Reisekolumne "Mitten in ...":Diese süße Zumutung

Im toskanischen Restaurant lässt es ein Dreijähriger richtig krachen - oder vielmehr trillern. Und auch die Altstadt von Hoi An hat ihre ganz eigene Geräuschkulisse.

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Mitten in Orbetello

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Orbetello

Die Italiener lieben ihre Kinder, sie haben ja nicht mehr so viele. Und diesen dreijährigen Jungen lieben sie in Orbetello ganz besonders: In einer bei den Einheimischen und den deutschen Toskana-Liebhabern gleichermaßen beliebten Trattoria darf er stundenlang machen, was er will. Irgendwann nimmt er die Trillerpfeife gar nicht mehr aus dem Mund. Die Gäste sind alarmiert, der Chefkellner lässt vor Schreck die Scaloppine fallen. Und was machen die Mama, der Papa, die Oma, die restliche Verwandtschaft dieser süßen Zumutung? Sie schütteln halb verlegen, halb beschwichtigend den Kopf und lächeln tapfer, als sie das Lokal verlassen - der Kleine läuft triumphierend vorne weg. Er trillert und trillert und trillert, scheinbar ohne Luft holen zu müssen. Sagenhaft. Noch hat ihm keiner gesagt, dass man ein Spiel auch mal abpfeifen muss.

Christian Mayer

SZ vom 29. Juni 2018

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Morgens beim Arzt, Blutabnahme. Die Arzthelferin fragt, während sie die Spritze auspackt, ob der Patient auch genügend getrunken habe? Auf die Entgegnung, dass es zwei Tassen Tee und ein Glas Wasser gewesen sein dürften, schickt sie ihn zum Wasserspender. "Dann fließt das Blut schöner", sagt sie mit Profi-Miene. Es folgt minutenlanges Abklopfen der Venen, erst am linken, dann am rechten Arm. Der Patient verfolgt ihre Handgriffe aufmerksam. Schließlich desinfiziert sie die ausgewählte Stelle mit der Bitte, nun wegzusehen. Kunstpause. Der Patient guckt immer noch. Und stöhnt, als die junge Frau seinen Arm durchbohrt. Ihr Kommentar: "Nanu, komisch." Spritze raus, Pflaster drauf, anderer Arm. Manschette zuziehen, desinfizieren. Erneut fordert sie den Patienten auf: "Sie können jetzt wegsehen." Er wolle aber nicht wegsehen, antwortet er. Da befiehlt die Arzthelferin. "Aber ich will das!" Wohl besser, wenn ihr keiner beim Herumstochern zuschaut.

Violetta Simon

SZ vom 29. Juni 2018

Mitten in Hoi An

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hoi An

Die Altstadt von Hoi An in Zentralvietnam gilt als Venedig Südostasiens: Flüsse und Kanäle, pittoreske Brücken und hübsche Gassen, Souvenirshops und Eisdielen. Und vor allem: keine Autos und keine Mopeds. Sehr angenehm im Vergleich zur stressigen Verkehrshölle von Ho Chi Minh City. Nur Lieferanten und Fahrradrikschas dürfen durch das historische Zentrum fahren. Es herrschtein striktes Hup-Verbot, die romantische Stimmung mit all den bemalten Stofflaternen soll schließlich nicht kaputt gemacht werden. Ganz ohne Warnsignale geht es aber auch wieder nicht, sonst gäbe es in dem dichten Gedränge bald Verletzte. Die Rikscha-Fahrer wissen sich trotz der rigiden Hup-Vorschriften zu helfen: Wenn es eng wird, rufen sie einfach "Biepbiepbiepbiep!"oder "Lalülalülalü" - wie große Kinder, die Polizei spielen.

Titus Arnu

SZ vom 29. Juni 2018

Mitten in Sankt Petersburg

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Sankt Petersburg

Wo bitte sind die Toiletten? Mehr als 350 Säle hat die Eremitage und drei Millionen Kunstobjekte, von denen allerdings nur drei Prozent ausgestellt sind, aber Toiletten sucht man zwischen Pracht und Protz vergebens. "Geradeaus, rechts, dann 25 Kilometer weiter", sagt der freundliche Wärter. Wie wahr. Irgendwann erscheint es doch, das Toilettensymbol, und, eh klar, es zeigt sich dasselbe Bild wie überall auf der Welt außerhalb von Skandinavien: eine schier endlose Schlange vor dem Damenklo, während gleich nebenan die Herren locker ein- und ausgehen. Offensichtlich ergreift die beiden russischen Klofrauen Mitleid. Sie stellen sich an die Schwelle zur Herrentoilette. "Mister, go!", befehligen sie die Männer von den Pissoirs weg. Die verschwinden, wie ihnen geheißen. Als die Herrentoilette leer ist, winken sie die wartenden Frauen rein, "Ladies, go there!"

