Reisen nach Ägypten:Komm rauf, Pilger!

Das Spirituelle kann mühsam sein - eine Reise durch Ägypten zu den Stätten des Alten Testaments.

Michael Frank

Anstelle großen Jubels sind auf dem Berg Sinai nur die Seufzer von ein paar frierenden Leuten zu hören, die darauf warten, dass endlich die Sonne aufgeht hier oben, wo der Allerhöchste selbst, so sagt jedenfalls das Alte Testament, Moses das Gesetz überantwortet hat - die Zehn Gebote, in Stein gemeißelt, wie wir aus den Katechismusbildern wissen.

Sinai Ägypten, Reuters

Vor Sonnenaufgang ist es kühl auf dem Berg Sinai, wo Moses die Zehn Gebote erhielt.

(Foto: Foto: Reuters)

Ein Grüppchen junger evangelikaler Frauen aus Indonesien stimmt einen Psalm an. Der deutsche Weihbischof liest aus dem Buch Genesis vor, aus der deutschen Einheitsbibelübersetzung, die ihm vorher als wärmende Unterlage auf dem kalten Stein des Berges gedient hatte. "Ich bin ein eifersüchtiger Gott!" sagt da der Allerhöchste von sich selbst.

Wir ahnen, dass derweil unten das Volk Israel ums goldene Kalb tanzte. Drum haben die Gebote, oder wenigstens die Tafeln, nicht lange gehalten, hat Moses sie doch im Zorn am Fels zerschmettert.

Der Abstieg ist steinig und heiter für die Gutbeschuhten. Bei jenen, die den Pilgergang mit aberwitzigem Rüstzeug wie Plastikslippern, Baststrandschuhen und Flip-Flops angetreten haben, herrscht Büßerstimmung. Beduinenburschen bieten Hilfe, fassen jene mit blasenübersäten Füßen beherzt unter, bugsieren malade Wanderer über Staub und Stein, wie schon beim Aufstieg.

Bergsteigerisch ohne jede Schwierigkeit, ist das dann doch ein strammer Marsch von zweieinhalb Stunden, von der Ortschaft St.Catherin, vorbei am berühmten Katharinenkloster, von dem Ort und Berg heute ihren Namen haben.

Amerikaner auf Kamelen

Mitten in der Nacht hatte sich die Karawane aufgemacht. Ein Amerikaner hatte sich ein Kamel gemietet, jagte bergan und brüllte nächtens einem jeden, den das Tier überholte, seine Begeisterung über den Sachverhalt ins Ohr, dass sein Reittier auf den Namen "Whiskey" hört; wie so viele Kamele hier, denn die Treiber wissen, das macht Laune.

Der nachtkühle feine Sand der Wüste, das nackte Gestein des Sinai gleißt im vollen Mondschein weiß wie Schnee. Man wähnt sich beinah bei einer Winterwanderung.

Über die Zacken des Gebirges klettern funkelnde Sterngebilde ins Schwarz des Firmaments. Im Dunkel der Bergflanke leuchten Hütten auf mit dem Angebot für die Pilger, zu rasten und Tee zu trinken. Menschen in Beduinentracht muten in dieser Szenerie an, als wandelten sie durch eine lebende Krippe.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Moslem Achmed schon ein halber Katholik geworden ist.

Komm rauf, Pilger!

Gläubige und Ungläubige erklimmen den Moses-Berg. Auch bei der russischen Touristengemeinde am Golf und bei Japanern und Chinesen hat sich herumgesprochen, dass der Berg ein großes Erlebnis sei.

Ein Professor des Bayerischen Pilgerbüros, der schon öfter hier war, hatte gewarnt, dass es um die ergriffene Stimmung auf dem Gipfel nicht gut bestellt sei, man sich auf eine "schnatternde" Gesellschaft einzurichten habe. Schnatternd im doppelten Sinne, geschwätzig nämlich und frierend. Gegen Entgelt teilen Buben dicke, speckige Decken aus.

Die griechisch-orthodoxen Mönche, die heute noch in ungebrochen byzantinischer Tradition das Katharinenkloster am Fuß des Berges hüten, scheren sich nicht um die vorbeiziehenden Scharen, die ja nicht nur Gaffer, sondern auch Pilger sein könnten, Gottsucher gar. Sie beschränken sich darauf, lautes Schwatzen in der kleinen Kirche zu zügeln und den Besuchern einzubläuen, keine Zweige von besagtem "Brennenden Dornbusch" zu brechen.

