Reisen mit Allergien:Urlaub ohne Reize

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Wohin reisen, wenn blühende Landschaften wegen der Pollen flach fallen? (Foto: cyooh / photocase.com)

Menschen mit Unverträglichkeiten haben es auf Reisen schwer, die richtigen Unterkünfte oder Restaurants zu finden. Ein Gütesiegel soll ihnen dabei helfen.

Von Ingrid Brunner

Einmal pro Woche bekommt Reinhard Wachter im niedersächsischen Ganderkesee Post aus Bad Hindelang. Im Umschlag steckt eine Klebefolie. Unter dem Mikroskop bestimmt der pensionierte Biologie- und Chemielehrer die darauf enthaltenen Pollen, dann meldet er das Ergebnis an den Absender, die Tourismusdirektion in Bad Hindelang. Wachter ist Pollenzähler. Für die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst analysiert er mit Kollegen Proben von rund 40 deutschen Messstationen. Aktuell sind es vorwiegend Gräser, die auf Hindelangs Bergwiesen blühen. Menschen mit einer Pollenallergie wissen so, ob die Luft für sie rein ist, ob sie zum Beispiel ins Allgäu reisen können.

Natürlich würde nun Max Hillmeier, der Tourismusdirektor des Ortes, einwenden, dass die Luft hier zur reinsten in Bayern gehört. Die Messstation Bad Hindelang / Oberjoch, eine von 44, mit denen das Bayerische Landesamt für Umwelt die Feinstaubbelastung im Freistaat misst, weist die niedrigsten Werte auf. Niedrige Feinstaubwerte sind toll, jede Kommune hätte sie gerne, nur hilft das allein Menschen, die von Allergien und deren Folgeerkrankungen geplagt sind, nicht weiter. Deren Urlaubsplanung bleibt kompliziert. Wohin also reisen als Allergiker, wenn Bauernhöfe wegen der Tierhaare, blühende Landschaften wegen der Pollen flach fallen und die weitgehend pollen- und tierhaarfreie Arktis und Antarktis denn doch ein wenig zu entlegen sind?

In großen Höhen fühlen sich Hausstaubmilben nicht wohl - gut für Allergiker

Der Deutsche Reiseverband DRV hat das Thema eher nicht auf dem Schirm, räumt Ellen Madeker von der Pressestelle ein - obwohl die Zahl der Betroffenen gar nicht so klein sei. Da hat sie recht: Das Robert-Koch-Institut kommt in seinem diesjährigen Journal of Health Monitoring zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Frauen und ein Viertel der Männer aktuell von Allergien betroffen sind, das allergische Asthma nicht mit eingerechnet. Frauen seien häufiger betroffen als Männer, Jüngere häufiger als Ältere, Städter häufiger als Landbewohner.

So muss wohl die Wissenschaft eine Antwort geben auf die Frage, wo Allergiker Urlaub machen können. "Berge oder Meer" antwortet kurz und bündig Bernd Janning. Größe Höhen tun Allergikern gut, weil Hausstaubmilben ab etwa 1000 Meter über dem Meeresspiegel praktisch nicht vorkommen. Und das Meer, besonders Nord- und Ostsee, weil die dort vorherrschenden Westwinde für pollenarme Luft an den Küsten sorgen. Janning ist Pressesprecher von Ecarf, einer Stiftung mit Sitz in Berlin, die beim Allergie-Centrum-Charité unter der Leitung des Allergologen Torsten Zuberbier angesiedelt ist. Sie widmet sich der Erforschung allergischer Erkrankungen. Ecarf hat ein Gütesiegel geschaffen, das allergikerfreundliche Kommunen zertifiziert. Eine davon ist seit 2011 Bad Hindelang, daneben sind es das Ostseebad Baabe, Bad Füssing, Bad Salzuflen, die Nordseeinsel Borkum, das Ferienland Schwarzwald, Oberstdorf, das Schmallenberger Sauerland und Schwangau.

Voraussetzung für die Zertifizierung ist es, Luftkurort zu sein. Dazu kommt eine Reihe von Kriterien, etwa Allergiker-Bettwäsche und Holzböden in den Gästezimmern, auch sollte es Beherbergungsbetriebe aller Kategorien geben - von der einfachen Pension bis zum Sternehotel. Ein weiteres Muss ist ein Angebot an Geschäften, etwa Bäckereien, Cafés, Restaurants und Gaststätten, damit die Betroffenen wichtige Lebensmittel nicht mitschleppen müssen. In Hindelang machen inzwischen 120 Betriebe mit, 90 Beherbergungsbetriebe, dazu Restaurants und Einzelhändler.

