischen Staat sieht vor, dass in den ersten zehn Jahren alle Gewinne nach Nordkorea fließen. Danach werden die Einnahmen geteilt, in 20 Jahren gehört das Museum Kambodscha.
"Das Angkor-Panorama-Museum ist Teil eines großen Plans", sagt sein kambodschanischer Direktor Yit Chandaroat, der für die Apsara National Authority arbeitet: "Nebenan eröffnen wir in wenigen Wochen das neue Tickethaus für Angkor. Gegenüber bauen und betreiben wir das Asian Traditional Textile Museum unter indisch-kambodschanischer Leitung und das Norodom-Sihanouk-Museum, finanziert von der Aeon-Gruppe aus Japan." Und Chandaroat ist Direktor auch dieser Museen. In der Zusammenarbeit mit Nordkorea habe es inhaltliche Vorgaben gegeben, sagt er, sie folge aber dem Prinzip: "Bauen, kooperieren, übertragen".
Nordkoreanische Investitionen in Kambodscha gibt es seit der jahrzehntelangen Freundschaft von Nordkoreas Diktator Kim Il-sung und Kambodschas König Norodom Sihanouk. Sihanouk hatte in den Siebzigerjahren im Exil in Pjöngjang gelebt und nach seiner Rückkehr Deals mit dem Gastland eingefädelt, wie die Restaurants Pyongyang in Phnom Penh und Siem Reap. Um diese Lokale, die auch in anderen asiatischen Ländern und Europa betriebenen werden, ranken sich viele Gerüchte. Von Geldwäsche ist die Rede, und von Spionagetätigkeit.
Als der beliebte König Sihanouk vor vier Jahren starb, öffnete der seit 1985 autoritär regierende Präsident Hun Sen Kambodscha. Ausländische Investoren kamen in Scharen. In Siem Reap wurde die Cambodia-Korea Friendship Road geteert, dekorativ südkoreanisch beflaggt. Japaner eröffneten im Januar die Aeon Shopping Mall in Phnom Penh, die erste im 15-Millionen-Einwohner-Land. Die Türme der Maybank aus Malaysia oder der Bank of China folgten: Zeichen des Goldrausches im einst bettelarmen Land.
Im Zentrum des Angkor-Panorama-Museums steht ein 360-Grad-Zyklorama, 123 Meter lang und 13 Meter hoch, vergleichbar dem im Victorious Fatherland Liberation War Museum in Pjöngjang. Das suggestive, kreisrunde Wimmelbild reicht von einer Modelllandschaft im Vordergrund mit künstlichen Pflanzen, Steinen und Skulpturen ohne erkennbaren Übergang bis an den gemalten Rundhorizont und erzählt in hyperrealistischer 3-D-Maltechnik von Jayarvarman VII., dem Erbauer von Angkor Thom und des Bayon-Tempels. Als 1174 feindliche Cham aus Gebieten im heutigen Laos und Vietnam die Hauptstadt der Khmer überrannten, gelang es Jayarvarman VII., die Invasoren zu vertreiben. 1181 wurde er der letzte große König von Angkor und ließ als Buddhist die charakteristischen meterhohen Gesichtertürme sowie Klöster, Krankenhäuser und Universitäten wie das heute von Bäumen überwucherte Ta Prohm errichten.
Von der Besucherplattform schweift der Blick vom Kriegstriumph Jayarvarmans, über die Errichtung seiner Tempel bis zum Alltag der Khmer zwischen Palmen, Reisfeldern und dem Tonle-Sap-See über 45 000 menschliche Figuren, akribisch gemalte Landschaft, Büffel und Elefanten bis ins allerkleinste Detail. 63 nordkoreanische Künstler brauchten über ein Jahr, um die monumentale Kulisse zu vollenden. Einige Gesichter sind nach Vorlagen gemalt, die in der Umgebung fotografiert wurden, sagt die junge nordkoreanische Führerin und zeigt mit dem Laserpointer auf eine Figur, die der weibliche Star einer beliebten TV-Soap sei, wie sie lachend erzählt. Propaganda für Nordkorea findet sich im Museum nicht.
