Süddeutsche Zeitung

Globale Reisewarnung:Ganz kleine Welt

Mit ihrem Reisepass stand den Deutschen bislang fast jede Grenze offen. Auch wenn es ein Ausschluss auf Zeit ist: Das Ende des Tourismus schmerzt.

Kommentar von Monika Maier-Albang

Gerade noch war man beim Schnorcheln in der Andamanensee oder an der Hotel-Bar in Ischgl beim Après-Ski. Und jetzt? Ist die Welt auf einmal so klein, so eng geworden, wie man es nie zuvor kannte. Wie zumindest wir Deutschen es seit Generationen nicht kannten. Und nie hätte man es für möglich gehalten, dass es uns, die Reiseweltmeister, einmal treffen könnte.

Die Staatsbürger mit dem roten Reisepass, denen alle Länder offenstehen, jenem Pass, der bislang als Freifahrtschein galt vom Baikalsee bis zu den Fjorden Patagoniens, zumindest für Menschen mit Geld.

Seit der Nachkriegszeit haben sich die Deutschen vorangetastet in die Welt, haben sie erkundet, und das ist ja auch gut so. Die Welt braucht Menschen, die reisen, weil das Kennenlernen anderer Kulturen, anderer Wertvorstellungen und Lebensweisen Vorurteile abbaut, den Horizont weitet. Aber jetzt ist es da, das vorläufige Ende des Reisens.

Die Greta-Bewegung hatte im vergangenen Jahr bereits einen Vorgeschmack auf das gegeben, was an Einschränkungen auf Reisende zukommen könnte. Doch es wären Beschränkungen gewesen, die man sich selbst auferlegt hätte - für den Schutz der Umwelt. Nun aber hat die Bundesregierung wegen der Corona-Krise für die Bundesbürger eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen.

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Schon in den vergangenen Tagen war das Reisen immer schwieriger geworden: Wo nicht mehr gereist wird, gibt es auch keine Flüge mehr. Wo Kreuzfahrtschiffe keinen Hafen mehr finden, der sie aufnimmt, gibt es keine Kreuzfahrten mehr. Rund 100 Länder haben Deutschen bereits die Einreise verwehrt oder gestatten sie nur unter Auflagen.

Wer vor ein paar Tagen noch im Urlaub war, konnte sich klammheimlich freuen über die vielen freien Hotelbetten, in Asien wie unterhalb von Neuschwanstein. Frei waren sie, weil die chinesischen Gäste ausgeblieben sind, ihre Führung hatte ihnen Reisebeschränkungen auferlegt. Ist halt ein autokratischer Staat, dachte man da noch. Jetzt sind die Deutschen die Chinesen.

Sie können nicht mehr, wie gewohnt, ausreisen. Und sie werden dort, wo sie noch unterwegs sind, schief angeschaut oder sogar rassistisch beschimpft. Das ist, neben all der Sorgen ums womöglich verlorene Geld und um Entschädigungszahlungen, welche die deutschen Gerichte auf Jahre hinaus beschäftigen werden, ein beklemmendes, ein bis dahin unbekanntes Gefühl. Zumal viele Bundesbürger nun an ihren Urlaubszielen festsitzen und viele Menschen, die vom Tourismus leben, nicht wissen, ob ihr Arbeitsplatz noch sicher ist.

Die Reise-Beschränkungen sind nachvollziehbar und sie sind richtig. Zugleich sind sie für viele Menschen schmerzhaft. Reisen ist Freiheit. Reisen ist Autonomie. Und Reisen hat auch mit Status zu tun. Wer erzählt nicht gerne, dass er in einem schönen Hotel auf den Malediven war, oder sich den teuren Winterurlaub mit der fünfköpfigen Familie leisten konnte? Damit ist nun erst einmal Schluss.

Auf absehbare Zeit nicht reisen zu können, fühlt sich an wie ein großer Verlust, und das ist es auch. Aber es wird ein Verlust auf Zeit sein und deshalb ein erträglicher.

Wenn diese Krise am Ende einen positiven Nebeneffekt haben könnte, dann vielleicht diesen: Dass man in Deutschland die Freizügigkeit, die der Staat seinen Bürgern seit Jahrzehnten ermöglicht, mehr zu schätzen weiß. Vielleicht wird den Menschen hierzulande bewusster sein, wie es Menschen geht, denen die Welt noch nie zu Füßen lag.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2020/kaeb
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