Wenn der Student Criville in den Ferien seine Familie in Berlin besucht, freut er sich besonders auf die Entspannung, die Spaziergänge zwischen Palmen am weißen Strand, auf den traditionellen Kokosfisch. Willkommen in Papua-Neuguinea!
Tausende Kilometer entfernt im frostigen Kanada gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert ein West- und ein Ost-Berlin. Vom Mauerbau haben sie sich ebenso wenig aus der Ruhe bringen lassen wie von der Wende. Sie sind, von der Weltöffentlichkeit unbemerkt, bis heute Heimat von Hummerfischern und Bärenjägern. Ganz in der Nähe liegt übrigens Liverpool.
Mehr als 100 Orte mit dem Namen Berlin sind über den Globus verstreut. Mithilfe der aufwendigen Webdokumentation "Worldwide Berlin" sollen alle gefunden und porträtiert werden. Anfang Januar startete bei RBB und Deutscher Welle eine Fernsehreihe ( hier geht es zum Stream). Nun sollen Nutzer das Projekt immer weiter vorantreiben. Denn es ist eine Suche mit weißen Flecken und offenem Ende. Noch ist nicht einmal abschließend geklärt, wie viele Berlins es überhaupt gibt.
"Man denkt, man hat mit Google Earth die ganze Welt, aber nein!", sagt Projektleitern Elke Sasse. Angefangen hat alles mit einem Zufallsfund: Ein Foto im Netz zeigte ein Berlin mit Strand und Palmen. Sasses Team der Produktionsfirma "Berlin Producers" wurde neugierig und stöberte weiter. In einer vermeintlich bis in den letzten Winkel vermessenen Welt folgte eine zweijährige Schnitzeljagd aus der Ferne und vor Ort, die manchmal extrem mühsam war.
In Argentinien etwa wurde ein Mitarbeiter nach dreitägiger Irrfahrt zu zwei verlassenen Häusern gelotst. Ob auch das Berlin war? "Wir wissen es nicht genau, man konnte ja niemanden fragen." In anderen Fällen hatte das Team mehr Glück. Aus Peru etwa meldete sich eine hilfsbereite Frau und fotografierte ein Berlin, das nur über Wasser erreichbar ist.
Elf erfolgreiche Reisen von Kamerateams sind bislang auf www.worldwideberlin.com zu sehen. Die Videos stellen die Einheimischen in den Vordergrund, dokumentieren ihren Alltag, wie sie arbeiten, was sie essen, welche Pläne sie für ihre Zukunft haben. Alle sind Berliner, und könnten doch kaum unterschiedlicher leben.
Seine Stadt sei erfreulicherweise ganz ohne Gangster, sehr ruhig und herzlich, schwärmt Tuktuk-Fahrer Mario in El Salvador. Seine Pendants in Ohio sind tiefgläubige Amish, und an der russisch-kasachischen Grenze flitzt der Schüler Aleksej auf Skiern über die zugeschneite Hauptstraße zur Dorfdisco oder dem einzigen Lebensmittelladen.
Im bolivianischen Centro-Berlin stellen Lamas den größten Teil der Bewohner. Menschliche Einwohner gibt es zehn. "Das Schönste hier in Berlin ist der Ort, die Landschaft, die Weite", erklärt einer der zehn menschlichen Bewohner lakonisch.
"Worldwide Berlin" zeigt seine Protagonisten mit viel Sympathie und Humor, doch ohne zu suggerieren, dass überall eitel Sonnenschein herrscht. Nach Sasses Eindruck haben die Bewohner aber eines gemeinsam: "Sie träumen sich nicht weg, sondern sie träumen alle ein bisschen für ihr Berlin."
Wie es zu all den kleineren und größeren Ablegern kommt? Wie bei den vielen Roms und Amsterdams dieser Welt steckt dahinter meist eine Auswanderergeschichte. Doch es ist auch Kurioseres zu hören. Im einsamen Centro-Berlin konkurrieren gleich zwei Anekdoten. Demnach musste einst ein Flugzeug mit Insassen aus Berlin in der bolivianischen Ebene notlanden - das erste, das die Einheimischen je sahen. Für sie ein Zeichen des Himmels und einen neuen Dorfnamen wert. Die zweite Version besagt, Namenspatron sei ein deutscher Tourist, der 1949 wegen eines platten Fahrradreifens im Dorf übernachtete. Es muss eine unvergessliche Nacht gewesen sein.
Unterdessen geht die globale Spurensuche mit Schneeballeffekt weiter. "Wir bekommen inzwischen von überall Nachrichten", sagt Sasse. Sie ist vor allem von den Fotos begeistert, die Berliner und Berlin-Kenner auch direkt in den "Community Stream" der interaktiven Weltkarte laden können. Der Berlin-Besuche-Rekord liegt, soweit Sasse weiß, derzeit übrigens bei einem deutschen Hauptstädter, der schon mehr als 40 Geschwisterorte besucht hat. Doch wie wir sehen: Es ist genug Berlin für alle da.