Kolumne "Mitten in ...":Sex in the City

In Berlin trennt die Mauer nicht mehr, sondern bringt Menschen zusammen - und zwar ganz schön nah. Und in Umbrien braucht eine Kassiererin gute Nerven.

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Die Berliner East Side Gallery ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt. Das längste zusammenhängende Stück der Berliner Mauer, an einer Seite bunt bemalt, an der anderen zieht sich ein Grünstreifen entlang. Überall sind Touristen unterwegs, zu Fuß, auf Fahrrädern, an den Kiosken und Imbissbuden rundherum. Irgendwo dazwischen steht man an einem warmen Spätsommertag mit seinem Gesprächspartner, um ein Interview zu führen. Der Mann stockt immer wieder, runzelt die Stirn, wirkt fahrig. Ob ihm die Temperatur zusetzt? Oder das Thema, die Berliner Mauer und ihre Geschichte? Bevor man fragt, folgt man seinem Blick. Und sieht das Pärchen auf dem Grünstreifen, nur wenige Meter entfernt. Die beiden haben ganz offensichtlich Sex. Was man eben in Berlin so macht, am helllichten Tag an einer überlaufenen Touristenattraktion.

Verena Mayer

SZ vom 14. September 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Umbertide

18 Menschen fahren in den Urlaub. 13 Erwachsene, fünf Kinder, ein abgelegenes Haus in den Bergen Umbriens. Selbstversorger, versteht sich. Und so zieht eine Gesandschaft am ersten Tag los, um im Supermarkt all das zu besorgen, was es für diese Menge Leute eben zu besorgen gilt. Jeder bekommt einen Einkaufszettel in die Hand gedrückt, vor der Kasse sammeln sich nach einer halben Stunde 13 bis oben hin vollgepackte Einkaufswägen. "Egal", sagt die Kassiererin lächelnd, "nach Ihnen hab' ich Feierabend." Pasta, Wein, Klopapier in rauen Mengen zischen über das Band, viele Hände schieben die Einkäufe in die Taschen. Bei Wagen 11 gibt die Kasse den Geist auf. Nix mit Feierabend, jeder Einkauf muss noch einmal über den Scanner gezogen werden. Die Kassiererin ist froh, als sich die Gruppe verabschiedet. "A domani!", rufen wir, bis morgen.

Julia Rothhaas

SZ vom 14. September 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Piräus

In der Ferne sind noch die Häuser der Großstadt zu sehen, an Deck der Fähre ist es herrlich ruhig, bis auf das gleichmäßige Brummen des Motors vielleicht, aber wen stört das schon? Plötzlich, aus einer Ecke: seltsame Geräusche. Klingt irgendwie gequält. Da ist ja ein Hund! Eingesperrt in einer kleinen Box mit Luftgitter, einer wirklich sehr kleinen Box. Und da hinten: noch einmal vier Aufbewahrungskästen für Hunde, die während der Überfahrt offenbar hier ihr Dasein fristen müssen. Wieder ein Jaulen! Es schwillt von allen Seiten zu einem kakofonischen Wehklagen an, wirklich kaum zu ertragen. Dann wird es wieder leiser, dann lauter, immer wieder. Was haben die armen Tiere bloß? Nichts. Der Blick wandert höher. Dort hängt eine Lautsprecherbox. Aus ihr jault die Formel-1-Übertragung aus dem Innenraum der Fähre.

Mareen Linnartz

SZ vom 14. September 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Florenz

Warum schleicht das Auto vor uns so? Also überholen. Plötzlich ein Schlag. Hat der was auf uns geworfen? Der Fahrer macht Zeichen anzuhalten. Die Beifahrerin steigt aus, streicht über unseren Spiegel. "Sie haben uns touchiert", ruft sie. Tatsächlich, ein Kratzer, und der Spiegel der Italiener ist zersplittert. Sie wollen 300 Euro. Wir sagen: "Polizei." Der Fahrer: "Dauert zwei Stunden." Die Frau zeigt auf ihren Bauch: "Baby! Ospedale! Schnell!" Aber ist sie nicht mindestens 50? Da kräht das eigene Kind los. Und wir haben 650 Kilometer vor uns.

