Religion:Hier gehe ich und kann nicht anders

Martin Luther hielt nichts vom Pilgern, für den Jakobsweg hatte er nur bösen Spott übrig. 500 Jahre später können evangelische Christen nun von Worms zur Wartburg wandern.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Eine Bibelübersetzung hat Martin Luther den Deutschen beschert und eine neue christliche Glaubensrichtung sowieso. Protestantische Gotteshäuser sind nach ihm benannt, Straßen, Plätze und Schulen auch. Rechtzeitig zum Gedenkjahr 2017 wird ein Luther-Novum präsentiert: Ein Pilgerweg quer durch die Republik, vom rheinland-pfälzischen Worms über Frankfurt bis zur Wartburg auf den thüringischen Höhen.

Etwa 400 Kilometer können Gläubige (und selbstverständlich auch Ungläubige) entlang der inzwischen fast vollständig ausgeschilderten Strecke wandern. Für Luther war diese Route 1521 ein Fluchtweg. Auf dem Reichstag zu Worms hatte er sich geweigert, seinen Glaubensgrundsätzen abzuschwören ("Ich kann und will nichts widerrufen. Gott helfe mir"), war in Acht gefallen und vogelfrei. Auf der Wartburg fand er Unterschlupf.

Welche Stätten der Reformator damals tatsächlich passierte, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass etliche Orte entlang des Weges keine touristischen Magnete sind. Umso mehr freut man sich dort auf Wandersleute - die essen, trinken, übernachten, Pflaster kaufen sowie Mützen und Mitbringsel. Deshalb fördert auch das hessische Wirtschaftsministerium das von einer kleinen Privatinitiative in Nordhessen erdachte Projekt.

Auch die evangelischen Kirche unterstützt den Pfad. Das ist insofern erstaunlich, als Luther ein strikter Gegner religiöser Laufereien war. Pilgerreisen und Wallfahrten der katholischen Kirche konnte er nichts abgewinnen, im Gegenteil. Den Gedanken, dass sich der Mensch durch allerlei anstrengende Unterfangen die Gunst Gottes und womöglich weniger Zeit im Fegefeuer garantieren kann, fand der Mann aus Eisleben verwerflich. Für den Jakobsweg nach Santiago de Compostela hatte er nur bösen Spott übrig: "Wer weiß, wen sie dort begraben haben? Jakobus sicher nicht. Vielleicht liegt dort ein toter Hund oder ein totes Pferd im Grab. Bleibt zu Hause!"

Martin Luther Martin Luther auf dem Reichstag zur Worms im April 1521. Martin Luther in front of the

Der Kaiser und der Mönch: Karl V. und Martin Luther (rechts) auf dem Reichstag in Worms im Jahr 1521.

(Foto: imago/United Archives)

Und nun sollen die Protestanten ausgerechnet auf Luthers Spuren pilgern? Die Dinge haben sich gewaltig gewandelt in der evangelischen Kirche. Oberkirchenrat Konrad Merzyn, Leiter des Projektbüros Reformprozess bei der Evangelischen Kirche Deutschlands und Experte für Freizeit, Erholung und Tourismus, erinnert sich, dass der Umschwung zum Ende der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts begann, jener Zeit also, in der auch die Wellness-Bewegung in Fahrt kam. Der Wunsch nach spirituellen Wanderungen sei aus den Gemeinden gekommen, von der Basis also, und vom Erfolgsbuch des katholisch getauften Hape Kerkeling beflügelt worden. "Von oben kann man so etwas nicht oktroyieren", sagt der Theologe. Und weist darauf hin, dass die heutigen Gepflogenheiten kaum etwas mit denen des Mittelalters zu tun hätten. Man knüpfe an frühchristliche Tradition an. Puristische Protestanten wird das wohl nicht überzeugen. Die halten es lieber mit Luther und fragen sich stirnrunzelnd, ob als nächstes wohl die Marienverehrung Eingang auch in die evangelische Lehre finden soll.

Die Kirchenoberen sind, wie viele Gläubige, dagegen begeistert. Sie bilden auch Pilgerleiter aus, auch, aber nicht nur für den neuen Lutherpfad. Knapp vier Dutzend dieser spirituellen Begleiter haben das Programm bereits durchlaufen. Sie betreuen ehrenamtlich Tagespilger-Gruppen, die hinter einem geschmückten Kreuz durch Wald und Feld ziehen. Allzu rigide dürfe man die Pilger nicht führen, sagt die für die Fortbildung zuständige Pfarrerin Dorothea Hillingshäuser von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Ein Pilgergang sei schließlich keine streng organisierte Wandertruppe, wer bummelt, kann mit Nachsicht rechnen. Auf der Strecke wird meditiert, gebetet und zwischendurch auch geschwiegen.

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Karte: SZ

Anders- oder Nichtgläubige sind übrigens herzlich willkommen auf der Reformatoren-Strecke. Nach Konfessionen wird bei Ausflügen der evangelischen Kirche nicht gefragt. Erste ökumenische Wandergruppen waren schon gemeinsam unterwegs. Oberkirchenrat Merzyn ist beglückt. Ein halbes Jahrtausend nach der Kirchenspaltung sei Pilgern ein "schöner Brückenschlag" für die Ökumene. Das Bedürfnis sei jedenfalls groß. "Dafür muss man keine Werbung machen", sagt er.

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