Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Engpass beim Reisepass

Während der Pandemie sind viele Dokumente unbemerkt abgelaufen. Jetzt stapeln sich die Anträge auf den Ämtern. Weil die kaum nachkommen, wird auch dieser Sommerurlaub unwägbar.

Glosse von Stefan Fischer

Vermutlich funktioniert es sogar. Seit jeher warnen Reiseveranstalter und Tourismusverbände vor Saisonbeginn: Hotelbetten, Flüge, vor allem Mietwagen - alles wird knapp werden im anstehenden Sommer! Also in jedem Fall rechtzeitig buchen, das ist ihre Botschaft an die Urlauber. Natürlich gibt es dann jedes Jahr doch genügend Zimmer und Campingstellplätze, ausreichend Tickets und für jeden, der möchte, ein Auto.

Man könnte es also besser wissen. Dennoch werden angesichts solch vermeintlicher Hiobsbotschaften Menschen nervös und füllen die Kassen der Veranstalter schon Monate im Voraus. Sie buchen eine Reise zu einem Zeitpunkt, zu dem sie weder absehen können, ob sie überhaupt Urlaub genehmigt kriegen, da sie bis dahin aus Karrieregründen noch zweimal den Job wechseln werden. Noch, ob sie dann nach wie vor mit der vorgesehenen Urlaubsbegleitung liiert sein werden. Mutmaßlich gibt es eine große Schnittmenge zwischen diesen Sehrfrühbuchern und jenen, die immer noch auf vor zwei Jahren angeschafftes Toilettenpapier zugreifen können.

Das einzige, das verlässlich knapp werden wird, sind Liegen am Hotelpool. Da wird sich zeigen, ob die Pandemie die Karten neu gemischt hat. Oder ob die Fertigkeit, eine Liege gegen den Widerstand anderer Feriengäste in Besitz zu nehmen, vergleichbar ist mit dem Fahrradfahren: als etwas, das man nicht mehr verlernt, wenn man es einmal kann.

Während der Pandemie hat sich kaum jemand darum geschert, ob der Pass noch gültig ist.

Wer aber nun glaubt, die realen und die eingebildeten Probleme seien die gleichen wie vor der Corona-Krise, insofern käme man damit routiniert klar, übersieht das Entscheidende: Alle Reservierungs-Voucher der Welt, wann auch immer gebucht, helfen einem nämlich nichts, wenn man keinen gültigen Reisepass hat. Und da gibt es tatsächlich einen Engpass.

Jetzt, da einem die Welt wieder offen steht, möchten viele endlich wieder nach Ägypten oder in die USA. Dafür brauchen sie einen Pass, entsprechend stapeln sich die Anträge in den Ämtern. Während der vergangenen beiden Jahre nämlich hat sich kaum jemand darum geschert, ob der Reisepass noch gültig ist. Deshalb ballt sich die Nachfrage gerade. Verstärkt wird der Effekt, weil mit der Wiedervereinigung 1990 besonders viele der jeweils zehn Jahre gültigen Papiere ausgegeben worden sind, die turnusmäßig 2020 zur Verlängerung angestanden hätten.

Auf den Meldeämtern aber herrschen andere Prioritäten: Die Mitarbeiter sind angewiesen, die Bürger weiterhin in Quarantäne zu stecken statt sie in die Welt zu schicken. Droht auch in diesem Jahr: Balkon statt Bali?

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