Viola Schenz

SZ vom 22. Juni 2018

Larnaka

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Larnaka

Linksverkehr? Kann so schlimm nicht sein. Der Mann von der Autovermietung bringt uns zu einem Wagen mit rotem Nummernschild, auf Zypern kriegen das alle Touristen. Okay: Dann sind wir jetzt offiziell Trottel. Runter vom Flughafengelände und rein in die Stadt, mit freundlicher Unterstützung der Navi-Stimme, die des Griechischen nicht mächtig ist. In 300 Metern links abbiegen. Man atmet ein, man atmet aus. Setzt den Blinker, dreht am Lenkrad, kichert nervös. Überlebt das Manöver bei 15 km/h. Grundkurs bestanden, jetzt also was Verrücktes: rechts abbiegen, dabei links bleiben. Läuft rund, wieso haben alle so panisch vorm Linksverkehr gewarnt? Am nächsten Morgen rein ins Auto, der Urlaub kann losgehen. Da rast ein Wagen frontal auf uns zu, hupt wie wild, der Fahrer fuchtelt mit den Armen. Immer diese Geisterfahrer.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 22. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Frankfurt

Besuch bei den Großeltern, nach langer Autofahrt endlich Frankfurts Skyline. Beiläufige Frage Richtung Rückbank: "Ihr habt der Nachbarin den Wohnungsschlüssel gegeben, oder?" Die Nachbarin soll die Meerschweinchen versorgen. Dreifaches Kopfschütteln. Helle Stimme in die Stille: "Wie lange kommen Meerschweinchen ohne Essen aus?" Mal Google fragen. "Meerschweinchen haben einen Stopfmagen! Sie brauchen JEDEN Tag was!" Andere Stimme von hinten: "Und wenn jemand am Bahnhof den Schlüssel zurück nach München nimmt?" Nächster Morgen, Gleis sieben, in 30 Minuten geht ein Zug. Knallgrüne Wanderjacke, Seniorin auf Reisen. Ja, macht sie gerne! Wer den Schlüssel entgegennimmt? "Am Bahnsteig steht mein bester Freund", sagt der Sohn. "Ey und wie erkenn isch de junge Mann?" - "Er hält ein Schild hoch. Da steht ,Meerschweinchen' drauf."

Mareen Linnartz

SZ vom 22. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Auf der Straße blubbert eine Harley, auf dem Radweg daneben rollt ein Rennradler. Aufgedonnert sind beide, der eine steckt in krachbunter Funktionswäsche und sitzt auf einem teuren, sehr leichten Rennrad. Der andere trägt viele Haare im Gesicht, eine alte Lederjacke und schwarze Stiefel - seine teure, sehr schwere Maschine hat viel (künstliche?) Patina auf den Chromteilen. Nach einem Kreisverkehr wechselt der Radler auf die Straße, er will nach 100 Metern links abbiegen und müsste sich sonst vom Radweg erst durch die Reihe parkender Autos wurschteln. Da flippt der Harley-Heini aus: "Als Radfahrer bist du verpflichtet auf dem Radweg zu fahren!!!", brüllt er und versetzt den Radler in Staunen: Was ist denn mit dir los? Was ist aus "born to be wild", "looking for adventure" und so geworden, alter Zausel? Die Rebellen von heute fahren Rad.

