Vom Tempel aus Bierflaschen in Thailand über Tschernobyl bis zur Eisbachwelle: Die Webseite Atlas Obscura stellt ungewöhnliche, verrückte oder makabre Orte vor und hat damit viele Fans gefunden. Die Australierin Ella Morton hat mit den beiden Gründern der Webseite das Buch "Atlas Obscura: An Explorer's Guide to the World's Hidden Wonders" mit 700 Einträgen geschrieben. Ein Gespräch am Rande des Tech-Festivals SXSW im texanischen Austin über leuchtende Höhlen und lustige Grabsteine.
Frau Morton, was ist der bizarrste Ort, auf den Sie gestoßen sind?
Es sind so viele bizarre Orte! Ein Highlight ist wohl das "Tor zur Hölle" in der Wüste von Turkmenistan, ein im Durchmesser 70 Meter großes, brennendes Loch. Es entstand 1971, als ein Team sowjetischer Geologen nach Gas bohrte. Sie brachen in einen riesigen Hohlraum durch. Ihr Bohrgerät fiel hinein, das Loch entstand. Sie zündeten das Gas an, weil es sonst zu gefährlich gewesen wäre. Der Krater brennt seit 45 Jahren.
Und Ihr persönlicher Lieblingsort, den Sie besucht haben?
In Neuseeland, wo ich geboren bin, war ich als Kind in den Waitomo-Höhlen. Man rudert einen unterirdischen Fluss entlang. Die Decke der Höhle sieht aus wie ein Sternennebel, eine Galaxie. All diese funkelnden Lichter! Es sind Glühwürmchen im Larvenstadium - ein Nachthimmel aus Insekten.
480 Seiten, gebunden im DIN-A4-Format - vielleicht ein bisschen schwer für einen Reiseführer.
Ja, es ist wie ein Ziegelstein! Es ist kein Reiseführer, eher eine Sammlung von 700 Orten, die einem zeigen, was auf der Welt alles möglich ist. Ein Startpunkt, von dem aus Menschen etwas entdecken können. Dafür müssen sie nicht um die halbe Welt reisen. Wer das Buch liest, soll sich fragen: Was gibt es Unentdecktes in meiner Straße, in meinem Viertel, in meiner Stadt?
Oft wünschen sich Urlauber Infinity-Pools und weiße Strände. Die Besucher der Atlas-Obscura-Webseite faszinieren aber eher sonderbare Orte. Wie würden Sie die Community der Seite beschreiben?
Neugierig. Unsere Community ist am Makabren, am Seltsamen und Exzentrischen interessiert. Sie reisen dorthin, wo es besonders spannend ist - das kann auch Tschernobyl sein. Und sie schlagen Wege ein, an denen andere Touristen einfach vorbeigehen. Nur so finden sie Menschen, die in ihrem Hinterhof eine Burg bauen.
Wo gibt's denn das?
Es sind sogar mehrere Menschen, die das tun, zum Beispiel in Colorado. Oder etwa einen Mönch in Spanien, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, eine Kathedrale in seinem Garten zu errichten. Die lokalen Exzentriker eben.
Was verbindet diese Exzentriker?
Sie sind alle sehr leidenschaftlich und widmen sich ihren Projekten, auch wenn sie sehr lange dauern. Ra Paulette aus New Mexico zum Beispiel gräbt Höhlen - und niemand sagt ihm, dass er das tun soll. Er macht es einfach. Das ist, was er mit seinem Leben anfangen will. Wir feiern solche Leute.
Viele Plätze der Sammlung haben einen Bezug zum Tod ...
Ja, der Tod ist ein Motiv, das sich durchs ganze Buch zieht. Wir haben viele Beinhäuser mit Knochenhaufen, Skelette, Friedhöfe. Die finden sich zum Beispiel in den Katakomben von Paris oder auf Malta, vor allem in Europa. Ihr liebt Knochen in Europa! Wir wollen zeigen, wie Menschen die Welt sehen - und dazu gehört auch der Tod. Hier in den USA ist es eher ein Tabuthema, aber zum Beispiel in Rumänien gibt es den "Happy Cemetery". Auf dem Friedhof sind die Inschriften auf den Grabsteinen lustig.
Was steht denn da drauf?
Auf dem Grabstein eines Mannes, der von einem Auto überfahren wurde, ist etwa eine Illustration, die eben zeigt, wie er vom Auto überfahren wird. Manche würden fragen: Ist das respektvoll? Ich finde aber, es ehrt die Leute auf originelle Weise. In Ghana gibt es Särge in Form eines Tigers oder eines Schuhs, die die Vorlieben einer Person zeigen, die darin begraben wird.
Katakomben von Palermo:Stadt der Toten
Priester, Lehrer, Männer, Frauen - streng geordnet: In den Katakomben von Palermo macht der Tod nicht alle Menschen gleich. Und zwischen den Skeletten ruht die "schönste Mumie der Welt". Ein Besuch im Reich der Toten.
Ist es nicht paradox: Wenn Sie über unbekannte Orte berichten, dann bleiben sie ja nicht mehr unbekannt?
Das stimmt, aber nicht jeder wird auch zu diesen Orten reisen. Außerdem sind viele der Sehenswürdigkeiten zum Beispiel Museen, die nur von einer Person unterhalten werden. Die ist glücklich, im Buch zu stehen, weil das Besucher bringt. Wie die Frau, die ein Museum für viktorianische Kunst aus Haaren in Missouri hat, oder das Kaninchen-Museum in Kalifornien, das Senf-Museum in Wisconsin. Viele solcher Orte mussten früher schließen, weil die Leute nicht genug Geld verdient haben - es kannte sie einfach kaum jemand.
Wohin wollen Sie als Nächstes fahren?
In den Norden Indiens, nach Cherrapunji. Es ist dort sehr feucht, deshalb ist es schwierig, Infrastruktur aufzubauen. Aber die Menschen haben einen Weg gefunden, aus lebenden Wurzeln Brücken zu bauen, die sich über den Fluss strecken. (Anm. d. Red.: Bis sie auf die andere Seite rübergewachsen sind, dauert es bis zu 15 Jahre). Das Bild im Buch muss ich immer wieder aufschlagen. Es ist wie ein Märchen, das wahr geworden ist.