Welche Erleichterung das für die Betroffenen ist, erläutert Anja Bode, die Projektleiterin Allergikerfreundliche Kommunen beim Deutschen und beim Bayerischen Heilbäderverband, am Beispiel einer Patientin, die jedes Jahr wegen der guten Luft nach Helgoland fährt: Vor jeder Reise schickt sie zwei große Kisten mit ihrem persönlichen Bedarf per Post voraus, vom milbendichten Bettzeug bis zum glutenfreien Müsli und der laktosefreien Milch. Dieser Aufwand dürfte bald nicht mehr nötig sein: Auch Helgoland bewirbt sich neben den Ammergauer Alpen, Bad Aibling, Bad Reichenhall und Freudenstadt um das Ecarf-Siegel. Es könnten also bald 14 Orte oder Regionen sein, in denen Allergiker in Deutschland besonders gut Urlaub machen können. Doch wie sieht es in den Großstädten aus? Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga verweist auf die seit Ende 2015 gültige Deklarationspflicht von Allergenen auf der Speisekarte und erklärt, das Gastgewerbe sei stets bemüht, die Wünsche der Gäste zu erfüllen. Im Übrigen müssten diese sich aber in erster Linie selbst schlau machen. Das verwundert, angesichts immer neuer Ernährungsstile und Küchentrends, die die Gastronomie schon aus wirtschaftlichen Gründen eilfertig aufgreift.

Ist es zu aufwendig, allergikerfreundliche Küche und Dienstleistungen vorzuhalten? Im Fall von Bad Hindelang "eigentlich nicht", wie Tourismuschef Hillmeier sagt, "wir hatten ja schon Erfahrung - mit Deutschlands einziger Hochgebirgsklinik am Ort". Eher sei es ein Verknüpfen von bereits vorhandener Infrastruktur gewesen. Das bestätigt auch Nicole Blanz vom Kinderhotel Oberjoch. "Für ein Haus unserer Größe ist der Mehraufwand nicht zu spüren", sagt sie. In dem Haus mit 550 Betten seien täglich Allergiker zu Gast. Aber eben nicht nur, und Hotels müssen auch an einem zertifizierten Ort nicht jedes Zimmer allergikergerecht gestalten. "Nur mit Allergikern wäre unser Haus nicht zu füllen", erklärt Blanz. Im Kinderhotel arbeiten zwei Köche mit Zusatzausbildung zum Diätkoch. Am Anreisetag besprechen die Gäste mit der Küche ihre Unverträglichkeiten, an den Büffets ist alles ausgeschildert, dazu gibt es dort Allergikerbereiche. Die Resonanz der Gäste sei gut. "Die Befürchtung des Allergikers ist ja, als Problemgast erkannt und behandelt zu werden." Diese Sorge muss der Gast auch im Biohotel Mattlihüs in Oberjoch nicht haben. Dort steigen vorwiegend gesundheitsbewusste "Lifestyle-Urlauber" ab, wie es Hotelchef Alexander Geißler formuliert. "Wir bieten vegetarische und vegane Gerichte und kriegen das gar nicht mehr so mit, wenn jemand Allergiker ist." Klar, man müsse umdenken und auch die Mitarbeiter schulen. "Als wir noch konventionell und nicht bio waren, ist der Küchenchef fast ausgeflippt, wenn Sonderwünsche kamen." Das sei jetzt ganz entspannt.

Es muss also nicht wie im Sanatorium aussehen, wenn Allergiker Urlaub machen. Ebenso sind Tiere nicht vollständig vom Gelände verbannt. Ein Hotel kann elegant, chic und muss nicht bis in die letzte Ritze pollenfrei sein, um für diese Zielgruppe infrage zu kommen. Anja Bode sagt: "Wer will schon in einem Reinraum Urlaub machen?"

Informationen zu den allergikerfreundlichen Kommunen unter www.allergikerfreundlich.de ; weitere Informationen bieten die Stiftungen Ecarf, www.ecarf.org, sowie der Deutsche Polleninformationsdienst, www.pollenstiftung.de

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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