Urlaub, so heißt es im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm, stammt als Begriff aus dem Althochdeutschen des 8. Jahrhunderts und bedeutet "die Erlaubnis, sich zu entfernen" und "die Möglichkeit, nach Belieben zu verfahren". Bis heute hat sich an dieser Definition wenig geändert. Wer sich für ein paar Tage von seinem Job entfernt und aus der Mühle des Alltags tritt, der will gefälligst tun dürfen, was ihm gefällt. Für die meisten Urlauber heißt das, an einem Strand zu liegen, sich zu entspannen und sämtliche Probleme, mit denen sie sich den Rest des Jahres herumplagen, auszublenden. Das kann man auch niemandem verdenken. Bei den meisten aber bleibt auch die Sorge um die Existenzgrundlagen der Menschheit zu Hause zurück wie die Katze, der Briefkasten und die Balkonblumen, um die sich derweil die Nachbarn kümmern sollen.
In diesem Sommer zeigt sich das besonders deutlich: Auf die "Fridays for Future" der vergangenen Wochen, an denen die Schüler fürs Klima protestierten, folgt in den Schulferien die große Sause. Die Fluglinien melden Passagierrekorde. Dabei fallen laut der Welttourismusorganisation UNWTO pro Reise im internationalen Mittel etwa 0,25 Tonnen Kohlendioxid an. Urlauber tragen fünf Prozent aller Treibhausgase zur Erderwärmung bei. Wo bleibt die angeblich um sich greifende Flugscham - es peinlich zu finden zu fliegen und deshalb darauf zu verzichten? Das Gegenteil ist der Fall, melden Billig-Airlines wie Ryanair und Easyjet übereinstimmend mit dem Chef der Lufthansa: Den "Greta-Effekt" als Reaktion auf das Umwelt-Engagement der Schülerin Greta Thunberg, es gibt ihn nicht; vielleicht noch nicht im Jahr 2019.
Unterdessen wird der Preiskampf am Himmel immer absurder. Ein Flug nach Mallorca kostet bisweilen weniger als eine Pizza und ein Bier. Romantisch ist an solchen Reisen nichts mehr. Der alte Travellerspruch "Nimm nichts mit außer Fotos, hinterlasse nichts außer Fußabdrücke" klingt heute naiv. Bei einem Fußabdruck assoziiert niemand mehr vergängliche Fährten im Sand, fast jeder denkt gleich an das CO₂ in der Atmosphäre. Im Kampfruf "Nichts wie weg!" manifestiert sich die Rücksichtslosigkeit: Erst kommt der Anspruch auf Erholung - in Deutschland ist er sogar gesetzlich verankert - und dann kommt bei den meisten eben nichts mehr.
Doch es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen: Ausgerechnet junge Erwachsene zwischen 20 und 29 Jahren, wenig älter als diejenigen, die freitags auf die Straßen gehen, nehmen deutlich häufiger ein Flugzeug an ihren Urlaubsort als über 40-Jährige. Einen moralisch höheren Anspruch können die Älteren daraus jedoch nicht ableiten. Freizeitforscher gehen vielmehr davon aus, dass die Älteren einfach schon genug herumgejettet sind. Jüngere sind noch neugierig. Das Bedürfnis, die Welt zu entdecken, ist bei vielen stärker ausgeprägt als ökologische Bedenken. Es ist ja auch wünschenswert, über den Tellerrand zu blicken und andere, fremde Kulturen kennenzulernen. Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist, wie schon Alexander von Humboldt sagte, die jener Leute, die die Welt nie angeschaut haben.
Tourismus ist weltweit eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen, in vielen Ländern hängen so gut wie alle Arbeitsplätze daran. Nachhaltigkeit hat nicht nur ökologische, sie hat auch soziale Komponenten. Neben der Umweltfreundlichkeit braucht die Welt auch Menschenfreundlichkeit. Im besten Fall bringen Urlauber Wohlstand, eine verbesserte Infrastruktur, vielleicht sogar ein bisschen mehr Stabilität und Frieden. Im schlimmsten Fall Umweltschäden, die Störung des Alltagslebens und soziale Ungerechtigkeit, weil nicht alle Einheimischen gleichermaßen von ihrem Besuch profitieren. Die globalen Probleme werden jedenfalls nicht dadurch gelöst, dass alle zu Hause bleiben.
Die zentrale Frage lautet deshalb nicht: Darf ich noch Urlaub machen? Sondern: Wie soll ich Urlaub machen? Trotz aller politischen Instrumente von der Kerosinsteuer bis zur CO₂-Abgabe, die derzeit abgewogen werden, bleibt das Verhalten des Einzelnen entscheidend: Urlauber müssen umdenken wie die Supermarktkunden.
Ähnlich wie die gestiegene Nachfrage nach Bio-Produkten oder der gesunkene Fleischkonsum bei vielen gibt es Möglichkeiten auch im Tourismus. Es muss nicht jedes Jahr eine Fernreise sein, und wenn doch geflogen wird, dann nicht nur für ein verlängertes Wochenende, sondern wenigstens für einen mehrwöchigen Aufenthalt. Urlauber können Flüge kompensieren und bei der Auswahl der Hotels auf sozial und ökologisch zertifizierte Häuser achten, in denen Wasser gespart und Zimmermädchen fair bezahlt werden. Hierfür gibt es Qualitätssiegel in Reisekatalogen, wie man sie von Schokolade oder Kaffee kennt.
Wer in kleinen Gruppen auf Augenhöhe mit den Gastgebern reist, bei Veranstaltern am Ort bucht und in Gästehäusern absteigt, hilft einheimischen Familien statt internationalen Tourismuskonzernen. So erholt sich nicht nur der Urlauber und die Welt nimmt weniger Schaden.