"Dann 100 Euro", sagt der Fahrer. "Baby!", jammert die Frau. Puh, Hektik. Wir zahlen, sie brausen davon. Warum mit offenem Kofferraum? Da macht es klick: damit man das Kennzeichen nicht sieht. Trickbetrüger! Der Kratzer lässt sich abwischen, war aufgemalt. Ach, Italien! Und: Ach, wir dummen Deutschen!

Nadeschda Scharfenberg

SZ vom 7. September 2018

Mitten in Skillinge

Quelle: SZ

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Mitten in ... Skillinge

Die Klara Marie ist ein stolzes, kleines Segelschiff, anno 1884 stach sie zum ersten Mal in See. Heute schippert sie Touristen vor Südschwedens Küste herum, betreut von einer Crew von Seebär-Rentnern, die aussehen wie ergraute Versionen von Efraim Langstrumpf, Blutsvente und Messerjocke. Im Hafen von Skillinge wollen wir an Bord gehen, mit uns etliche schwedische Familien. Bevor wir über den schmalen Holzsteg aufs Boot wanken dürfen, kassiert der Kapitän die Passage. Ratzfatz laufen die Schweden an seinem mobilen Kartenlesegerät vorbei oder zücken die Bezahl-App auf ihren Smartphones. Als wir dem Käpt'n verlegen unsere schönen Kronenscheine reichen, verzieht er amüsiert sein Ledergesicht, als hätten wir ihm Golddukaten aus Taka-Tuka-Land mitgebracht. Bargeld? Aus welchem Jahrhundert kommt ihr denn?

Jutta Czeguhn

SZ vom 7. September 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... München

Einer der letzten warmen Tage, Badewetter, aber es hilft ja nichts, das Fahrrad muss zur Inspektion. Der Bayer, bei dem es einst gekauft wurde, heißt Herr Krampf. Deshalb ist der Name seines Ladens doppelt stimmig: Wadlkrampf. Draußen neben der Ladentür stapeln sich Mineralwasserflaschen auf einer Palette, sicher mehr als hundert Liter. Drinnen beißt Herr Krampf in der glutheißen Werkstatt in einen Döner. Die Menge an Schweiß, die er in den vergangenen Hitzesommerwochen hier verdunstet haben muss, dürfte die Menge an Wasser draußen locker übersteigen. Hat er sich sicherheitshalber einen Vorrat angelegt?

Nein, Werbegeschenk, stöhnt er. Ob man nicht bitte ein, zwei Flaschen mitnehmen wolle. Jeden Liter, den die Kunden draußen stehen lassen, muss er am Abend in den Laden tragen. Wenn das mal keinen Wadlkrampf gibt.

Susanne Klein

SZ vom 7. September 2018

Arles

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Arles

Das Fotofestival im südfranzösischen Arles zieht ziemlich kultivierte Menschen an: Teure Kameras, Designsonnenbrillen, unter dem Arm ein Kunstwerk aus der Galerie nebenan. Dazu Studentenpärchen, junge Familien, Einheimische - und immer wieder: Lautes Motorengeheul. Ein paar dutzend, vielleicht auch über hundert kahlrasierte, über und über tätowierte Männer haben sich das Städtchen in der Provence ebenfalls als Reiseziel ausgesucht. Sie sitzen in den Straßencafes und Pizzerien oder dröhnen mit Motorrädern durch den Ort. Die Bandidos-Lederjacken scheinen der Hitze problemlos Stand zu halten. Ob das hübsche Arles in der Hand des organisierten Verbrechens sei? Nein, lacht der Gastgeber, die "Bikers", wie man sie hier nenne, wollten cool aussehen, nichts weiter. "Das ist Fashion. Bei der Hitze allerdings ... fast schon kriminell."

Charlotte Theile

SZ vom 1. September 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Salzburg

In Salzburg brütet die Hitze, die Festspielbesucher sind genervt von Tagesausflüglern und flüchten sich in Restaurants, während der gemeine Tourist im Freien sitzt und schwitzt. Ein Ehepaar sucht mitsamt Fahrrädern Platz auf der kleinen Tomaselli-Terrasse, im "Triangel" bestellt eine von zwei jung gebliebenen Damen Saibling und bekommt: geschnetzelte Leber. Die Gesichtsfarbe der Dame kippt. Der Kellner entschuldigt sich, der Wirt eilt herbei, erkundigt sich nach dem Befinden, nimmt den Teller mit der Leber, riecht daran, setzt sich an den Nebentisch und schiebt sich mit genussvollem Augenrollen ein Stück nach dem anderen in den Mund. Auch der Kellner muss probieren, ist begeistert. Die Dame schielt pikiert herüber. Der Saibling kommt. Vieles kann man in ihrem Gesicht lesen. Begeisterung ist nicht dabei.

