Sibirien: Insel der Schamanen
Wer von Maloje More mit der klapprigen Fähre nach Olchon übersetzt, betritt heiligen Boden. Die größte Insel im Baikalsee ist für die in Sibirien ansässige Volksgruppe der Burjaten ein spiritueller Ort. In Gehweite vom Hauptort Chuschir entfernt liegt Kap Burchan, ein bedeutendes Schamanen-Heiligtum. Der weiße Fels ist der Legende nach irdische Wohnstatt des nicht sonderlich freundlichen Gottes Khan Choto-Babei. Von jeher kommen hierher die Burjaten, um die Geister um Hilfe anzurufen. Mittlerweile hat es selbst dieser entlegene Ort auf die Landkarte der internationalen Esoteriker-Gemeinschaft geschafft.
Der Schamanenfels ist ein besonderer Platz, und verglichen mit Stonehenge ist es hier noch richtig einsam. In Chuschir können Reisende bei Familien wohnen, die Hausmütter tischen auf, was ihr Garten in der kurzen Vegetationsperiode hervorbringt. Im Supermarkt zapft man sich dazu Kwas ab, ein Getränk aus vergorenem Brot, in mitgebrachte Eineinhalb-Liter-Flaschen. Der Ort besteht aus winzigen, mit bunten Fensterläden und Schnitzereien verzierten Holzhäusern, das Plumpsklo steht im Garten, im Waschraum hängen emaillierte Wasserbehälter an der Wand, vor der Tür ein Ziehbrunnen zum Nachfüllen. Auf Wanderungen entlang der Steilküste blickt man hinab auf das tiefblaue Wasser. Weit unten aalen sich scheue Baikalrobben auf einem Stein in der Sonne. Diese kugelrunde Spezies kommt nur im Süßwasser des Baikal vor.
Und überall in der Natur Zeugnisse lebendigen Schamanentums: Bäume, die mit bunten Bändern verziert sind, am Boden ein Tütchen Reis. Opfer, um die Geister gnädig zu stimmen. An Wegen stehen Serges, Holzpfähle, an denen das nomadische Reitervolk ursprünglich seine Pferde anband. An ihnen flattern ebenfalls Bänder, um eine glückliche Reise zu erbitten. Um die Serges verstreut liegen Scherben von Wodkaflaschen. Doch bevor sich der umweltbewusste Besucher nun empört abwendet: Ein Serge verlangt ein besonderes Opfer, sagen die Schamanen. Und was wäre wohl ein größeres Opfer, als in Sibirien wertvollen Wodka auf dem Boden zu verschütten?
Beste Reisezeit: Juni bis September.
Nicht verpassen: Omul essen, einen vorzüglichen Speisefisch, der nur hier vorkommt. Und baden im Baikal. Wer einmal im Baikalsee gebadet hat, wird nie mehr krank, heißt es in Sibirien.
Ingrid Brunner