Reisen im Nordirak:Durchs milde Kurdistan

Kurdistan Naher Osten Reise

Fokus auf die Sehenswürdigkeiten: eine Station auf der Reise durch Irakisch-Kurdistan.

(Foto: Luisa Seeling)

Ein Spezialreiseveranstalter organisiert Touren in den Nahen Osten - sogar in den Norden des Irak. Die Reisen sollen Ängste vor der Region abbauen. Dafür werden auch sonst verschlossene Türen geöffnet.

Von Luisa Seeling

Zelten im Irak? Klingt verrückt, zugegeben. Die meisten schütteln denn auch entgeistert den Kopf. Aber da wird doch gekämpft! Und da kann man hinfahren?

Ja - mit Einschränkungen. Der Irak ist ein zerrütteter Staat, Teile des Landes sind Kriegsgebiet. Die Hauptstadt Bagdad wird von Anschlägen erschüttert, in Mossul kämpft eine Koalition aus irakischer Armee, Kurden, diversen Milizen und US-Einheiten gegen die Terrororganisation Islamischer Staat. Nein, der Irak ist kein Urlaubsland.

Und doch hat der Reiseveranstalter Alsharq den Irak im Programm, genauer: den irakischen Norden, auch Irakisch-Kurdistan genannt. In der kurdischen Autonomieregion ist die Lage seit Jahren relativ stabil. 2015 gab es einen Anschlag in Erbil, dem Sitz der Regionalregierung, ansonsten blieb es weitgehend ruhig in den Städten Irakisch-Kurdistans. Die Allgegenwart der Peschmerga - "die dem Tod ins Auge sehen", so die martialische Bezeichnung für die kurdischen Streitkräfte - dürfte ihren Teil dazu beitragen. An jeder größeren Einfallstraße gibt es Checkpoints. Wer in den Flughafen Erbil gelangen will, muss drei Schleusen mit strengen Kontrollen passieren. Bisher haben sich die Sicherheitsmaßnahmen im Autonomiegebiet ausgezahlt.

Ein Netzwerk Einheimischer öffnet Türen, die sonst verschlossen bleiben würden

Unter diesen Umständen, beschloss Alsharq vor anderthalb Jahren, könne man es wagen. Sie boten eine Rundreise an: von der 1,6-Millionen-Stadt Sulaimaniyya, dem kulturellen Herz der Autonomieregion, bis in die Hauptstadt Erbil; von dort in den Norden nach Dohuk, in das Städtchen Amediye und schließlich in das Dorf Pirozana, Startpunkt einer Wanderung ins Gara-Gebirge. Acht Übernachtungen in einfachen Mittelklassehotels, zwei im Zelt; Anreise nach Sulaimaniyya, Rückflug von Erbil, beide Städte werden von der deutschen Fluggesellschaft Germania angeflogen. Zur Pilotreise im Mai 2016 meldeten sich 15 Leute an. Dieses Jahr folgt die zweite Auflage, Beginn ist wieder Ende April.

Alsharq, Arabisch für "der Osten", ist ein kleiner Reiseveranstalter, der sich auf Studienreisen in den Nahen und Mittleren Osten spezialisiert hat. Alsharq ist aber noch viel mehr: Es ist eine Plattform, ein Netzwerk von jungen Wissenschaftlern, Journalisten und Experten, die sich beruflich, im Studium oder privat mit der Region beschäftigen. Zur Plattform gehört ein Blog, in dem sich die Sharqisten und Gastautoren mit Nahostklischees auseinandersetzen. Angedockt ist auch ein Verein, der Seminare und Workshops zur politischen Bildung durchführt. Vor allem aber ist Alsharq eine Einstellung, eine Idee.