Helmut Mauró

SZ vom 1. September 2018

Mitten in Ville di Corsano

Quelle: SZ

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Mitten in ... Ville di Corsano

Der Fuß schmerzt. Weil aber der Fuß mit dem Mann gerade in Italien ist, muss der Mann mit dem Fuß zur italienischen Ärztin. Der Ferienwohnungsvermieter sagt dem Mann, der nur Pizzeria-Italienisch kann, die Ärztin könne Englisch. Der Mann also setzt sich ins Ambulatorio medico in Ville di Corsano und wartet. Ville di Corsano ist ein reizender kleiner Ort, 20 Autominuten von Siena entfernt. Einen eigenen Arzt hat er nicht, ein paar Mal in der Woche kommen Ärzte aus Monteroni oder Buonconvento nach Ville di Corsano und halten im Ambulatorio Sprechstunde ab. In Buoncovento ist übrigens mal ein deutscher Kaiser, Heinrich VII., gestorben. Nach einer Stunde kommt der Mann dran. Die Ärztin spricht kein Englisch. Der Mann versucht sich mit ihr auf Pizzeria-Italienisch und Gymnasial-Latein zu unterhalten. Das ist nicht einfach. Einmal sagt die Ärztin, glaubt jedenfalls der Mann: "No Amputatione". Das ist tröstlich. Der Fuß übrigens schmerzt noch heute. Aber ist noch dran.

Kurt Kister

SZ vom 1. September 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Starnberg

Eine alternative Party in Starnberg, echt jetzt? Echt jetzt. Um die Feuertonne tanzen sie ohne Schuhe, an der Bar gibt es Crémant für drei Euro, und irgendwann hebeln zwei Männer die Fenster aus - jetzt wummert der ganze See. Klar kommt die Polizei. Und geht wieder, ohne irgendwas zu unternehmen. Es ist der ganz große Sommerfrieden. Ein Mann um die 50, der seine Sonnenbrille auch dann nicht absetzt, als es dunkel wird, ist besonders gut drauf. Tanzend nähert er sich zwei Frauen, die höchstens halb so alt sind wie er. Er balzt, offeriert Zigaretten und zeigt stolz auf eine andere Frau: "Das ist meine. Seit 30 Jahren verheiratet." Bedeutungsvolle Pause. "Aber wir leben in einer offenen Beziehung." Aha. Die Frauen blicken sich verwirrt-beschämt an. Da kommt noch eine junge Frau um die Ecke und stellt sich dazu. "Papa, du bist ja immer noch da!"

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 24. August 2018

Mitten In

Quelle: SZ

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Mitten in ... Siena

Gleich wird es losregnen. Die Wolken, die sich am Himmel über Siena angesammelt haben, sehen zwar nicht so aus, als stünden sie unmittelbar vor dem Platzen, aber die Händler auf der Piazza del Campo packen zusammen. Der Instinkt der Ramschverkäufer ist genauer als jedes Regenradar. All die Bella-Italia-Shirts und Badetaschen, Kühlschrankmagneten und Schlüsselanhänger verschwinden in Minutenschnelle unter den Planen. Klappe zu, alles verrammelt. Und schon platschen die ersten dicken Tropfen herunter. Die Touristen flüchten in die Gelateria und den Tabacchi-Laden oder unter die Sonnenschirme der Pizzerien. Einer der schönsten Plätze der Welt, plötzlich menschenleer. Fast. Zwei Frauen tanzen einen Discofox auf den regenglänzenden Pflastersteinen. Ohne Musik, getragen vom Rhythmus eines italienischen Sommers.