Sebastian Herrmann

SZ vom 15. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Lichtenberg

Die Nordvogesen, obgleich zentral in Europa gelegen, sind eine ziemlich menschenleere Gegend. Auf dem Wanderweg begegnet uns in den endlosen Wäldern fünf Tage lang genau niemand. Einer der wenigen Orte ist das Felsstädtchen Lichtenberg, dort steht das Hôtel Au Château, 1964 erbaut und seitdem garantiert nie modernisiert. Die Gaststube sieht aus wie in einem Simenon-Krimi. Drei Typen trinken Bier, unser Gruß bleibt unerwidert. Die Wirtin ist wirklich sehr, sehr alt. Sie nimmt die Bestellung auf - und kommt nach Sekunden zurück an den Tisch: "Jetzt hab ich's wieder vergessen." Die Sorge um das ersehnte Abendessen wächst. Doch wenig später biegt sich der Tisch unter elsässischen Köstlichkeiten, die Madame unermüdlich anschleppt: Forelle, Rollbraten, Estragonsalat, Krüge voll Bier. Wie man kocht, das hat sie nicht vergessen.

Sebastian Schoepp

SZ vom 15. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Kairo

In Kairo macht die Fauna normalerweise einen recht kläglichen Eindruck. Diese Straßenkatze, die da in der Abendsonne um meine Beine streicht, ist allerdings niedlich. Bis sie zubeißt. In meinem Kopf klingelt was. Tollwut! Nur ein paar Stunden habe ich jetzt, um mich immunisieren zu lassen. Dass der Impfstoff im erstbesten Krankenhaus nicht zu kriegen ist - kann vorkommen. Nervös werde ich erst, als sich solche Absagen häufen oder die Kliniken, zu denen man mich schickt, geschlossen sind. Mitten in der Nacht finde ich dann doch noch ein Spital, das den Impfstoff vorrätig hat. Zwar will der zwielichtige Typ am Eingang Geld von mir, damit ich einen Arzt zu sehen bekomme, aber na gut... Am nächsten Tag, als ich übermüdet durch die Stadt stolpere, sehe ich sie plötzlich wieder: die Katze, friedlich dösend in der Sonne. Sieht so Tollwut aus?

Frederik Eikmanns

SZ vom 15. Juni 2018

Mitten in Hanoi

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hanoi

Nguyen Xuan - das klingt für deutsche Ohren ähnlich sperrig wie Heinz-Rüdiger für asiatische Ohren. Vietnamesen, die professionell mit Touristen zu tun haben, geben sich deshalb gerne leicht konsumierbare Künstlernamen. Der Concierge im Hotel nennt sich Mr. Top, der Kellner im Restaurant Mr. Tiptop, und der Chef des Reisebüros, der die Tour in Zentralvietnam organisiert hat, unterschreibt seine Emails mit Mr. Ethan Hunt. So heißt Tom Cruise in "Mission Impossible". Na, dann kann ja wohl nichts schief gehen! Wie wohl der Fahrer heißt, der mich in Hanoi am Hotel abholt? Mr. Vettel? Mr. Hamilton? "Hallo, ich bin Luke", sagt er, "wie "Luke Skywalker aus Star Wars." Leider hat sein Auto keinen Hyperraumantrieb und kann auch keine Zeitsprünge machen. Ansonsten aber alles top, wenn nicht gar tiptop.

Titus Arnu

SZ vom 8. Juni 2018

Mitten in Chicago

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Chicago

Manchmal muss man weit reisen, um etwas Neues über die Heimat zu erfahren. Chicago, 2523 North Clark Street: Das Café Vienna ist eine empfehlenswerte Einkehr für alle, die sich nicht nur von Hamburgern in tausend Variationen ernähren wollen. Hinter der Theke läuft eine Diashow, die den Gast mit Schmankerln der alpenländischen Küche vertraut macht: Apfelstrudel, Gulasch, Käsespätzle, Weisswurst, Breze (hier Pretzel genannt; man möge sie, heißt es, auch mal mit Nutella probieren). Albert Einstein, lernen wir, liebte Wiener Schnitzel; das ist in der Literatur zumindest strittig. Aber was wir echt nicht wussten: Der Leberkäse wurde 1776 erfunden. Gleich mal nachlesen: Tatsächlich. 1776 brachte der pfälzische Kurfürst Karl Theodor seinen Metzger mit nach Bayern, und der soll den ersten Leberkas gebacken haben. Respekt, Chicago!