Am Anfang stand ein Gefühl der Unzufriedenheit - darüber, dass die Länder des Nahen Ostens in der öffentlichen Wahrnehmung im Westen so schlecht wegkommen. "In Europa verbindet man die Region vor allem mit Krisen, Krieg und Katastrophen", sagt Christoph Dinkelaker, 33, einer der Gründer von Alsharq. "Wir wollen den Fokus stärker auf die Dinge richten, die in der Berichterstattung zu kurz kommen." Es gebe schließlich auch den Alltag, die Vielfalt, das Positive - das zu vermitteln, ist ihr erklärtes Ziel.

Mit dem Blog fing es an, 2005 gegründet von einer Gruppe Studenten. 2008 wurde die Seite mit dem User-Award der Deutschen Welle ausgezeichnet, 2013 war sie für den Grimme-Online-Award nominiert. 2010 begannen die Sharqisten, erste Reisen zu organisieren. Wer teilnimmt, wandelt nicht auf ausgetretenen Touristen-Pfaden - zumal es die in Ländern wie dem Irak ohnehin kaum gibt. Die Plattform profitiert davon, dass ihre Macher alle um die 30 und dank Studien- oder Arbeitsaufenthalten in der Region gut vernetzt sind; das öffnet Türen, die Pauschalreisenden oftmals verschlossen bleiben. Bei der Organisation und Durchführung der Reisen helfen in der Regel Ortsansässige, die zum verzweigten Alsharq-Netzwerk gehören.

So wie Schluwa Sama, 28, geboren in Amediye, einem malerisch auf einem Felsplateau gelegenen Städtchen. Sama ist Politologin, seit zwei Jahren pendelt sie zwischen Großbritannien, wo sie promoviert, und dem Irak. Die Reise im vergangenen Mai hat sie gemeinsam mit Dinkelaker vorbereitet und begleitet. Ohne Samas persönliche Verbindungen wäre es kaum möglich gewesen, ein derartiges Programm zusammenzustellen: Treffen mit Politikern im Regionalparlament in Erbil, ein Besuch bei Jesiden in ihrem Heiligtum, dem Tempel Lalisch, eine Führung durch das frühere Foltergefängnis des Diktators Saddam Hussein in Sulaimaniyya, Gespräche mit linken Aktivisten, Kunststudenten, Naturschützern - von einem Mittagessen bei Samas Familie in Amediye ganz zu schweigen.

"Klar, es gibt die Front, aber von der halten wir uns fern"

Zehn Tage lang ist Sama im Dauereinsatz, als Reiseleiterin, Dolmetscherin und Problemlöserin. Sie übersetzt aus Sorani und Kurmandschi, den beiden kurdischen Großdialekten, ins Deutsche oder Englische; sie beantwortet Fragen, sei es zur Geschichte des kurdischen Bürgerkriegs in den Neunzigerjahren oder zum Nachtleben in der Universitätsstadt Sulaimaniyya; sie telefoniert, um Termine zu bestätigen, zu verschieben oder überhaupt möglich zu machen. Die Fahrten im blauweißen Kleinbus nutzt sie, um vom Kampf der Kurden um Selbstbestimmung zu erzählen - und vom komplizierten Verhältnis der irakischen Kurden zur Zentralregierung in Bagdad. Seit Anfang der Neunziger ist Irakisch-Kurdistan de facto eigenständig, 2005 wurde es in der irakischen Verfassung als Autonomieregion anerkannt.

Reisen im Nordirak: SZ-Karte

SZ-Karte

Alsharq hat unter anderem Reisen nach Ägypten, Libanon, Israel, Iran und Oman durchgeführt. Soeben ist eine Gruppe in die Türkei aufgebrochen, erstmals steht in diesem Jahr auch Myanmar auf dem Programm. In vielen dieser Länder sei die Sicherheitslage kein größeres Problem, erzählt Dinkelaker, doch bei Irakisch-Kurdistan habe man wegen der Nähe zum Kriegsgebiet lange gezögert. Um das Risiko abzuschätzen, konsultiert Alsharq offizielle Stellen wie das Auswärtige Amt. "Dort neigt man dazu, ganze Länder für gefährlich zu erklären, obwohl Krisen oft viel genauer zu lokalisieren sind", sagt Dinkelaker. So sei es auch im Nordirak: "Klar, es gibt die Front, an der die Peschmerga gegen den IS kämpfen, aber die liegt nicht an unserer Route, von der halten wir uns fern." Im Zweifelsfall geben Einschätzungen von Kontaktpersonen vor Ort den Ausschlag.