Nadeschda Scharfenberg

SZ vom 24. August 2018

Mitten In

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Mitten in ... Timmendorfer Strand

Ein Sommerferien-Nachmittag am Timmendorfer Strand, die Strandkörbe sind seit dem frühen Morgen ausgebucht, die Schirme auch. Sonnenhungrige liegen Handtuch an Handtuch. Ein Pärchen kommt an, sie wasserstoffblonde Mähne, distelartiges Rückentattoo, er überall haarig, außer auf dem Kopf. Sie drängeln sich zwischen die koreanische Großfamilie und ein Teenie-Pärchen. "Schahaaatz, hilf mir mal!", befiehlt sie. Ratsch, sie hält ihm eine Hälfte der überdimensionalen Picknickdecke hin, er schweigt und legt die Decke folgsam mit ihr am Boden ab. Sie: "Wenn da jetzt ein Körnchen Sand draufkommt!" Er: schweigt. Setzt sich, schaut aufs Meer. Flopp, flopp. Neben ihm landen zwei cremefarbene bestickte Couchkissen auf der Decke. Er schaut überrascht. Sie: "Ich kann ja nicht ohne Kissen!" Er: schweigt.

Anna Günther

SZ vom 24. August 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Zwei Freundinnen laufen durch Neukölln, die eine ist hochschwanger. Man hat sich lange nicht gesehen, man redet und redet. Über die schicken Kinderwägen, die alle dreißig Sekunden an einem vorbeifahren, darüber, wie der Kleine heißen soll, und leider kommt man auch nicht ums selbstreferenzielle Berlin-Blabla herum; wie wild doch alles mal war, dass jetzt die Hipster herrschen und wo es überhaupt noch "so richtig Berlin" ist. Auf dieser Straße nicht. Ein Café nach dem anderen, Menschen hinter Macbooks, Avocado-Toast, der aussieht wie ein Instagram-Stillleben. Man läuft noch ein Stück und setzt sich dann eben auch in eine dieser Eckkneipen, die so gerne urig wären. "Habt ihr was Alkoholfreies?", fragt die Hochschwangere den Kellner. Der Mann lächelt freundlich und sagt: "Tut mir total leid, aber so etwas verkaufen wir prinzipiell nicht."

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 17. August 2018

Mitten in Rio

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Eine Mail vom Kindergarten in Rio: "Sehr geehrte Eltern, wegen der kalten Temperaturen muss der morgige Ausflug der gelben Gruppe in den Parque Chacrinha leider ausfallen." Ein Blick aufs Thermometer: 23 Grad Celsius. Die Cariocas, die ebenso lustigen wie wetterfühligen Bewohner Rios, verbringen ihre Zeit am liebsten bei 35 Grad im Klappstuhl am Strand, mit dem Rücken zum Meer, mit dem Bäuchlein zur Sonne, und dann reden sie darüber, wie unerträglich heiß es ist. Bei etwa 27,5 Grad gibt es eine magische Grenze, ab der echte Cariocas plötzlich nicht mehr schwitzen, sondern direkt zu frösteln beginnen. Alles unter 25 Grad - und das kann im brasilianischen Winter mal vorkommen - bezeichnet die Direktorin des Kindergartens als "sibirisch". Wer würde seinem Kind bei solch widrigen Bedingungen einen Ausflug in den Stadtpark zumuten wollen?

Boris Herrmann

SZ vom 17. August 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Der Blick wandert ungläubig durch den Raum. Es folgt die Gewissheit: Irgendwer hat das Fahrrad aus dem Schuppen im Hinterhof gestohlen. Man verabschiedet sich grummelnd von seinem Rad, das einen 15 Jahre zur Schule, durch Feiernächte und Münchens Verkehr getragen hat. Zwei Tage später, vor dem Wohnblock auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht: das vermisste Rad, angekettet mit dem Schloss, in dem man den einzigen Schlüssel hatte stecken lassen. Die Polizei schickt eine Streife, der Vater per Whatsapp ein Foto vom 15 Jahre alten Kaufbeleg, zu Hause kommt nichts weg. Die Polizisten traktieren das Schloss mit einer Zange, fordern einen Bolzenschneider an. Als die zweite Streife mit dem schweren Gerät eintrifft, ist der Polizist mit der Zange erfolgreich. Fahrräder werden ja oft geklaut. Doch so viel Glück war selten.

Johannes Knuth

SZ vom 17. August 2018

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