Hans Holzhaider​

SZ vom 8. Juni 2018

Bad Endorf

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Prien

Ein sonniger Tag im Chiemgau geht zu Ende. Der Zug zuckelt am Chiemsee vorbei Richtung München. Nächster Halt: Prien. Ein mittelaltes Pärchen steigt ein. Er: Cowboyhut und Funktionsjacke überm verwaschenen Stones-Shirt, sie: Achtzigerjahre-Jeansjacke, Glitzersteinchen-Shirt, Plastikblume im Haar. Die beiden beugen sich übers Handy und besprechen die Schnappschüsse des Tages. Er wischt und brummt, sie kommentiert. Der See, die Blumen, das Licht. Toll. Dann die Selfies. Ein Bild passt ihr nicht, also gar nicht. "Nein, wirklich, lösch' das Bild. Da siehst du alt aus und ich gwampert. Das sind wir nicht." Er wischt weiter auf dem Handy rum. Sie: "Ich bin extrem eitel, bitte lösch' das Bild. DAS SIND WIR NICHT!" Sie nimmt das Handy, wischt und nickt zufrieden. "Geteilt.... Ach, schau, und die Inge hat's schon kommentiert."

Anna Günther

SZ vom 8. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Caracas

Wenn man vor einem halben Jahr in einer Bar in Caracas einen Hamburger bestellte, kam der Kellner mit der Geldzählmaschine. Inzwischen sind auch die Maschinen mit der Inflation von 13000 Prozent überfordert. Das Tageslimit am Automaten beträgt 10000 Bolivares. Der Hamburger kostet jetzt 400 Tageslimits - über ein Jahr lang jeden Tag alles abheben, was geht. Auch das reicht nicht, denn der Hamburgerpreis wird sich bis dahin wieder vervielfältigt haben. Bargeld ist praktisch abgeschafft in Venezuela, weil es niemand so schnell ziehen kann wie die Preise steigen. Im Taxi gibt es keine Kartenzahlung. Und jetzt? Kein Problem, sagt der Fahrer, einfach eine Online-Überweisung tätigen, Screenshot vom Beleg machen, Bild zeigen, los geht's. Kundenfreundlich ist das allemal. Bei der Ankunft wäre der Tarif sicher schon wieder höher als bei der Abfahrt.

Boris Herrmann

SZ vom 2. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rüdesheim am Rhein

Abends in der Regionalbahn unterhalten sich zwei Männer. Sie müssen um die 30 und Kollegen sein, ihr Job hat mit Computern zu tun. Sie reden übers "Customizen", "Moden" und ihren Ärger darüber, dass sich das Betriebssystem Linux nicht durchgesetzt hat. Und darüber, dass sie heimlich auf ihren Arbeits-PCs Mario Kart spielen. Nach einigen Haltestellen haben sie sich nichts mehr zu erzählen. Stille. Dann sagt der eine, er trägt pinke Kopfhörer und eine orange Sonnenbrille: "Bin gespannt, wann sie Marihuana legalisieren." Der andere reagiert verdutzt: "Da glaubst du doch nicht wirklich dran?" Darauf der Sonnenbebrillte: "Doch! Stell dir das bitte mal vor, bekifft in unserer Firma zu sitzen." Kurz scheinen sie beide in dieser Fantasie zu schwelgen, ehe der andere antwortet: "Dann würde ich freiwillig Überstunden machen."

Max Sprick

SZ. vom 2. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Marrakesch

Dicke Außenmauern, Dachterrasse mit Blick auf den Atlas, ein gekachelter Innenhof mit Wasserbecken: Unser Riad ist ein Ruhepol mitten in der wuseligen Altstadt. Draußen lärmen Mopeds und Straßenverkäufer, drinnen herrscht Stille. Ein Traum. Wenn nur der Nachtportier nicht wäre. Er liegt auf dem Sofa direkt vor unserem Zimmer, hört auf seinem Smartphone eine Fußballübertragung, schlürft Tee und lässt gleichzeitig volle Kanne den Fernseher laufen, ein Musikkanal mit Achtzigerjahre-Hits. Wir bitten ihn, leiser zu stellen, wenig später schläft er ein. Wir nicht. Leider schnarcht der Mann so laut, dass der ganze Innenhof dröhnt. Um fünf Uhr morgens rufen die Muezzins zum Morgengebet, was wiederum die Hähne zum Krähen anregt, gefolgt vom Bellen der Hunde. Bald hört der Nachtportier auf zu schnarchen, und es folgt eine schöne stille Stunde, in der die Sonne geräuschlos aufgeht. Allah sei Dank.

Titus Arnu

SZ vom 2. Juni 2018

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