Dieser Gottesbeweis beim Exodus grünt im Klostergeviert noch heute vor sich hin. Bibeltreuen eine grandiose Sache, Skeptikern Anlass, sich über die schlichte Dialektik der Bibeltreuen zu wundern.

Wachsfarben aus dem sechsten Jahrhundert

Ehrfurcht erfasst freilich auch den ärgsten Ketzer beim Anblick der ersten bildlichen Darstellung des Christus Pantokrator im kleinen Museum des Klosters, auf das sich alle Bildkunst bis zur Romanik und die der Orthodoxie bis heute unmittelbar bezieht.

Ein Werk von jahrtausendewährender Nachhaltigkeit, in Farbwachs auf Holz gemalt, einer so flüchtigen Technik, dass sie so nur im extremen Trockenklima des Sinai seit dem frühen sechsten Jahrhundert überdauern konnte. Hier hängen Werke von fundamentalem Wert für Kunst und Zivilisation von Morgen- und Abendland.

Die Jakobsleiter des Ikonenmalers Johannes Klimakos macht ein wenig schwindeln: links die Demütigen, von Engeln in den Himmel geleitet, rechts die Hoffärtigen, die von rührigen Teufeln in den Orkus gegabelt werden. Gemäß dieser Himmelsleiter führt direkt vom Kloster eine Stiege von 3017 Stufen auf den Moses-Berg. Zweiflern sei sie nicht empfohlen.

Achmed, der schon Jahrzehnte Bayernpilger in seiner Heimat Ägypten geleitet hat, scherzt, er, der Moslem, sei schon ein halber Katholik geworden. Er kennt sich aus in Sprachgebrauch und Ikonographie beider Konfessionen. Mit dem Ruf "Bayerisch" hält er seine Schäfchen im orientalischen Getümmel zusammen - mal klingt es wie der sanfte Ruf des guten Hirten, mal wie ein alttestamentarischer Fluch.

Achmed hat den koptischen Mönch Cedrack im Kloster El-Syrian im Natrontal aufgespürt. Das Natrontal, zwischen Kairo und Alexandria 22 Meter unter dem Meerspiegel gelegen, hat seinen Namen vom Natronsalz, das dem alten Ägypten bei den Einbalsamierungsprozeduren unentbehrlich war.

Lesen Sie weiter, wie Reisegruppen über Erfindung und Mythos des Alten Testaments diskutieren.

Komm rauf, Pilger!

Hier residiert auch der koptische Papst. Der charismatische Gottesmann Cedrack spricht das hypnotische Deutsch eines Ablasspredigers. Er gerät zwischendurch mit Freund Achmed in einen polemischen Disput, ob Kopten in Ägypten diskriminiert würden oder nicht. Ein lehrreiches Intermezzo über die komplizierten Seelenlagen des Gastlandes.

Pater Cedracks Kloster hat bis heute Bautypen im Stil des vierten Jahrhunderts bewahrt, als es gegründet wurde. Die alte Getreidemühle gilt als Kostbarkeit zeitloser Kultur, nach deren Prinzip schon zu Christi Zeiten gemahlen wurde. Und Christus sei wirklich hier gewesen, so der Gottesmann.

Auf der Flucht nach Ägypten habe das Jesuskind mit seinen Eltern im Natrontal für einige Zeit ein Zuhause gefunden. Die Mühle übrigens, die ihre Mahlsteine über Hebelbalken bewegt, berge wahrscheinlich die Lösung eines alten Rätsels, glaubt der Mönch: Mit solchen Winden habe man wohl die gigantischen Materialmassen zum Bau der Pyramiden und der riesenhaften Tempel des pharaonischen Altertums bewegt.

Schließlich überrascht er mit einem höchst gewagten Bekenntnis: Seine, die koptische Kirche, sei älter als das Christentum selbst. Denn der Eingottglaube, sagt er, war ja altägyptischen Ursprungs, von wo ihn Moses mit nach Israel nahm. "Unsere koptische Kirche ist also 5000 Jahre alt!"

