Reisefotografie:Profi statt Selfie

Ein toller Ort - und dann ein schlechtes Foto? Lieber lassen sich manche Urlauber von Experten in Szene setzen. Das Start-up Flytographer hat sich mit dieser Geschäftsidee schon an 195 Orten auf sechs Kontinenten etabliert.

Von Evelyn Pschak

Während eines Paris-Wochenendes mit ihren besten Freundinnen kam Nicole Smith zum Schluss: "Schlechte Fotos passen hier nicht." Man sollte die goldschimmernden Brasserien und das facettierte Glitzern langstieliger Champagnergläser nicht mit Smartphone-Schnappschüssen festhalten müssen, dachte sich die Kanadierin. Sie fand aber in ganz Paris partout keinen ausgebildeten Fotografen, der die Frauen auf ihrem Streifzug begleitet hätte. All die schönen Momente: verwackelt, zu dunkel - und die Truppe nie komplett im Bild. Nicole Smith war verärgert. Und inspiriert: Einen digitalen Marktplatz für professionelle Urlaubsfotografie weltweit wollte sie einrichten. So erzählt die 44-Jährige die Entstehungsgeschichte ihres Start-ups Flytographer, das im März 2013 online ging.

Mittlerweile können Reisende den Fotografendienst an 195 Orten auf sechs Kontinenten nutzen. Zwischen Santorin, Seattle und St. Petersburg sind die meisten beliebten Urlaubsziele dabei. Am häufigsten, so die Gründerin, werde in Paris, New York, London und Rom gebucht. Allein in Frankreichs Hauptstadt brauche sie mittlerweile sieben Fotografen. Inzwischen seien weltweit über 10 000 Fotopakete verkauft worden, das günstigste zu 250 US-Dollar: "Die meisten Klienten buchen aus besonderem Anlass: Sie wollen professionelle Bilder ihrer Flitterwochen, ihres Jahrestags oder vom Heiratsantrag", sagt Smith. Dublin hat es noch nicht in die Top Ten der Flytographer-Ziele gebracht, aber auch hier arbeiten zwei freie Fotografinnen für den Dienst. Eine davon ist Aoife Herrity.

Die zierliche Irin steht mit ihrer digitalen Spiegelreflexkamera auf der Ha'penny Bridge mitten in Dublin. Sie verrenkt sich nach hinten, um den eiligen Passanten auszuweichen und gleichzeitig ihr Gegenüber in Szene zu setzen. "Die frechen Möwen ruinieren das Bild", ruft die 33-Jährige über die knapp vier Meter breite Brücke. Natürlich meint sie es im Spaß, bringen die gespreizten Schwingen der Vögel den Himmel doch erst wild und dramatisch zur Geltung. Herbstliche Böen kräuseln das Wasser. "Da ist ja auch schon unsere Windmaschine", scherzt Herrity und klaubt noch schnell eine zerknüllte Zeitung vom Boden, die sonst im Bildabschnitt läge: "Alles, was die Aufmerksamkeit von meinen Protagonisten nehmen könnte, muss weg", erklärt die Fotografin. Sie treffe ihre Klienten gerne an der Ha'penny Bridge, das habe einen psychologischen Hintergrund: "Man kommt dort besser zum Atmen als im nahen Temple-Bar-Viertel, wo es recht chaotisch zugehen kann. Meine Modelle können sich hier locker an mich und die Kamera gewöhnen. Und an die Verständigung mit mir über Handzeichen, denn manchmal ist die Stadt so voll, dass sie alle Worte schluckt."

Ausgerechnet Dublin lässt Buchstaben verschwinden. Dabei ist die Unesco-Stadt der Literatur, aus der mit Yeats, Beckett, Shaw und Heaney gleich vier Nobelpreisträger stammen, doch Inbegriff des versierten Umgangs mit dem Wort. In ihr wird alles zum Reim oder wenigstens zur Alliteration. Auch die lyrisch-spöttische Benennung sämtlicher Skulpturen im Stadtbild ist ein Volkssport. "The Hags with the Bags", Handtaschen-Hexen, so heißen etwa die beiden Tratschweiber in Bronze, die, ihre schweren Einkaufstüten vom Traditionskaufhaus Arnotts zu Füßen, auf einer steinernen Bank nahe der Ha'penny Bridge ausruhen. Sie bieten ein gutes Fotomotiv. Und hohes Identifikationspotenzial bei Touristen wie Einheimischen mit schweren Handtaschen und dem Wunsch nach einer kurzen Verschnaufpause.

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Aber meistens muss Aoife Herrity nicht erst unterwegs nach den richtigen Kulissen suchen: "Ich werde bereits vor dem Treffen von den Reisenden instruiert. Die einen wollen viel Historie, andere interessieren sich nur für Architektur. Wieder andere wollen unbedingt einen unserer kleinen grünen Kobolde, den Leprechaun, auf den Bildern haben. Oder die bunten Pubs der Temple-Bar-Gegend." Sie selbst, sagt Herrity, ziehe das Ausgehviertel um die South Great George's Street vor. Hier befindet sich seit 1985 auch der Nachtklub The George. Diese älteste aller irischen Schwulenbars servierte Drinks somit schon zu Zeiten, als Homosexualität in Irland noch strafrechtlich verfolgt wurde. Wer rechts an der lila Fassade vorbei in Dublins enges Straßengeflecht einbiegt, findet sich in dunklem Ziegelmauerwerk wieder, dessen hellste Akzente von lokalen Street-Art-Größen gesetzt werden: "Meine Freunde nennen diese kleine Gasse Shame Lane", sagt Herrity, "weil man hier nach einer Zechtour schnell mal jemanden küsst, den man nicht küssen sollte."

Herrity rückt Stadt und Stadtbesucher ins rechte Licht: "Im Gegensatz zu einem Selfie-Knipser kenne ich den Blickwinkel, der ein Gesicht am besten hervorkehren lässt. Ich achte darauf, dass kein Verkehrsschild ins Bild ragt oder ein Passant vorbeistapft." Und dann sind da natürlich noch das technische Know-how und Verständnis für Licht und Komposition. So entstehen Bilder glücklicher Urlauber. Sie bekommen sie via Download-Link nach Hause geschickt. Herrity weiß, wie ihre Aufnahmen wirken: Sie machen die Reise in der Erinnerung zu etwas Besonderem.

30 Minuten Fotoshooting am Urlaubsort ab circa 230 Euro, www.flytographer.com; Übernachtung in Dublin: The Fitzwilliam Hotel, DZ ab 209 Euro, www.fitzwilliamhoteldublin.com; Aer Lingus fliegt zweimal täglich von München aus nach Dublin, ab 49,99 Euro, www.aerlingus.com; www.irland.com

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