Die 15 Teilnehmer der Pilotreise jedenfalls sind keine hartgesottenen Adrenalin-Junkies oder ausschließlich Nahost-Spezialisten. Es ist eine bunt gemischte Gruppe: eine 19-jährige Jurastudentin mit türkisch-kurdischen Wurzeln, zwei IT-Unternehmer aus Dresden, ein amerikanischer Geschichtsprofessor, eine pensionierte Lehrerin und eine 74-jährige Münchnerin, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert.

Im Gara-Gebirge ist es heiß, am Ende des Vormittags zeigt das Thermometer um die 30 Grad Celsius an, doch die Landschaft entschädigt für die Strapazen des Anstiegs. Karg ragen die Gipfel auf, weiter unten grünt, blüht und summt es. Die Luft riecht nach Thymian und wilden Zwiebeln. Wer sich den Irak als Wüste vorgestellt hat, sieht ihn hier von einer anderen Seite: Der Norden ist im Frühjahr von sattem Grün überzogen. In einem Bergsee schwimmen Schildkröten. Verschreckt tauchen sie ab, als sich die Wanderer ins Wasser stürzen. Aran Taha, der Guide, guckt zufrieden.

Vor zwei Jahren hat Taha gemeinsam mit einem Partner Go Wild Kurdistan gegründet, eine Agentur für Trekkingreisen in Irakisch-Kurdistan. Ein- bis zweimal im Jahr führt er Gruppen ins Gara-Gebirge. "Meist sind es keine Touristen, die uns buchen, sondern Expats, die hier in ihrer Freizeit mal etwas anderes sehen wollen", erklärt er. Eine Reisegruppe aus Deutschland, das ist eher ungewöhnlich.

Man kommt mit vielen Fragen an - und reist mit noch mehr Fragen zurück

Taha ist 1984 in Dohuk geboren, hat aber lange in Berlin gelebt. Seine Familie floh 1994 nach Deutschland, als in Irakisch-Kurdistan ein Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Großclans ausbrach. Seit mehr als zwei Jahren lebt Taha wieder in Dohuk, er unterrichtet Risikomanagement an einer Privatuni. Go Wild Kurdistan ist ein Nebenerwerb, ein Herzensprojekt, dessen Ziel gut zur Philosophie von Alsharq passt: "Ich will den Leuten die Angst vor diesem Land nehmen", sagt Taha.

Am letzten Abend sitzt die Gruppe am Lagerfeuer, die Zelte sind aufgeschlagen, die Nacht ist sternenklar. Zeit für die traditionelle Alsharq-Runde: Was war gut, was war weniger gut? Das Feedback ist positiv, die Kritik fällt minimal aus: Einige Termine verliefen etwas zäh - wegen der Sprachbarriere. Wer mit Alsharq reist, muss flexibel sein, auch ein wenig Geduld schadet nicht. Alle in der Runde schwärmen von der hohen Intensität der Reise. Ein Teilnehmer sagt: "Ich bin mit vielen Fragen hergekommen - und reise mit noch mehr wieder ab." Das ist ausdrücklich ein Lob.

Später am Abend kreist eine Flasche Arak, irakischer Anisschnaps. Sama, zwei ihrer Cousins und ein paar Jungs aus dem Dorf, die die Wanderung begleitet haben, singen kurdische Lieder. Die Deutschen kontern mit Pop-Hits der Neunzigerjahre. Am Ende singen alle. Und im Gara-Gebirge im Irak erklingt, etwas schief, "We are the world" von Michael Jackson.

Das Reiseprogramm für 2017 und Infos zu den Zielen findet sich unter www.alsharq-reise.de

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