Das Mansudae Art Studio hat seit der Gründung 1959 fast alle Personenkult-Aufträge der Diktatoren des Landes, wie das gleichnamige 20 Meter hohe Großmonument in Bronze von Kim Il-sung und Kim Jong-il, in die Landschaften gestellt. Nicht nur die Mansudae-Skulpturen in Pjöngjang sind die größten Bronzen der Welt, sondern auch das Studio ist gewaltig - mit 4000 Angestellten, davon 1000 an Kunstakademien ausgebildete Maler, Grafiker und Bildhauer, die seit 1990 auch in Asien, im arabischen Raum und in Afrika arbeiten, sagt Pier Luigi Cecioni, der Mansudae im Westen vertritt. Allein für das Agostinoh-Neto-Mausoleum hat Angola 55 Millionen Dollar überwiesen. Syriens damaliger Präsident Hafis al-Assad gab 1989 ein Diorama in Erinnerung an den Oktoberkrieg aus dem Jahr 1973 gegen Israel in Auftrag, ein Zwillingswerk, ebenfalls aus Nordkoreas Studio, steht in Kairo.
Doch das Profil der Aufträge scheint sich zu ändern. 2005 rekonstruierte das Studio in Frankfurt den Märchenbrunnen vor der Alten Oper, 2009 eröffnete eine Galerie im 798 Art District in Peking. Der Pulloverfabrikant Luciano Benetton veröffentlichte 2010 seinen Sammlungskatalog der Studiokunst, die auf der Affordable Art Fair in Mailand als Contemporary Art durchgeht. Auf der Website von Mansudae ("Today's Art from North Korea") kann man Kunst bestellen. Auch im Angkor-Panorama-Museum werden Gemälde und Skulpturen zwischen 200 und 1000 Dollar verkauft. Mansudae setzt Millionen um.
Der Eintritt kostet nicht mehr als 20 Dollar - so viel wie eine falsche Rolex auf dem Markt
In Angkor hat das Studio, das sonst nur auf Rechnung ausliefert, jetzt erstmals selbst investiert: 24 Millionen Dollar. Das klingt durchaus ehrgeizig. Am Tag des Besuchs war das Museum leer, und das Licht musste erst eingeschaltet werden, aber bald soll das neue Eintrittsgebäude der Apsara National Authority öffnen. Der Tagespass für das Panorama im Museum plus animiertem Film kostet so viel wie das echte Angkor, also sehr wenig: Nur 20 Dollar, so viel wie eine falsche Rolex im Central Market.
Es bleibt abzuwarten, ob die neue Betreibergesellschaft wieder nur die Gewinne aus dem Weltkulturerbe einsteckt, denn die riesige Anlage ist in Wirklichkeit ein extrem fragiles 3-D-Puzzle und kein Klettergerüst für Massentouristen. Die Strapazen, denen Angkor seit Jahrhunderten durch Plünderung und Zerstörung von Mensch und Natur im tropischen Klima ausgesetzt ist, lassen sich nicht rückgängig machen. Die Behörden müssten dringend in den Erhalt investieren, wie es das German Apsara Conservation Project der Fachhochschule Köln seit Jahren macht. Bedauerlich daher, dass Deutschland die Mittel dafür 2015 auf 100 000 Euro gekürzt hat.
Doch das Panorama-Museum trägt nun gar nichts dazu bei, es ist ein fragwürdiges Kulturtransfer-Investment, das vom boomenden Tourismus am Mekong profitieren will, während die eigene Königsstadt der Goryeo auf der koreanischen Halbinsel, die zur selben Zeit wie Angkor ein Imperium regierten, verfällt. Die Entscheidung, die Bauten der Goryeo-Dynastie in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufzunehmen, wurde 2013 in Phnom Penh getroffen. Der Phantomschmerz einstiger Größe verbindet beide Länder. Er hatte Kambodscha unter Pol Pot ins Desaster geführt, als dieser an die alte Größe des Khmer-Reiches anknüpfen wollte. Doch dessen König Jayarvarman VII. war kein einsamer Tyrann wie Kim Jong-un, der seine Offiziere hinrichtet, wenn sie beim Karaoke falsch singen.