Das Ägyptische Museum zu Kairo hallt von den marktschreierischen Vorträgen Hunderter Kunstführer wider. Echn Aton, dieser rätselhafte Pharao, hat den einen Gott propagiert, ist also jener, auf den sich der Koptenmönch so leidenschaftlich beruft. Er gilt gemeinhin als der Herrscher, der das Weltbild des Moses und der Israeliten geprägt hatte, bevor sie unter Ramses II. aus Ägypten auszogen.

Hat sich das Meer wirklich geteilt wie im Kino?

Um ihnen über den Sinai zu folgen, um sich ihren Zug durch das Schilfmeer vorzustellen, muss man erst einmal das Meer von Kairos ausufernden Vorstädten überwinden. In der Wüste, unter einer wehenden, riesigen Tamariske soll es sein, wo Moses mit dem Stab Wasser aus dem Felsen schlug.

Dabei entspinnt sich in den Gruppen naturgemäß ein sanfter Disput, was denn da von den großen Geschichten und kleinen Schnurren des Alten Testaments ernst, welche Orte und Taten wohl konkret zu nehmen seien und wie viel Erfindung und Mythos dahinterstecke. Manche Reisende stürzen sich mit Eifer in den Diskurs, wer das nicht schätzt, kann sich dem problemlos entziehen.

Reizvoll diesmal, dass der mitreisende Weihbischof und der Theologieprofessor durchaus inhomogene Deutungen bieten, was einen gewissen Freigeist auch über die weihevolleren Stätten ausgießt.

Hat sich das Meer wirklich vor dem Volke Israel geteilt wie im Kino? Und wie sah es aus, dieses Biotop? Das beflügelt die Phantasie, gibt den einen Ehrfurcht ein, reizt andere zum Spott. Über alles breitet Achmed den Mantel seiner Alltags-Ökumene.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum man besser schweigend um die Pyramiden gehen sollte.

Komm rauf, Pilger!

Für Kairos Moscheen, die zu umgehen unverzeihlich wäre, empfiehlt es sich, den korangrünen Moscheenschuhlöffel einzustecken. Auch manche Kirche verlangt, das Schuhwerk abzulegen.

Es gibt in Kairo den seltenen Fall, dass eine Synagoge aus einer Kirche hervorgegangen ist. Sie steht an jenem Platz, wo einst die Mägde der Pharaonentochter den ausgesetzten Moses im Bastkorb aus dem Nil gefischt haben sollen. Der Platz ist übersät mit grauschwarzem Stein, purem Achat.

Wo einst ein Nilarm floss, fährt heute die Eisenbahn. Nahebei steht die Hauptkirche der Kopten, die "hängende Kirche", die so heißt, weil sie vom Mauerwerk einer römischen Festung getragen wird. Ihre hölzernen Gewölbe muten wie Schiffsbäuche an. Zu Recht, denn die an Holzarchitektur arme ägyptische Tradition kannte als einziges Konstrukt dieser Art die Wasserfahrzeuge und vollzog sie als Überdachung nach, so die Deutung.

Die fliegenden Händler warten höflich

Natürlich geht die Reise auch zu den Pyramiden. Die in Ägypten allübliche Placebo-Sicherheitsschranke ist schnell überwunden. Stände bieten Kristallpyramiden und Uschepti, die Diener im Jenseits, von deren Erwerb man Abstand nimmt, wenn man erfährt, dass es 365 von ihnen braucht, für jeden Tag des Jahres einen.

Ahmed hat geraten, sich schweigend um eines dieser ungeheueren Bauwerke herumzubewegen. Da schöpft man Atem und schaut buchstäblich auf zu einer der wahrhaftigen Ungeheuerlichkeiten menschlichen Wirkens. Selbst Skeptiker beschleicht der Verdacht, da müsse schon einiges an Spiritualität mitgewirkt haben, denn nur aus Ruhmsucht wäre des Menschen Hand zu derlei kaum fähig.

Steht man versunken still, dann lassen einen auch die fliegenden Händler in Frieden. Erst danach nähern sie sich mit wunderbar scheinheiligen Erkundungen nach Nationalität und Befinden, um dem Fremden den Erwerb eines absolut originalen Skarabäus anzuempfehlen. Wer könnte da widerstehen.

Zumal, wenn man sich der kleinen Reportage des Feuilletonisten Georg Hensel über seinen schmählich gescheiterten Versuch erinnert, einen ausgewiesen falschen Skarabäus zu kaufen. Unmöglich, letztlich sind sie doch alle irgendwie echt. Der Glaube macht selig.

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